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BSE-Experte fordert Tests für alle Briten  
  Der Vater der "Prionen-Hypothese" und Nobelpreisträger Stanely Prusiner hat in einem Interview gefordert, dass sich alle Briten auf die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit testen lassen sollten. Der Hintergrund: Nach Prusiners Meinung könnten weit mehr Menschen als bisher angenommen durch den BSE-Erreger infiziert worden sein. Pessimistische Schätzungen rechnen langfristig mit bis zu 100.000 Todesfällen. Das Problem: Tests für solch groß angelegte Screenings befinden sich erst in der Entwicklungsphase.  
In einem Interview mit der Londoner Tagszeitung "Sunday Times" forderte BSE-Experte Stanley Prusiner, dass sich die britische Bevölkerung einem Test auf die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (kurz "nvCJD" genannt) unterziehen solle.

Jene Krankheit also, deren Auftreten auf Infektionen mit dem BSE-Erreger zurückgeführt wird. Weiters forderte Prusiner, dass auch lebendige Rinder auf BSE untersucht werden sollten.
->   Sunday Times
Untersuchungen sollen weitere Infektionen verhindern
Die Intention des Wissenschaftlers: Durch die flächendeckende Untersuchung könnte vermieden werden, dass der Erreger zum Beispiel durch Bluttransfusionen und bei Operationen weitergegeben wird.

Prusiners Wort hat in diesem Zusammenhang besonderes Gewicht. Immerhin war es er, der als erster postulierte, dass BSE durch Prionen ausgelöst werde. Davor hatte man vermutet, dass BSE von Viren verursacht werde. Mittlerweile gilt die Prionen-Hypothese als bestätigt, Prusiner bekam dafür im Jahr 1997 den Nobelpreis.
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Prionen
Prionen - sehr kleine Proteinpartikel - besitzen keinerlei Erbinformation und können dem normalen, insbesondere in den Nervenzellen des Gehirns vorkommenden Prion-Protein durch Kontakt ihre krankmachende Form aufzwingen. Dieser Vorgang kann sich wie eine Kettenreaktion fortpflanzen und zerstört dann die betroffene Nervenzelle. Erkranktes Gehirngewebe erscheint durchlöchert wie ein Schwamm. Der Aufbau der Prion-Proteine bei verschiedenen Arten ist sehr unterschiedlich. Sehr selten können die krank machenden Prion-Formen auch durch Mutationen oder ohne ersichtlichen Grund entstehen, wie vermutlich bei der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD).
->   BSE: Der Proteinfaltung auf der Spur
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"Eine Million infizierter Rinder in der Nahrungskette"
Prusiners Wortlaut in der "Sunday Times": "Jeder Brite sollte getestet werden, so dass die Krankheit behandelt werden kann, bevor Symptome auftreten."

Der Hintergund für diese Vorsichtsmaßnahme: "Etwa eine Million infizierter Rinder könnten in Großbritannien Eingang in die Nahrungskette gefunden haben. Daher ist vermutlich jeder in diesem Land infektiösen Prionen ausgesetzt worden."
Bis zu 100.000 Tote befürchtet
Ein von der britischen Regierung beauftragtes Expertenteam war im vergangenen Sommer zu dem Schluss gekommen, dass die Zahl der Infizierten sich innerhalb der nächsten Jahre verdoppeln könne.

Den ungünstigsten Prognosen zufolge könnten in Großbritannien langfristig bis zu 100.000 Menschen an CJD sterben. Und was für die britische Insel gilt, müsste - mutatis mutandis - auch für Kontinentaleuropa relevant sein.

Der Schönheitsfehler an Prusiners Wunsch nach präventiven Untersuchungen: Es gibt noch keine einfachen Tests, die für großangelegte Bevölkerungs-Screenings geeignet wären. Zumindest nicht im Stadium der Marktreife.
Bisherige Nachweise post mortem
Das grundlegende Problem liegt vor allem in der Tatsache begründet, dass die bisher geführten (endgültigen) Nachweise nur am Hirngewebe bereits verstorbener Patienten vorgenommen wurden.

