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Die zellulären Mechanismen des "Bewegungsmelders"  
  Vor rund 40 Jahren überraschte die Entdeckung spezialisierter Netzhautzellen die Wissenschaft: Das Auge war demnach nicht eine Art passive Kamera, die visuelle Informationen an das Gehirn lediglich weiterleitet. Sondern es fanden sich in der Netzhaut u.a. Zellen, die ausschließlich auf spezielle Bewegungen reagierten. US-Biologen haben nun den Schaltkreis genauer beschrieben, der für diesen "Bewegungsmelder" im Auge zuständig ist. Ihr Ziel: Die Entwicklung eines künstlichen Auges, das so genau als möglich die Natur kopiert.  
Richtungsspezifische Netzhautzellen reagieren nur auf Objekte, die sich in eine bestimmte Richtung bewegen - beispielsweise von rechts nach links. Biologen von der University of California in Berkeley haben nun neue Details der dahinterstehenden komplexen zellulären Schaltkreise geklärt, wie sie in der aktuellen Ausgabe von "Nature" berichten.
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"Directional selectivity in the retina"
Der Artikel "Mechanisms and circuitry underlying directional selectivity in the retina" von Shelley I. Fried, Thomas A. Münch und Frank S. Werblin ist erschienen in "Nature", Bd. 420, Seiten 411 - 414, vom 28. November 2002 (doi:10.1038/nature01179).
->   Der Originalartikel (kostenpflichtig)
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Entdeckt bereits in den 60er Jahren
Die Entdeckung der richtungsspezifischen Netzhautzellen ist mittlerweile rund 40 Jahre her: Der Biologe Horace Barlow stieß 1965 zusammen mit seinem Kollegen William Levick in der Retina von Kaninchen auf sie: Die Zellen reagierten nur auf Lichtreize, die eine ganz bestimmte Bewegung machten.

In späteren Experimenten stellte Barlow fest, dass es Zellen gibt, die auf Bewegungen von links nach rechts, von rechts nach links, von oben nach unten und von unten nach oben reagieren.

Seit diesen frühen Experimenten wurden weitere Arten solcherart spezialisierter Netzhautzellen entdeckt - tatsächlich könnte es insgesamt ein Dutzend oder mehr dieser Zellen geben.
Die lange Suche nach der Erklärung
Die ursprüngliche Erklärung Barlows, wie genau die selektiven Netzhautzellen nur auf bestimmte Bewegungen reagieren, war allerdings sehr allgemein gehalten. Jüngere Untersuchungen hatten eher Verwirrung gestiftet, als Klarheit gebracht.

Die Lösung dieser Fragen liegt jedoch nach Aussage der Berkeley-Biologen nicht mehr fern: Das Team hat demnach fast den gesamten Schaltkreis entschlüsselt - der laut ihren Ergebnissen unterschiedliche Mechanismen umfasst, die zusammenarbeiten.
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Aufbau der Netzhaut: Photorezeptoren und andere Zellen
Die Netzhaut oder Retina ist ein 0,2 bis 0,5 Millimeter dickes, aus mehreren Schichten aufgebautes Häutchen, das die Innenfläche des hinteren Augenballs auskleidet. Aus Sicht der Entwicklungsbiologie gehört die Netzhaut zum Zwischenhirn und ist daher ein Teil des Zentralnervensystems. Anatomisch betrachtet besteht die Netzhaut nicht nur aus Photorezeptoren (Stäbchen und Zäpfchen) sondern auch aus einer Vielzahl anderer Zelltypen, wie z.B. Bipolar-, Müller-, Amakrin- und Ganglien-Zellen.
->   Ausführliche Informationen zum menschlichen Auge
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Verschiedenste Zelltypen hängen zusammen
Wichtig ist der zelluläre Aufbau der Netzhaut: Photorezeptoren reagieren auf Licht und leiten Signale an so genannte Bipolar-Zellen weiter. Diese wiederum geben die Signale an Ganglien-Zellen ab, von denen aus der Reiz ins Gehirn geleitet wird. Unter den Ganglien-Zellen befinden sich auch die richtungsspezifischen Netzhautzellen.

All diese Zelltypen sind in verschiedenen Lagen in der Netzhaut angeordnet - eine über der anderen. Gäbe es keinerlei andere Zellen im Auge, so würde visuelle Information durch einen Lichtreiz auf die Photorezeptoren ausgelöst werden und völlig ungehindert bis zum Gehirn gelangen.
Zellulärer Schlüssel zum "Bewegungsmelder"
Doch es gibt noch einen weiteren Zelltyp: In ihrem Artikel weisen die Biologen nach, dass der Schlüssel zum "Bewegungsmelder" eine besondere Form von Netzhautzellen ist, die so genannten "Starburst-Amakrin-Zellen".

Laut den Ergebnissen der Forscher sind die richtungsselektiven Ganglien-Zellen sowohl mit den Bipolar-Zellen als auch mit den Starburst-Amakrin-Zellen verbunden. Starburst-Zellen wiederum sind auch mit den Bipolar-Zellen verbunden, was ihnen deren Beeinflussung ermöglicht.
Der komplexe Schaltkreis
Das Ergebnis dieses Netzwerkes: Bewegt sich ein Objekt in eine bestimmte Richtung, auf die einige der Zellen spezialisiert sind, so erhalten die Ganglien-Zellen einen starken Stimulus von den Bipolar-Zellen und gleichzeitig eine schwache "Hemmung" durch die Starburst-Amakrin-Zellen. Gesamteffekt ist ein Stimulus, der die Ganglien ein Signal ans Gehirn senden lässt.

Wenn sich ein Objekt jedoch in die "falsche" Richtung bewegt, unterdrücken die Starburst-Zellen wiederum eine Reaktion und verhindern ebenso eine Anregung durch die Bipolar-Zellen. Effekt ist eine sehr starke Hemmung - die bewegungsspezifischen Zellen "feuern" kein Signal an das Gehirn ab.
Zukunft der Medizin: Bionisches Auge?
Die Ergebnisse der Forscher sollen nicht nur dem Verständnis von Abläufen im Körper dienen - eine Möglichkeit wäre etwa die Entwicklung eines künstlichen oder "bionischen" Auges, das möglichst ähnlich der natürlichen Netzhaut visuelle Reize weiterverarbeitet.

Dafür müssten die Informationen über die zellulären Schaltkreise der Netzhaut über einen Computer-Chip verfügbar sein. An einem solchen wird ebenfalls in Berkeley gearbeitet: der Chip - genannt "Cellular Neural Network (CNN) Universal Machine" - existiert bereits, noch kann man ihn allerdings nicht mit dem neuronalen Schaltkreis des menschlichen Gehirns verbinden.
->   University of California in Berkeley
->   Infos zur Cellular Neural Network (CNN) Universal Machine
->   Mehr Artikel rund um das Auge in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010