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Ein steiniger Weg: Forscherinnen von gestern bis heute  
  Während vergangene Woche sogar die Universität Cambridge erstmals in ihrer Geschichte ankündigte, eine Frau an ihre Spitze zu setzen, ist frau in Österreich noch nicht so weit. Nach wie vor ist die Luft an der Spitze der akademischen Hierarchien sehr dünn für Frauen, nur sieben Prozent aller Professoren etwa sind weiblich. Dabei ist und war ihre Rolle für Lehre und Forschung auch historisch bedeutsam. Ein neues Lexikon listet Leben, Werk und Wirken von rund 350 österreichischen Forscherinnen der "ersten Generation" auf.  
Es sei "nicht nur die Geschichte einiger weniger", die Vielzahl der in dem Buch versammelten Beiträge spreche vielmehr für eine breite Emanzipationsbewegung, schreiben die beiden Herausgeberinnen des Lexikons, die Wiener Wissenschaftshistorikerinnen Brigitta Keintzel und Ilse Korotin im Vorwort des Buchs.

Sie fordern eine "grundlegende Revidierung der bisherigen Sichtweise auf die österreichische Wissenschaftsgeschichte".
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Das Buch: "Wissenschafterinnen in und aus Österreich"
Mehr als hundert Autorinnen und Autoren verfassten Beiträge zu 342 "Wissenschafterinnen in und aus Österreich - Leben - Werk - Wirken", herausgegeben von Brigitta Keintzel und Ilse Korotin, Böhlau Verlag, 872 Seiten.
->   Mehr über das Buch (Böhlau Verlag)
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Breites Spektrum an Forscherinnen

In dem groß angelegten lexikalischen Nachschlagewerk werden erstmals rund 350 Wissenschaftlerinnen in und aus Österreich dokumentiert, die sich im Zeitraum zwischen der Jahrhundertwende bis zur Nachkriegszeit habilitierten und Lehrstühle erhielten.

Das Spektrum reicht von der in Wien geborenen Individualpsychologin Alexandra Adler (1901-2001) über die Sozialwissenschaftlerin Maria Jahoda, die mit der Studie "Die Arbeitslosen von Marienthal" (1907-2001) berühmt wurde, bis zur Architektin Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000) und der Historikerin Erika Weinzierl.
Subtile Mechanismen der Marginalisierung
Mit den Portraits sollen die "meist subtilen Mechanismen der Marginalisierung" deutlich gemacht werden, "die mit den Zuschreibungen von 'Weiblichkeit' im Wissenschaftsbetrieb verbunden sind", schreiben Keintzel und Korotin im Vorwort des Buches.

Barrieren und Schwierigkeiten in universitären und außeruniversitären Arbeits- und Forschungszusammenhängen sollen "in den einzelnen Lebensläufen ebenso transparent werden wie das engagierte Erkenntnisinteresse von Pionierinnen, die von konventionellen Denkmustern ihrer Zeit abwichen und sich damit in mehrfacher Weise exponierten."
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Projekt "biografiA"
Das Lexikon ist eingebunden in das Projekt "biografiA. Biografische Datenbank und Lexikon österreichischer Frauen". Auf der Grundlage von Expertinnen-Interviews und einer Arbeitsgruppe zur "Österreichischen Frauenbiografieforschung" wurde dabei ein Datenbankprototyp entwickelt, in welchen bislang rund 5.500 Frauenbiografien aufgenommen wurden.
->   biografiA
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Je höher die Karrierestufe, desto weniger Frauen
Bild: APA
Dass diese subtilen Mechanismen zu weit weniger subtilen Resultaten führen, zeigt ein Blick auf das Geschlechterverhältnis an den österreichischen Hochschulen in der Gegenwart. Die "Faustregel": Je höher die akademische Karrierestufe, desto dünner wird die Luft für Frauen.

Beim so genannten "sonstigen wissenschaftlichen Personal" beträgt der Frauenanteil noch 42 Prozent. Von den 7.200 Assistenten (gemessen als Vollzeitäquivalent) an den zwölf wissenschaftlichen Unis waren 2001 allerdings rund 1.900 Frauen, ein Anteil von 25,9 Prozent.