Um aber, wie Prusiner fordert, eine präventive Strategie zu verfolgen, müsste man sich auf so genannte nicht-invasive Tests beschränken - also etwa solche, die mittels Blut- oder Urinproben durchgeführt werden.
Die Strategien zum Nachweis von nvCJD
Grundsätzlich gibt es zwei Strategien, um die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit nachzuweisen. Zum einen die klinisch-neurologische, bei der man sich auf ein Bündel von Einzeltests zur Einstufung der Krankheit beruft. Der Nachteil: Diese Methode wird nur bei bereits erkrankten Personen angewandt, sie eignet sich also nicht zur Vorhersage einer Erkrankung.
Die Suche nach dem Erreger
Die andere Strategie zielt auf das krankmachende Agens selbst ab. Dabei macht man sich einige Eigenschaften des fehlgefalteten Prions zu Nutze, die es von der normalen Form unterschiedet:

"Eine dieser Eigenschaften ist etwa die Resistenz des infektiösen Proteins gegen den Verdau mit eiweißspaltendem Enzymen", erklärt Jan Bieschke vom Institut für Neuropathologie der Universität München im Gespräch mit science.ORF.at. "Eine andere Nachweismethode zielt auf die Zusammenklumpung der schädlichen Prionen ab", so Bieschke weiter.

Forschungsgruppen um Hans Kretzschmar entwickeln zur Zeit an der Uni-München solche Tests, bei denen die BSE- und CJD-Erreger mittels Laser-Technologie dingfest gemacht werden.
->   BSE-Erreger mittels Laser diagnostiziert
Das Problem: Geringe Prionen-Konzentration
Der biochemische Nachweis der tödlichen Prionen krankt auch an folgender Schwierigkeit: Im Gegensatz zur Biochemie der Nukleinsäuren (z.B. DNA und RNA) steht den Forschern keine potente Vermehrungsmethode zur Verfügung.

Während etwa kleinste DNA-Mengen heute in jedem Labor mittels der so genannten PCR-Methode ("Polymerase Chain Reaction") ohne großen Aufwand zu vervielfältigen sind, verhält es sich bei den Prionen anders.

Diese kommen nur in geringsten Konzentrationen in den entsprechenden Geweben oder Körperflüssigkeiten vor. Dementsprechend zielen einen Reihe von Forschungsprojekten auf die Behebung eben dieses Problems ab.
Lösung Protein-Vermehrung?
Ein Arbeitsgruppe um Claudio Soto vom Serono Pharmaceutical Research Institute in Genf zeigte zwar bereits im Sommer 2001, dass man auch missgefaltete Proteine künstlich vermehren kann.

Allerdings teilt dieses Forschungsergebnis mit allen anderen Nachweis-Strategien ein entscheidendes Manko: Es befindet sich noch im Entwicklungsstadium.
->   Künstliche Prionenvermehrung
Therapie nicht vorhanden
Stefan Wiese vom Institut für Klinische Neurobiologie der Universität Würzburg lenkt im Gespräch mit science.ORF.at die Aufmerksamkeit auf einen anderen wichtigen Punkt:

"Angesichts der Tatsache, dass es keine Bluttests oder ähnliche nicht-invasive Nachweise von CJD gibt, könnte man anmerken: 'So what?!' Denn eines sollte nicht vergessen werden: Es gibt zur Zeit keine Therapie der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung."

Daher stelle sich, so Wiese, zunächst ein gesellschaftliches - und weniger ein medizinisches Problem: Denn selbst wenn es die entsprechenden Methoden zum Nachweis von Prionen-Erregern gäbe - die Patienten wüssten dann zwar von einem möglichen Krankheitsausbruch, hätten aber (noch) keine Therapiemöglichkeit.
->   Ausgewählte Links zum Thema in www.clubbiotech.at
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   BSE: Ursachen, Nachweis, aktuelle Forschung
->   BSE-Diagnose am lebenden Tier möglich -- aber nur theoretisch
->   Mehr zur Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010