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Kultur-Fähigkeit älter als bisher angenommen  
  Orang-Utans nutzen Blätter als Servietten, haben eine Art Gute-Nacht-Ritual entwickelt und nutzen Stöcke als Werkzeuge - nach neuen Erkenntnissen von Forschern Zeichen dafür, dass die Menschenaffen eine Kultur entwickelt haben, neue Verhaltensweisen lernen und diese der nächsten Generation weitergeben können. Dies deutet darauf hin, dass die frühen Primaten - darunter die Vorfahren des Menschen - die Fähigkeit zur Erfindung neuer Verhaltensweisen bereits vor 14 Millionen Jahren entwickelt haben, sechs Millionen Jahre früher als bislang angenommen.  
"Wenn die Orang-Utans eine Kultur haben, sagt uns das, dass die Fähigkeit zum Entwickeln von Kultur sehr alt ist", sagt Birute Galdikas, Koautorin einer in "Science" erschienenen Studie.

Im Verlauf der Evolution "trennten sich die Orang-Utans von unseren Vorfahren und von den afrikanischen Affen vor vielen Millionen Jahren", schreibt Galdikas. Die neue Studie deute darauf hin, "dass sie möglicherweise schon vor der Trennung eine Kultur hatten".
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Die Studie von Carel P.van Schaik, Birute Galdikas und Kollegen ist unter dem Titel "Orangutan Cultures and the Evolution of Material Culture" in der aktuellen Ausgabe von "Science" (Bd. 299, S. 102-105) erschienen.
->   Science
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Kultur: Erfindung und Weitergabe von Verhaltensweisen
Kultur im wissenschaftlichen Sinn ist die Fähigkeit, neue Verhaltensweisen zu erfinden, die von der Population übernommen und an nachfolgende Generationen weitergegeben werden.

Die Kultur der Orang-Utans wird von verschiedenen Gruppen und ihren Nachfolgegenerationen unabhängig voneinander entwickelt und praktiziert - genauso wie menschliche Gesellschaften einzigartige Formen von Musik, Architektur, Sprache, Kleidung und Kunst hervorbringen und weitergeben.
Jahrelange Beobachtung
Galdikas analysierte mit acht weiteren Primatenforschern Erkenntnisse jahrelanger Beobachtung der scheuen südostasiatischen Orang-Utans und kamen zu dem Schluss, dass die Menschenaffen eindeutig die Fähigkeit haben, gelernte Verhaltensweisen anzunehmen und weiterzugeben. Im Mittelpunkt der Studie standen sechs räumlich voneinander getrennte Orang-Utan-Gruppen in Borneo und Sumatra.
Einzigartige Verhaltensweisen verschiedener Gruppen
Dabei stellte sich heraus, dass jede der Gruppen einzigartige Verhaltensweisen praktizierte. Mitglieder von Gruppen in Borneo und Sumatra beispielsweise erzeugen ein quietschendes Geräusch, indem sie die Lippen zusammenpressen und Luft einziehen.

Beide Gruppen nutzen Blätter, um das Geräusch zu verstärken, aber nur die Gruppe aus Borneo hat darüber hinaus entdeckt, dass der Klang verändert werden kann, wenn die Hände über den Mund gewölbt werden. Das Geräusch dient offenbar der Kommunikation.
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Orang-Utan
Orang-Utans (malaiisch für "Waldmensch") leben in in den feuchten Wäldern Borneos und im Nordwesten Sumatras. Die Menschenaffen haben langhaariges rötliches bis dunkelbraunes Fell, lange Arme und verhältnismäßig kurze Beine. Die größten Pongo pygmaeus sind bis zu zwei Meter hoch und zeichnen sich durch sehr kräftigen Körperbau aus. Orang-Utans bauen Schlafnester aus Laub und Zweigen und leben von pflanzlicher Nahrung. Der Bestand des Orang-Utans ist durch frühere Jagd und Lebensraumzerstörung stark zurückgegangen und trotz gesetzlichem Schutz weiterhin ernsthaft bedroht.
->   Mehr über Orang-Utans (Zoo Hannover)
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Gute-Nacht-Ritual, Handschuhe ...
Zeichnung: Perry van Duijnhoven
Orang-Utan, der mit mit einem Stock Samen aus einer Frucht holt
Eine der sechs Gruppen entwickelte eine Art Gute-Nacht-Ritual. Dabei atmen die Menschenaffen durch zusammengepresste Lippen aus und erzeugen so ein spezielles Geräusch. Eine Gruppe in Sumatra hat gelernt, Blätter als Handschuhe zu benutzen, um dornige Früchte zu halten.

Die anderen Gruppen haben diese Entdeckung noch nicht gemacht. Eine weitere Gruppe in Sumatra taucht einen Zweig mit Blättern in ein wassergefülltes Baumloch und leckt die Feuchtigkeit dann von den Blättern. Und nur eine der sechs Gruppen hat gelernt, Stöcke zu benutzen, um Insekten aus Baumlöchern oder Samen aus Früchten zu holen.
... und Stockeinsatz
Unter Schimpansen ist eine solche Benutzung verbreitet, die Orang-Utans auf Sumatra haben die Praxis aber abgewandelt: Sie fassen den Stock mit den Zähnen und nicht mit den Händen.

Eine Gruppe in Borneo nutzt Blätter, um sich das Gesicht damit abzureiben. Eltern lehren ihre Kinder diese Verhaltensweise.
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24 Beispiele für ein bestimmtes Verhalten
Insgesamt fanden die Forscher 24 Beispiele für ein bestimmtes Verhalten, das mindestens eine der Gruppen regelmäßig nutzt und an Nachfolgegenerationen weitergibt. Zwölf weitere Verhaltensweisen - beispielsweise der Bau eines Kissens mit Hilfe von Zweigen - wurden nur selten beobachtet oder nur von einzelnen Individuen praktiziert.
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"Hohes kognitives Niveau"
"Die Entwicklung dieser Kultur zeigt, dass sie ein hohes kognitives Niveau haben", sagt Galdikas, die die Tiere seit 30 Jahren in freier Natur beobachtet. "Orang-Utans sind so intelligent wie Schimpansen oder Gorillas, aber sie haben eine andere Mentalität und Persönlichkeit." Sie seien weniger gesellig und bewegten sich langsamer.

"Ihre geistige Fähigkeit ist sehr, sehr meditativ. Sie sind sehr gescheit." Ihr Lebensraum wird indes immer kleiner: Die Population ist laut Galdikas in den vergangenen 50 Jahren um 90 Prozent zurückgegangen, derzeit lebten nur noch 15.000 bis 20.000 Orang-Utans in freier Wildbahn.
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Was den Menschen vom Affen unterscheidet
->   UNO-Projekt zur Rettung der großen Affenarten
 
 
 
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01.01.2010