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ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Binäre RNA - Urform des Lebens?  
  Eine prominente Theorie zur Entstehung des Lebens hat neuerdings gewichtige Untertützung durch das Experiment erfahren. Die so genannte "RNA-Welt-Theorie" geht davon aus, dass die einfachsten lebendigen Systeme aus Verbindungen bestehen, die zur Vermehrung von identischen Molekülen befähigt sind. Zwei amerikanische Wissenschaftler haben nun ein Molekül hergestellt, das genau diesen Forderungen entspricht.  
John S. Reader und Gerald F. Joyce vom amerikanischen "Scripps Research Institute" haben in einer aktuellen Publikation eine theoretische Vorhersage erfüllt, die bereits vor 40 Jahren postuliert worden war.

Damals hatte der Nobelpreisträger Francis Crick spekuliert, dass die Urform des Lebens einen binären genetischen Code aufgewiesen habe. Genau so ein Molekül haben Reader und Joyce nun durch Evolution im Reagenzglas hergestellt.
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"A ribozyme composed of only two nucleotides"
Die Publikation "A ribozyme composed of only two different nucleotides" von John S. Reader und Gerald F. Joyce erschien in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Nature" (Band 420, auf den Seiten 841-845).
->   Nature
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Ursprung des Lebens: Albtraum der historischen Methode
In einer Presseaussendung zur Publikation von Reader und Joyce hieß es: "Wenn der Ursprung des Lebens ein alter Traum von Philosophen ist, dann kann er mit gleichem Recht als Albtraum der Historiker bezeichnet werden."

Diese Aussage trifft punktgenau eine essenzielle Schwierigkeit bei der Suche nach den Ursprüngen des Lebens. Wendet man nämlich die in der Biologie übliche historische Methode an, dann vollzieht man den Verlauf der Evolution rückwärts - und schreitet von der Gegenwart in Richtung Vergangenheit.
Die ältesten Fossilien sind zu jung
Die bekannteste Methode dies zu erreichen, ist jene der Paläontologie - das heißt, die Suche nach versteinerten Urkunden der Stammesgeschichte. Die Entstehung der Erde datiert man etwa 4,5 Milliarden Jahre vor unserer Zeitrechnung. Das Problem dabei: Die ältesten Lebensspuren befinden sich im North-Pole-Gebiet im Nordwesten Australiens. Diese sind allerdings "nur" 3,5 Milliarden Jahre alt.
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Früheste Lebensspuren
Bei den Ablagerungen im australischen North-Pole-Gebiet handelt es sich um mit bloßem Auge nicht erkennbare Reste alter Mikroorganismen und um so genannte Stromatolithen - dünne Schichten aus feinkörnigem Sedimentmaterial, die flächige Kolonien von solchen Kleinstlebewesen gebunden haben.
->   Mehr zu den North-Pole-Stromatolithen
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Antworten durch die Theorie
3,5 Milliarden Jahre sind allerdings viel zu jung, um die Frage nach der Lebensentstehung zu beantworten - nach dem status quo der Theorie muss das entscheidende Ereignis einige hundert Millionen Jahr früher stattgefunden haben.

Mit anderen Worten, die zeitliche und theoretische Lücke ist nur durch hypothetische Modelle zu schließen. Eine durchaus plausible (Teil-)Antwort konnten nun John S. Reader und Gerald F. Joyce liefern. Ihren Ergebnissen zufolge gewinnt die so genannte Theorie der "RNA-Welt" stark an Plausibilität.
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Die RNA-Welt
Der Begriff "RNA-Welt" wurde 1986 vom Harvard-Biologen Walter Gilbert geprägt. Dabei berief er sich auf ein Konzept, demzufolge die ersten lebendigen Systeme auf RNA-Basis entstanden. Und zwar deswegen, weil die RNA (im Gegensatz zu DNA und Proteinen) sowohl als Informationsspeicher wie auch als Enzym fungieren kann. Diese Erkenntnis wurde in den 1980er Jahren von Thomas R. Cech u.a. geliefert.
->   Mehr dazu in science.ORF.at - Rene Schröder: Die RNA-Welt
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RNA-Welt: Theoretischer Ursprung ...
Logischer Ausgangspunkt des RNA-Welt-Konzepts: Irgendwann muss es ein RNA-Enzym gegeben haben, das entweder sich selbst oder andere RNA-Moleküle herstellte. Denn nur dann konnte die natürliche Selektion bereits im Bereich der Moleküle zu tragen kommen.
... und experimenteller Nachweis
John S. Reader und Gerald F. Joyce gelang es nun, genau so ein RNA-Enzym zu konstruieren. Es wirkt, wie von der Theorie gefordert, als Polymerase (d.h. als RNA-vermehrendes Enzym). Der Clou daran: Das Molekül besteht nur aus zwei verschiedenen Bausteinen, dessen genetische Information gehorcht daher einem Binärcode.
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Die Crick-Hypothese: Der binäre genetische Urcode
In heutigen Lebewesen vorkommende Nukleinsäuren (DNA, RNA) bestehen aus vier Bausteinen (Nukleobasen), die abgekürzt mit den Buchstaben A, G, C sowie T (bei der DNA) bzw. U (bei der RNA) bezeichnet werden. Da die Base "C" chemisch relativ instabil ist, vermutete der Co-Entdecker der DNA-Doppelhelix, Francis Crick, bereits vor 40 Jahren, dass der genetische Urcode aus nur zwei Buchstaben bestanden haben muss.
Dies wäre die Minimalversion der genetischen Codierung. Denn mit nur einem "Buchstaben" lassen sich, wie leicht einzusehen ist, keine Informationen speichern.
->   Mehr zur Struktur der RNA
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Plausibles Modell statt endgültiger Wahrheit
Damit wurde die von Francis Crick ersonnene Hypothese erstmals experimentell bestätigt. Allerdings weisen die Befunde von Reader und Joyce einen kleinen Schönheitsfehler auf. Sie konnten zwar zeigen, dass es prinzipiell funktionierende RNA-Enzyme mit binärem Code geben kann. Die Methode ihrer Herstellung (Evolution im Reagenzglas) ist aber nicht als Simulation der Ursuppenbedingungen auf der noch jungen Erde gedacht.

Auch wenn es vermutlich nie eine endgültige Antwort auf das darwinistische Welträtsel geben wird: Die RNA-Welt-Theoretiker haben zumindest im Moment gute Karten in der Hand.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   The Scripps Research Institute
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01.01.2010