Und bei den Professoren reduziert sich der Anteil der Frauen auf nur mehr 6,8 Prozent. 1.500 Professoren stehen 110 Professorinnen gegenüber.
Ein weiblicher Dekan, keine Rektorin
Auch auf universitärer Leitungsebene sind Frauen kaum zu finden: Unter den 40 Dekanen in Österreich findet sich eine Frau. Die Rektorate sind ausschließlich in Männerhand, unter den 40 Vizerektoren sind sieben Frauen.
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Weibliche Mehrheit bei Studierenden
Seit Jahren beginnen deutlich mehr Frauen als Männer ein Studium, im Wintersemester 2001 waren es, wie Daten des Bildungsministeriums zeigen, 12.900 Frauen und 9.400 Männer, was einem Frauenanteil von 57,9 Prozent entspricht. Betrachtet man die Gesamtstudierendenzahl gibt es noch immer mehr Studentinnen (92.100 Frauen gegenüber 84.600 Männer), auch wenn sie mit einem Frauenanteil von 52,1 Prozent nicht mehr so dominieren. Erstmals in der Geschichte wurden im Studienjahr 2000/01 mehr Frauen mit ihrem Studium fertig, der Frauenanteil bei den Studienabschlüssen lag bei 50,1 Prozent.
->   Die aktuellen Zahlen der Studierenden (11/02)
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Frauenquote von 40 Prozent bisher verfehlt
Mehrere Minister haben in den 1990er Jahren Frauenförderungspläne erlassen, die eine 40-prozentige Frauenquote an den Universitäten zum Ziel hatten. Dieser Prozentsatz wurde mittlerweile tatsächlich erreicht: 40,9 Prozent aller an den Hochschulen Beschäftigten sind Frauen. Bei näherer Betrachtung relativiert sich dieses Ergebnis allerdings.

Den Schnitt heben die allgemeinen Universitätsbediensteten, bei denen der Frauenanteil bei 62,1 Prozent liegt. Beim wissenschaftlichen Personal, also Professoren, Assistenten, etc. zusammen, ist man mit einem Frauenanteil von 23,9 Prozent schon wieder weit entfernt von der angestrebten 40-Prozent-Frauenquote.
Erste Generation von Wissenschaftlerinnen ...
Mit den Vorgängerinnen der Akademikerinnen von heute beschäftigt sich das Buch von Brigitta Keintzel und Ilse Korotin. Der zeitliche Schwerpunkt der dargestellten Forscherinnen reicht von der Jahrhundertwende bis zur Nachkriegszeit.

Erforscht wurde die erste Generation von Wissenschaftlerinnen an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck. Vollständig aufgenommen wurden die ersten Frauen, die sich in Österreich habilitieren konnten, die ersten Dozentinnen und Professorinnen.
... samt Verfolgung, Flucht, Emigration untersucht
Viele Beiträge dokumentieren auch Verfolgung, Flucht, Emigration und Exil, die Vertreibung Hunderter Wissenschaftlerinnen und die nahezu völlige Auslöschung von wissenschaftlichen Schulen unter den Nationalsozialisten.

Ausführlich berücksichtigt wurde der außeruniversitäre Bereich, wie Psychoanalytikerinnen oder Theoretikerinnen der angewandten Sozialforschung.
->   Leseprobe des Buchs zu Josefine Stross und Emmy Sylvester (pdf-Datei)
Kein Anspruch auf Vollständigkeit
Keintzel und Korotin erheben mit dem Lexikon dennoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das Buch solle keinen Endpunkt, "sondern einen Schnittpunkt in der österreichischen Wissenschaftsgeschichte darstellen, die den Anteil der Frauen bisher verschwiegen hat und womit auch ein neues Forschungsfeld eröffnet werden soll".
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Podiumsdiskussion
Am Freitag, den 6.12 findet an der Universität Wien anlässlich der Präsentation des Buches eine Podiumsdiskussion zum Thema "Die Zukunft der Wissenschaftlerinnen an den Universitäten in Österreich" statt.
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Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Frauen in der Technik (Gastbeitrag Brigitte Ratzer)
->   Frauen in Wissenschaft und Forschung (Gastbeitrag Ilse König)
->   EU: Frauen in der Forschung stark unterrepräsentiert
->   Die Glasdecke für Frauen in den Biowissenschaften (Gastbeitrag Renee Schröder)
->   Ein Nachruf auf Marie Jahoda vom 5. Mai 2001
 
 
 
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01.01.2010