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Sport statt High-Tech-Kardiologie für Herzpatienten  
  Die Methoden der Kardiologen werden immer ausgefeilter: Sie dehnen verengte Herzkranzgefäße auf, versehen sie mit Gefäßstützen und verhindern neuerliche Verengungen durch spezielle Beschichtungen, die Medikamente abgeben. Doch einfaches Ausdauertraining wie Joggen oder Radfahren stiehlt selbst diesen High-Tech-Verfahren die Show. Deutsche Herzspezialisten haben damit nun bei ihren Patienten deutlich bessere Ergebnisse erzielt.  
"Wir wissen, dass regelmäßiges Training die symptomfreie Belastungsreserve und die Durchblutung (des Herzens, Anm.) bei stabiler koronarer Herzkrankheit verbessert und die Progression der Atherosklerose verzögern kann", erklärte Stephan Gielen vom Herzzentrum der Universität Leipzig gegenüber der Münchener Medizinischen Wochenschrift.

Gielen hat gemeinsam mit seinem Kollegen Sven Möbius-Winkler das Projekt realisiert, bei dem die beiden Herzspezialisten 101 Kranke mit einer zumindest 50-prozentigen Herzkranzgefäß-Verengung (Angina pectoris) einer Vergleichsstudie unterzogen.
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Angina pectoris: Der gegenwärtige Stand der Technik
Bei einer stabilen Verengung eines Herzkranzgefäßes (Angina pectoris) ohne akute Herzinfarktgefahr wird zunächst einmal medikamentös behandelt. Hinzu kommt die Aufdehnung der Verengung durch einen aufblasbaren Ballon-Katheter (Ballon-Dilatation; PTCA). Bei 80 Prozent der Patienten wird dabei auch gleich noch ein "Stent" - eine aufklappbare Gitterröhre - in das Herzkranzgefäß eingefügt, um es weiter offen zu halten. Doch selbst dabei kommt es bei 15 bis 35 Prozent der Betroffenen zu einer neuerlichen Verengung. Erst die neuesten und teuersten "Stents", die einige Zeit lang ein Krebsmedikament abgeben, reduzieren die Rückfallsrate auf unter zehn Prozent.
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Aufwändige High-Tech-Verfahren
Die High-Tech-Verfahren - im Endeffekt käme auch eine Bypass-Operation in Frage - sind aufwändig. Trotz aller Verbesserungen bleibt immer ein gewisses Komplikationsrisiko. Rückfälle führen dann neuerlich zu Eingriffen.
Andere Strategie: Sport statt Stent-Technik
Gielen und Möbius-Winkler setzten hingegen in einer wissenschaftlichen Studie, die Ende November beim Jahreskongress der American Heart Association - das "Mekka" der Kardiologen - präsentiert wurde, auf eine andere Strategie:

Sie therapierten insgesamt 101 Kranke im Durchschnittsalter von 61 Jahren mit einer zumindest 50-prozentigen Herzkranzgefäß-Verengung medikamentös. Dann wurden bei der Hälfte der Betroffenen Ballon-Aufdehnungen samt Stent-Technik durchgeführt.

Die andere Hälfte der Erkrankten wurde hingegen zwei Wochen ins Spital aufgenommen. Dort mussten die Patienten sechs Mal täglich je zehn Minuten auf dem Ergometer Fahrrad fahren. Man strebte 70 Prozent der maximalen Pulsfrequenz an. Nach der Entlassung nach Hause sollten die Angehörigen dieser Gruppe an sechs Tagen der Woche jeweils 20 Minuten weiter trainieren.
Ausdauertraining deutlich vor Ballon-Katheter & Co
Nach einem Jahr analysierten die Herzspezialisten um Möbius-Winkler und Gielen das Schicksal der Patienten, die sie zusätzlich zu den Medikamenten per Sport oder Kardiologie-High-Tech behandelt hatten. Dabei gewann das Ausdauertraining deutlich vor Ballon-Katheter & Co.
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Weniger Komplikationen, weniger Beschwerden ...
- 88 Prozent der Sport treibenden Herzpatienten hatten keine weiteren Komplikationen erlitten, hingegen 70 Prozent der interventionell, also per Ballon-Katheter Behandelten.

- Die kardiologisch intensiv Behandelten mussten häufiger wegen Angina pectoris-Beschwerden ins Krankenhaus aufgenommen werden.

- Nach der Ballon-Aufdehnung eines verengten Herzkranzgefäßes kam es bei 15 Prozent der Behandelten zu einem Rückfall. Ein Patient aus dieser Gruppe erlitt einen Herzinfarkt, einer musste Bypass-operiert werden. Insgesamt zehn Mal musste eine Ballonaufdehnung wiederholt werden.
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Größer angelegte Studie in Planung
Jetzt wollen die Wissenschafter eine größer angelegte wissenschaftliche Untersuchung mit mehr Patienten durchführen. Gielen: "Diese Studie legt nahe, dass wir mehr Anstrengungen bei der konservativen Therapie unternehmen sollten, bevor wir interventionell tätig werden."

Zuerst Ausdauertraining - und in der Folge erst eventuell die aufwendigen Kardiologie-Therapien, so könnte in Zukunft die Devise lauten. Bei den Kosten jedenfalls gab es bereits deutliche Unterschiede:

Bei jedem Ballon-Katheter-Patienten kostete die Behandlung 7.000 Euro im Jahr. Jeder "Sportler" schlug mit 3.700 Euro zu Buche. Letzteres könnte aber wesentlich billiger werden, wenn man in Zukunft auf die aus Sicherheitsgründen durchgeführte zweiwöchige Spitalsaufnahme am Beginn verzichten könnte.
->   Herzzentrum der Universität Leipzig
->   Münchener Medizinische Wochenschrift
 
 
 
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01.01.2010