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Mit und ohne Gentechnik: Zukunft der Lebensmittel  
  Ende November hat sich der zuständige EU-Fachministerrat darauf geeinigt, dass in Zukunft gentechnisch veränderte Lebensmittel speziell gekennzeichnet werden. Der Lebensmittel- und Biotechnologe Albert Karsai beschreibt in einem Gastbeitrag für science.ORF.at in Kooperation mit "dialog<>gentechnik", warum 100 Prozent gentech-freie Lebensmittel nicht mehr möglich sind - und welche Anstrengungen unternommen werden müssen, um den Konsumenten relative Sicherheit in Sachen Ernährung zu geben.  
Gentechnik entlang der Nahrungsmittelkette
Gastbeitrag von Albert Karsai, dialog<>gentechnik

Wenn es nach den Vorstellungen der EU-Landwirtschaftsminister geht, so müssen künftig alle Lebensmittel, die zu mehr als 0,9 Prozent aus gentechnisch veränderten Organismen (GVO) bestehen, mit einem entsprechenden Hinweis versehen sein. Diese Kennzeichnungsvorschriften sollen für die KonsumentInnen mehr Transparenz bringen, und eine Entscheidung zwischen GVO-hältigen und "GVO-freien" Lebensmitteln ermöglichen.
100 Prozent GVO-frei ist nicht mehr möglich
Die Festlegung eines Grenzwertes ist deshalb notwendig, weil Produkte, die zu 100 Prozent frei von GVO sind, unter den gegebenen Verhältnissen nicht realisierbar sind: Im Jahre 2001 bauten weltweit bereits 5,5 Mio. Landwirte auf 52,6 Mio. Hektar (der überwiegende Teil in den USA, Kanada, China und Argentinien) gentechnisch veränderte Kulturpflanzen an.

Dies entspricht einer Fläche, die rund sechsmal so groß wie Österreich ist. Durch die gemeinsame Behandlung von GVO-hältigen und GVO-freien Rohstoffen und Produkten während Transport und Verarbeitung ist eine geringfügige Vermischung unvermeidlich.
EU-Gesetze: Prinzip der Rückverfolgbarkeit ...
Die neuen EU-Gesetze betreffen alle Beteiligten entlang der Nahrungskette. Ein Kernelement der neuen EU-Gesetzgebung ist das Prinzip der Rückverfolgbarkeit. Alle Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette im Zuge der Lebensmittelproduktion müssen künftig Aufzeichnungen führen, anhand derer sich die Entstehungsgeschichte eines Produktes über alle Verarbeitungsschritte lückenlos rückverfolgen lässt.
... das für alle Produzenten gilt
Auf den ersten Blick scheinen nur die Erzeuger von gentechnisch veränderten Produkten davon betroffen zu sein, doch bei näherer Betrachtung trifft es jeden, der Lebens- oder Futtermittel bzw. deren Rohstoffe und Zutaten erzeugt oder damit handelt.

Denn selbst diejenigen, die auf die "gentechnikfreie Schiene" setzen, müssen die Gentechnikfreiheit ihrer Produkte sicherstellen und plausibel machen können.
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Symposium zum Thema
"Gentechnik in der Nahrungskette" war am 20. November 2002 Thema eines Symposiums in Wien, veranstaltet von dialog<>gentechnik mit finanzieller Unterstützung durch das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW). VertreterInnen aus den Bereichen Landwirtschaft, Wissenschaft, Politik, Industrie, Handel und Konsumentenschutz trafen sich im Theatersaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, um dieses kontroversielle Thema sachlich und praxisorientiert zu diskutieren.
->   Tagungsunterlagen zum Symposium (pdf-Datei)
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Koexistenz von GVO- und GVO-freien Betrieben
Ein Streitpunkt in der Landwirtschaft ist die Koexistenz von Betrieben, die GVO miteinbeziehen möchten und solchen, die GVO-frei produzieren wollen oder müssen (wie im Fall der Bio-Landwirte).

