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Meilenstein auf dem Weg zum Quantencomputer  
  Österreichischen Forschern ist es gelungen, einen Schritt in die Zukunft der Datenverarbeitung zu setzen: Sie stellten einen Quantencomputer her, dessen "Prozessor" aus einem Calcium-Atom in einer Ionenfalle besteht. Damit können bereits einfache Rechenoperationen ausgeführt werden.  
Stefan Gulde, Mark Riebe und ihre Kollegen vom Innsbrucker Institut für Experimentalphysik haben einen Meilenstein auf dem Weg zum Quantencomputer passiert. Mit ihrem Versuchsaufbau kann der so genannte Deutsch-Jozsa-Algorithmus berechnet werden, der ein klassisches Problem der Quanteninformatik zu lösen vermag.
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"An ion-trap quantum computer"
Der Artikel "Implementation of the Deutsch-Jozsa algorithm on an ion-trap quantum computer" von Stefan Gulde, Mark Riebe und Mitarbeitern ist in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature" (Band 421, S. 48-50) erschienen.
->   Nature
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"Wer über die Quantentheorie nicht entsetzt ist ..."
Die Welt der Quanten und Atome wird von Gesetzen beherrscht, die mitunter zu bizarren Folgerungen führen:

Ein Untersuchungsobjekt kann sowohl Teilchen- als auch Welleneigenschaften aufweisen, Elektronen beschrieben keine definierte Flugbahn, sondern befinden sich in einer "Wolke" der Aufenthaltswahrscheinlichkeit und Atomzerfalle passieren, ohne dass dafür eine Ursache anzugeben wäre.

Aufgrund dieser und anderer Eigentümlichkeiten prägte der große dänische Atomphysiker Niels Bohr den Ausspruch: "Wer über die Quantentheorie nicht entsetzt ist, der hat sie nicht verstanden."
Klassische Computer
Dem gemäß überrascht es kaum, dass man auch im Rahmen der Quanteninformatik mit ungewöhnlichen Eigenschaften konfrontiert ist. In einem "klassischen" Computer können alle logischen Operationen auf zwei elementare Zustände zurückgeführt werden: "1" und "0". Die kleinste Einheit des Informationsgehalts ist daher eine binäre Entscheidung, allgemein bekannt als "bit".
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bit - binary digit
Das Kürzel "bit" steht für englisch "binary digit" und ist die Maßeinheit für den Informationsgehalt eines Einzelzeichens in einer geschriebenen oder signalisierten Nachricht. Da ein bit für eine binäre Entscheidung steht, berechnet sich der Informationsgehalt eines Zeichens durch den Logarithmus dualis der Gesamtzeichenanzahl. (Für diesen einfachen Fall gilt die Voraussetzung, dass alle Zeichen gleich häufig auftreten). Beim deutschen Alphabet hat man (inkl. Satzzeichen) derer 32, folglich lässt sich ein Buchstabe durch einen 5 bit-Code darstellen.
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Unscharfe Quantenlogik
Ganz anders ein Quantencomputer: Dieser kennt neben den klassischen Zuständen 0 und 1 auch so genannte Überlagerungszustände, die irgendwo dazwischen liegen. Wenn man annimmt, dass für den klassischen Computer "1" und "0" die Aussagen "Ja" und "Nein" bedeuten, dann lässt sich über den Quantencomputer sagen, dass er auch alle erdenklichen Formen von "Jein", "Vielleicht" und dergleichen kennt.
Theorie: Mögliche Quantencomputer
Da man den Österreichern ohnehin einen gewissen Hang zu verbalen Zwischentönen und Unschärfen attestiert, passt es durchaus zum alpenländischen Klischee, dass hierzulande die erste experimentelle Realisierung eines Ionenfallen-Prozessors gelang.

Aus physikalischer Sicht stehen dafür alle möglichen Systeme zur Verfügung, so lange sie nur zwei Bedingungen erfüllen: Erstens müssen sie der linearen Grundstruktur der Quantentheorie genügen und zweitens zwei Basiszustände besitzen, die man entsprechend mit "Ja" oder "Nein" kodieren kann.

Beispiele dafür wären etwa polarisierte Photonen, freie Elektronen mit Spin oder Atome mit zwei verschiedenen Energie-Zuständen.
Praxis: Calcium-Ionen als "Prozessor"
Stefan Gulde, Mark Riebe und ihre Mitarbeiter wählten letztere Variante und verwendeten im Rahmen ihres Experiments ein Calcium-Atom in einer so genannten Ionenfalle aus. Als Zustände für die Quantenbit-Codierung dienten der elektronische Zustand sowie die Bewegung des Calcium-Ions.
Rechenvorschrift nach Deutsch und Jozsa
Da aber auch ein Minicomputer nur dann seinem Namen gerecht wird, wenn er etwas berechnet, mussten die Innsbrucker auch eine Rechenvorschrift in ihr System einbauen. Diese Vorschrift, Deutsch-Jozsa-Algorithmus genannt, löst ein bekanntes Problem der Quanteninformatik.
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Der Deutsch-Josza-Algorithmus
Dieser Algorithmus ist nach den britischen Physikern bzw. Computerwissenschaftlern David Deutsch und Richard Jozsa benannt. Anschaulich gesprochen könnte er in einem Verfahren eingesetzt werden, das dem Erkennen gefälschter Spielmünzen gleicht. In der klassischen Welt müsste man dazu beide Seiten der Münze betrachten, um auszuschließen, dass auf beiden Seiten Kopf (oder Zahl) vorkommt. In der Quantenwelt gelingt das mit dem Deutsch-Jozsa-Algorithmus in einem Schritt. Mit anderen Worten: Man kann gewissermaßen mit einem Blick beide Seiten der Münze inspizieren. (Die Physiker sprechen hierbei von der Paritätsbestimmung einer binären Funktion).
->   Mehr dazu in einer Originalveröffentlichung von D. Deutsch (pdf-File)
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Euphorische Reaktionen
Um diesen Quantenalgorithmus in ihr System einzubauen, verwendeten die Innsbrucker Physiker Laserpulse. Das Experiment endete erfolgreich, die internationalen Kommentare sind euphorisch: Jonathan Jones von der University of Oxford wertet das Resultat in einem "Nature"-Begleitartikel als den "ersten eindeutigen Nachweis von Quantencomputation".

Freilich bewegt sich die hier präsentierte Rechenleistung noch auf dem äußerst basalen Niveau von zwei Quantenbits, und der Weg zum leistungsfähigen Quantencomputer ist noch mühselig und lang. Aber wie schon Neil Alden Armstrong wusste: Auch kleine Schritte sind oft von überragender Bedeutung.
Das Innsbrucker Team stellt seine Ergebnisse vor:
->   Zum Artikel auf der Uni-Website
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01.01.2010