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Bald erstes Medikament gegen Kurzsichtigkeit?  
  US- und Schweizer Wissenschaftler entwickeln das erste Medikament, das die Entstehung von Kurzsichtigkeit bei Kindern reduzieren kann. Erste klinische Tests berichten von einer Reduktion des Krankheitsfortschritts um bis zu 50 Prozent.  
Bei dem Medikament handelt es sich um ein Gel, das zwei Mal pro Tag auf die Augen aufgetragen werden muss.
Novartis erwarb Lizenz
Die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen an Probanden verliefen so erfolgreich, dass die Augenheilkunde-Abteilung des Schweizer Pharmakonzerns Novartis (Novartis Ophthalmics) die Lizenz für die Weiterentwicklung und künftige weltweite Vermarktung von "Pirenzepine Gel" erworben hat. Das teilte das Unternehmen am Mittwoch in einer Presseaussendung mit.
->   Novartis Ophthalmics
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Der Wirkstoff: Pirenzepine
Dahinter steckt ein Gel mit der Substanz Pirenzepine. Es handelt sich dabei um einen Gegenspieler, der spezifisch die Muscarin-M1-Rezeptoren im Auge blockiert. Zu solchen Wirkstoffen gehört auch das den Menschen aus der Tollkirsche seit Jahrtausenden bekannte Atropin. Es handelt sich um Substanzen, welche auch den Nervenbotenstoff Acetylcholin hemmen (Anticholinergika). Ähnliche Wirkstoffe werden beispielsweise auch zur Erweiterung der Bronchien bei chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) eingesetzt.
->   Mehr über Atropin (medicine worldwide)
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Krankheitsfortschritt um die Hälfte reduziert
Die Entwicklung des ersten Medikaments gegen Kurzsichtigkeit ist schon relativ weit fortgeschritten.

"Valley Forge Pharmaceuticals haben das Pirenzepine-Gel in zwei klinischen Studien der Phase II an 174 Kindern in den USA und an 176 Kindern in Asien erprobt. Zwei Drittel erhielten echte Medikamente, ein Drittel - ohne dass es jemand wusste - ein Placebo-Gel. Die Kinder waren zwischen acht und zwölf Jahre alt. Es zeigte sich eine Reduzierung des Fortschreitens der Kurzsichtigkeit um bis zu 50 Prozent. Damit sind die bisherigen Studien ausgesprochen positiv verlaufen. Es gab nur sehr milde Nebenwirkungen", erklärte am Mittwoch Dwight Akerman, stellvertretender Wissenschaftschef bei Novartis Ophthalmics, gegenüber der APA.
Wirkungsmechanismus nicht genau bekannt
Der Experte über den möglichen Wirkungsmechanismus: "Ganz genau ist das noch nicht geklärt. Aber man wusste bereits, dass Atropin das Längenwachstum des Auges bremsen kann. Nur hat Atropin zu große Nebenwirkungen, um es dafür anzuwenden. Das Längenwachstum des Auges ist ja die Ursache der Kurzsichtigkeit. Wir glauben, dass man das Medikament im Alterszeitraum von etwa fünf bis 19 Jahren verwenden könnte. Das ist ja die Phase, in der das Auge wächst."
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Kurzsichtigkeit
Bei Kurzsichtigkeit (Myopie) wird das Licht nicht direkt auf die Netzhaut gebrochen. Der Fokus liegt vielmehr kurz davor, wodurch ein unscharfes Bild entsteht. Diese Fehlfunktion kann mit exakt bemessenen Brillengläsern und Kontaktlinsen behoben werden, sodass das Licht direkt auf die Netzhaut fällt. Von Myopie sind allein in den Industriestaaten rund 50 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter zwischen fünf und 19 Jahren betroffen. Als schwere Kurzsichtigkeit werden mehr als sechs Dioptrien und als pathologische Myopie mehr als zwölf Dioptrien betrachtet.
->   Mehr über Kurzzsichtigkeit (medicine worldwide)
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Wiener Augenexperte bestätigt Therapieprinzip
Der Vorstand der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie am Wiener AKH, Andreas Wedrich, bestätigte gegenüber den APA den möglichen Werdegang des Therapieprinzips über das alte Atropin: "Man hat früher Atropin in sehr niedriger Dosierung in diesem Anwendungsgebiet (mögliche Verhinderung der Kurzsichtigkeit, Anm.) anzuwenden versucht, sah aber keine Möglichkeit für einen breiten Gebrauch."

Es waren die Nebenwirkungen, welche das Atropin, das ja sonst zur Erweiterung der Pupillen beim Augenarzt eingetropft wird, ins "Out" brachte.
Relativ geringe Nebenwirkungen
Pirenzepine wirkt hingegen viel spezifischer. Akerman: "An Nebenwirkungen wurden bisher nur eventuell sehr leichte Lichtempfindlichkeit bzw. sehr leicht verschwimmendes Sehen bemerkt. Das sind aber Nebenwirkungen, die leicht und bei solchen Medikamenten zu erwarten sind."
Vorbeugende Behandlung am besten
Am wichtigsten wäre eine möglichst vorbeugende Behandlung bei Kindern, bei denen Elternteile oder sogar beide Eltern an schwerer Kurzsichtigkeit leiden. Das Problem ist nämlich zu einem recht hohen Maß vererbbar.

Akerman: "Man wird davon ausgehen müssen, dass diese Behandlung über Jahre hinweg angewendet werden muss. Aber man könnte natürlich jene Hochrisiko-Kinder definieren, die dafür in Frage kommen - wenn beispielsweise beide Eltern an hochgradiger Myopie (Kurzsichtigkeit, Anm.) leiden."

Sollte bei den Kindern beispielsweise im Alter von vier, fünf oder sechs Jahren eine beginnende Kurzsichtigkeit festgestellt werden, könnte das Pirenzepine-Gel bis zum Abschluss des Augenwachstums angewendet werden, um eine Verschlechterung möglichst zu verhindern.
Phase-III-Studien in Vorbereitung
Jetzt werden bereits die Vorbereitungen für groß angelegte Phase-III-Studien mit noch viel mehr gefährdeten Kindern vorbereitet. "Sie sollen noch in diesem Jahr anlaufen. Weil es sich aber um ein völlig neues Gebiet für die Therapie handelt, werden wir Gespräche zum Beispiel mit der US-Arzneimittelbehörde FDA führen, wie das am besten ablaufen sollte", sagte Akerman. So soll ein unabhängiges Beratungskomitee geschaffen werden, um die Studien penibelst zu kontrollieren.
->   science.ORF.at: Kurzsichtigkeit bisher häufig falsch behandelt?
 
 
 
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01.01.2010