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Gesichtstransplantation: Von der Utopie zur Realität?  
  1997 konfrontierte der Film "Face Off" Millionen Kinogänger mit der utopisch anmutenden Technik, ein komplettes Gesicht von einer Person auf eine andere transplantieren zu können. Ein britischer Chirurg hat Ende 2002 angekündigt, genau dies in die Praxis umsetzen zu wollen: die komplette Gesichtstransplantation eines Patienten, der an den Folgen schwerer Verletzungen im Gesicht leidet. Österreichische Experten zeigten sich gegenüber den Plänen reserviert.  
Neben der Frage der technischen Realisierbarkeit eines derartig komplexen chirurgischen Eingriffs seien es vor allem ethische Fragen, die sich stellen.
Technisch machbar, ethisch fragwürdig
Rupert Koller von der Klinischen Abteilung für Wiederherstellungs- und Plastische Chirurgie (Prof. Frey) am AKH Wien bewertete das Vorhaben gegenüber science.ORF.at als "prinzipiell und technisch machbar". Aber: "Nicht alles, was machbar ist, ist auch sinnvoll."

Zu einer ethischen Debatte rief auch Peter Butler, plastischer Chirurg am Royal Free Hopital in London, auf. In einem Interview mit der BBC hat er im November 2002 angekündigt, die erste komplette Gesichtstransplantation vornehmen zu können.
->   Das BBC-Interview: Face transplants 'on the horizon'
Rekonstruktion von Gesichtern sehr schwierig
Transplantationen könnten das Leben von Menschen erleichtern, deren Gesichter durch Krankheit, Verbrennungen oder andere Unfälle besonders stark entstellt wurden.

Aus chirurgischer Sicht ist die Rekonstruktion eines Gesichts aber äußerst schwierig, da es sehr viele höchst bewegliche und sensible Teile enthält, die für seine Ausdruckfähigkeit vonnöten sind - besonders die Lippen, Augen und Wangen.
Bis jetzt: Hauttransplantationen
Bis jetzt stehen Patienten die Methoden der Gewebstransplantation und der Wiederherstellungschirurgie zur Verfügung. Die Hauttransplantation von anderen Körperteilen, wie sie derzeit üblich ist, erlaubt nach Ansicht von Butler aber zu wenig Beweglichkeit und Sensitivität - sie führt in vielen Fällen zu einem maskenhaften Ausdruck der Betroffenen.

Eine Lösung dafür sei seine nun angekündigte komplette Transplantation von "Gesicht zu Gesicht", inklusive der Muskeln und der Nerven.
->   Mehr über Gesichtsmuskeln (Wikipedia)
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Schon 1999 stellten amerikanische Chirurgen um John Barker von der Universität Louisville in Kentucky eine Methode vor, bei der Verunglückten Haut, Knochen, Muskeln und Nerven aus dem eigenen Oberarm transplantiert werden. Nach einer sechzehnstündigen "Vorbereitungsoperation" bedurfte sie allerdings Dutzender Nachfolgeeingriffe, um das Gesicht sowohl ästhetisch als auch funktional "in einen akzeptablen Zustand zu bringen". Von derartigen Operationen berichtete das Online-Journal "salon.com".
->   Der Artikel (salon.com)
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Eine komplizierte Operation
Technisch betrachtet ist genau dies das Problem: Ein Gesicht besteht aus zahlreichen Muskeln und Nerven, die bei einer Transplantation korrekt verbunden gehören.

Die Operation bedürfte nicht nur eines sehr "frischen" Spendergesichts, sondern auch einer sehr langen und komplizierten Operation. Rupert Koller vom AKH Wien mutmaßte Ende 2002, dass die Patienten über einen langen Zeitraum danach unter gelähmten Gesichtshälften zu leiden hätten.

Besonders die Verbindung der Nerven sei problematisch. Wenn sie nicht in der richtigen Weise zusammenwachsen, könnte es sein, dass der Patient in Zukunft ein Auge schließen möchte, dabei aber den Mund schließt.
Problem Immunreaktion - neue Lösungsansätze
Ein weiteres Problem von Transplantationen - ob es die mittlerweile üblichen wie von Herz oder Niere sind oder die nun vorgeschlagene des Gesichts - ist die Abstoßungsreaktion des Immunsystems gegenüber dem neuen Organ.
Bildung von Antikörpern und/oder T-Zellen
Bei der Immunreaktion des Körpers werden spezifische Antikörper und/oder T-Zellen als Abwehr gegen fremde Mikroorganismen, transplantiertes Gewebe und andere Stoffe produziert. Es gibt zwei Hauptarten der Immunreaktion: die durch Antikörper gesteuerte (oder humorale) Reaktion sowie die von T-Zellen gesteuerte zellulare Reaktion.
Medikamente gegen Immunreaktion
Um diesen Prozess zu unterdrücken, kommt es zur so genannten Immunsuppression - den Patienten werden Medikamente verabreicht. Diese haben aber oft starke Nebenwirkungen und sind nicht immer erfolgreich.

Seit einiger Zeit wird deshalb an einer Methode gearbeitet, die ohne Medikamente auskommt: die "Neu-Programmierung des Immunsystems". Dabei wird das Immunsystem des Organempfängers derart verändert, dass es das fremde Gewebe wie körpereigenes annimmt.

Thomas Wekerle von der Abteilung für Transplantation an der Universitätsklinik für Chirurgie des AKH Wien berichtete in science.ORF.at von experimentellen Fortschritten, die es in dieser Richtung gegeben hat.
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Thomas Wekerle: "Die Zukunft der Organtransplantation"
Mehr über die "Neu-Programmierung des Immunsystems", die die Verabreichung von Medikamenten nach Organtransplantationen ersetzen soll, in einem Gastbeitrag von Thomas Wekerle für science.ORF.at:
->   Die Zukunft der Organtransplantation (18.3.02)
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Dilemma bei Abstoßungsreaktionen
Abstoßungsreaktionen nach Organtransplantationen sind immer unangenehm. Im Falle der vorgeschlagenen Gesichtstransplantation würde sich jedoch ein wahres Dilemma offenbaren.

Der plastische Chirurg Rupert Koller vom AKH Wien 2002: "Bei einer Handtransplantation kann man bei einer derartigen Reaktion die Hand wieder abnehmen. Nur was soll man im Falle eines transplantierten Gesichtes machen?"
Ethische Probleme überwiegen
In einer Einschätzung sind sich die Experten aber einig: Das Hauptproblem liegt nicht in der Technik, sondern bei moralischen Fragen. Das sieht auch Peter Butler selbst so: "Die Frage lautet nicht, ob wir das tun können, sondern ob wir es tun sollen."

Er persönlich scheint davon überzeugt. Und forderte eine öffentliche Diskussion - auch vor den ersten Transplantationen von Herz oder Niere habe es große Vorbehalte gegeben, die sich später erübrigt hätten.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Was Gesichter verraten (WDR)
->   TPI Transplant Information
->   Eurotransplant
->   AKH Wien
->   Mehr über Transplantation in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010