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Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich  
  Welche Rolle spielten die Geisteswissenschaften während der NS-Herrschaft? Ein aktuelles Buch geht dieser Frage nach - und berichtet von Kontinuitäten und Brüchen einzelner Disziplinen.  
Die vom Romanisten Frank-Rutger Hausmann herausgegebene und eingeleitete Publikation "Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933-1945" versammelt Expertenbeiträge über elf Fächer, eine institutionsgeschichtlichen Studie und einen allgemeinen Essay.
Geschichtswissenschaft: 40 Prozent kooperierten ...
So kann die Position der Geschichtswissenschaft nicht ohne Kenntnis ihrer Grundlinien in der Weimarer Republik richtig eingeschätzt werden. Zu bedenken sind vor allem die als krisenhaft empfundenen Jahre unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Wie im Kapitel über dieses Fach konstatiert wird, hatte eine Mehrheit der Historiker sich schon damals verpflichtet, Auswege aus der Krise aufzuzeigen. Dafür bemühten sie die deutsche Geschichte und stellten sie als eine besondere Alternative zum Politikverständnis der Siegermächte dar.

Rund 40 Prozent der Geschichtswissenschaftler entschlossen sich nach 1933 zu einer offenen Kooperation mit dem NS-System. Eine etwa gleich große Gruppe strebte ein Arrangement an und versuchte, im Rahmen des Möglichen das traditionelle Wissenschaftsverständnis zu bewahren.
... nur eine Minderheit war kritisch
Nur eine Minderheit blieb kritisch. Immerhin entstand zwischen 1933 und 1945 kein einheitliches nationalsozialistisches Geschichtsverständnis oder ein neues Verständnis im Sinn einer "kämpfenden" Wissenschaft, wie sie die überzeugten Nationalsozialisten unter den Historikern anstrebten.
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Frank-Rutger Hausmann (Hg.): "Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933-1945", R. Oldenbourg Verlag, 401 Seiten, 66,70 Euro
->   Mehr über das Buch (Oldenbourg Verlage)
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Konkurrenzkampf NS-aktiver Philosophen
Auch eine hier und da propagierte "Deutsche Philosophie" im Sinn des Regimes setzte sich nicht allgemein durch. Der Konkurrenzkampf unter den NS-aktiven Philosophen um die Führung im Fach blieb unentschieden.
Populär: Urgeschichte, Anthropologie, Volkskunde
Einen rasanten Aufschwung erlebte nach 1933 die Ur- und Frühgeschichte. Sie wurde hofiert und profitierte von solcher Hofierung wie kaum ein anderes Fach, außer vielleicht der Anthropologie einschließlich der Rassenhygiene, der Wehrwissenschaft, der Volkskunde und "kriegswichtiger" Fächer wie Psychologie oder Medizin. Parallel mit dem Aufschwung gab es eine kaum noch vorstellbare Popularisierung und Vulgarisierung, zum Teil mit wissenschaftlich nicht haltbaren Thesen.
Kein Bruch bei Germanistik und Sprachwissenschaft
Die Germanistische Literaturwissenschaft war im Dritten Reich zwar eine zentrale Disziplin, exponierte sich aber nicht über Gebühr. Trotz zum Teil massiver Förderung rückte keiner der von der Nationalsozialisten besonders bevorzugten Bereiche, etwa Gegenwartsliteratur und Auslandsdeutschtum, vom Rand ins Zentrum des Fachs. Allerdings wurden große Teile der Literatur in Acht und Bann getan.

In der deutschen Sprachwissenschaft gab es ebenfalls keinen Bruch. Das Regime fand ein schon durchweg politisiertes Fach vor, das nicht erst instrumentalisiert zu werden brauchte. Auch rassistisch argumentierende Strömungen hatten ihren Ursprung vor 1933.
Psychologie: Sachlichkeit und Anbiederung
Die Psychologie präsentiert sich im Rückblick weitgehend von Kontinuitäten, zum Teil aber auch von Ideologisierung bestimmt, von einer Kombination von Sachlichkeit und Anbiederung an das Regime. Hierbei wurde versucht, schon bestehende Theorien und Forschungsprogramme mit mehr oder weniger radikalen Änderungen NS-konform darzustellen, so etwa im Sinn der Rassenideologie.
Musikwissenschaftler schon zuvor deutschtümelnd
Die meisten Musikwissenschaftler brauchten sich der nationalsozialistischen Deutschtümelei gar nicht erst anzupassen. Sie waren ohnehin von einer Höherwertigkeit des nationalem Erbes überzeugt - und zwar unabhängig von ihrem Herkunftsmilieu und ihren politischen Präferenzen. Sie gewannen damit auch Forschungsfreiraum.

Rudolf Grimm/dpa
 
 
 
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01.01.2010