Durch Fremdbestäubung von benachbarten Feldern, auf denen GVO angebaut werden, sowie durch Verwendung gemeinsamer Maschinen und Geräte bei Anbau, Pflege und Ernte der Ackerfrüchte können "gentechnikfrei" produzierte Ernten Spuren von GVO enthalten.
Isolationsabstände einhalten
"An der Pollenverbreitung sind neben dem Wind auch Insekten, Vögel und Säugetiere beteiligt. Es müssten daher je nach Pflanzenart unterschiedliche Isolationsabstände eingehalten werden, um unerwünschte Fremdbefruchtung gering zu halten", erläutert Josef Hinterholzer vom Institut für Pflanzenbau der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES).

Selbstverständlich muss die Gentechnikfreiheit der Produkte, d. h. die Erfüllung des Grenzwertes, analytisch nachgewiesen werden. "Mittels molekularbiologischer Methoden werden GVO identifiziert. Ein Test kostet etwa 200,- bis 500,- Euro, abhängig vom Grenzwert und der Anzahl der genetischen Veränderungen", so Hinterholzer.
->   Der gekürzte Symposiumsbeitrag von Josef Hinterholzer
Strenge Kontrollsystem sind vonnöten
Eine lückenlose Rückverfolgbarkeit setzt strenge Kontrollsysteme voraus. Dass dies nicht einfach wird, zeigt Christoph Henöckl vom Futtermittel-Hersteller Garant Tiernahrung GmbH auf: "Die Prozesskette reicht vom Landwirt, Agrarhandel als Dienstleistungsunternehmen für Trocknung, Reinigung und Lagerung der Rohstoffe, über die Lebensmittelindustrie, chemische Industrie als Rohwaren- und Zusatzstofflieferanten, die Frächter als Logistiker von Rohstoffen und Futter, die Futterwerke als Produzenten, den Handel bzw. die Landwirte als Abnehmer, über die Verarbeiter von tierischen Produkten (Schlächter, Packer, Molkereien usw.), bis zum Lebensmittelhandel als Inverkehrbringer von tierischen Produkten".
Ungeklärte Haftungsfragen
Weitestgehend ungeklärt sind auch Haftungsfragen: "Grenzwerte bergen immer die Gefahr, dass Überschreitungen stattfinden, die von einzelnen Gliedern der Prozesskette zwar nicht kontrollier- und beeinflussbar sind, aber die rechtliche Verantwortung dennoch getragen werden muss", warnt Henöckl.
->   Der gekürzte Symposiumsbeitrag von Christoph Henöckl
Konsumenten würden keine GVO-Produkte kaufen ...
Nach Petra Lehner von der Abteilung für Konsumentenschutz der Arbeiterkammer Wien würden nur wenige KonsumentInnen gentechnisch veränderte Lebensmittel kaufen, wenn man ihnen die Wahl lässt. Dies gehe aus umfangreichen Umfragen hervor. "Umfrage-Ergebnisse und Kaufverhalten sind zwar nicht immer zu 100% deckungsgleich, aber die KonsumentInnen wollen und sollen ihre 'Macht mit dem Einkaufskorb' ausüben. Dies sei nur bei eindeutiger Kennzeichnung möglich".
... deshalb eindeutige Kennzeichnung nötig
Eindeutige Kennzeichnungsgesetze für Lebensmittel fordert auch der Handel. "Die noch immer fehlende endgültige Rechtssicherheit stellt die Hersteller und damit in letzter Konsequenz den Handel vor große Probleme", meint Nicole Berkmann von Spar Österreich.

Noch weitgehend unberührt von der Diskussion ist die Gastronomie. Doch auch in diesem Bereich scheint es nur mehr eine Frage der Zeit, bis die ersten Fragen nach der Gentechnikfreiheit der verwendeten Zutaten gestellt werden.
->   Symposiumsbeitrag von Petra Lehner (gekürzt)
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DI Albert Karsai arbeitet an der Koordinationsstelle für Öffentlichkeitsarbeit von "dialog<>gentechnik".
->   dialog<>gentechnik
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->   Aktuelle Entwicklungen in der "Grünen Gentechnik" (Universum-Magazin)
->   Gentechnik-Information des BMSG
->   Transgen.de: Umfangreiche Informationen zum Thema Gentechnik und Lebensmittel
->   Arbeiterkammer Wien, Konsumentenschutz
->   Mehr über Gentechnik in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010