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Wie das Gehirn Inhalt und Form von Sprache verarbeitet  
  Sprache ist niemals bloß die Abfolge inhaltlicher Bedeutungen. Wer anderen zuhört, ist zugleich immer einem Fluss begleitender Gefühle ausgesetzt. Welche Prozesse Inhalt und Form von Gesprochenem in unserem Gehirn auslösen, haben nun belgische Neuropsychologen unter die Lupe genommen.  
Beim Verarbeiten "emotionaler Kommunikation" spielen beide Gehirnhälften eine Rolle: Die rechte konzentriert sich auf das "Wie" des Gehörten und die linke auf das "Was" - wobei diese Trennung nicht eindeutig ist.

Diese Verfeinerung bekannter Thesen beschreiben Guy Vingerhoets, Celine Berckmoes und Nathalie Stroobant vom Labor für Neuropsychologie der Universität Ghent in der aktuellen Ausgabe von "Neuropsychology". Die Fachzeitschrift wird von der "American Psychological Association" (APA) herausgegeben.
->   American Psychological Association
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Die Studie von Guy Vingerhoets und seinem Team ist unter dem Titel "Cerebral Hemodynamics During Discrimination of Prosodic and Semantic Emotion in Speech Studied by Transcranial Doppler Ultrasonography" in "Neuropsychology" (Bd. 17, Nr. 1.) erschienen.
->   Neuropsychology
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Messung der Fließgeschwindigkeit des Blutes
Die Ausgangsüberlegung: Die linke Gehirnhemisphäre dominiert bei der Verarbeitung sprachlicher Inputs, die rechte bei Gefühlen. Was aber geschieht, so die Frage der belgischen Forscher, wenn das Gehirn mit einer "emotionalen Sprache" - Sätzen mit besonders gefühlsauslösender Melodie - konfrontiert wird?

Um dies zu klären, verwendeten sie die so genannte transcraniale Doppler Ultrasonographie (Ultraschall): eine nicht-invasive Methode, welche die Geschwindigkeit des Blutflusses in den mittleren zerebralen Arterien des Gehirns misst. Diese Geschwindigkeit gilt als Indikator für die Aktivität des Gehirns, da Nervenzellen für ihre Arbeit Glukose und Sauerstoff benötigen, was ihnen durch das Blut zur Verfügung gestellt wird.
Semantik vs. Satzmelodie
36 Probanden, die mit Ultraschall-Geräten verbunden waren, nahmen an den Versuchen teil. Sie hatten die Art der Emotion von einigen Dutzend Sätzen zu identifizieren, die zuvor aufgenommen worden waren.

Vingerhoets und sein Team baten die Teilnehmer, sich entweder auf die semantische Bedeutung der Wörter zu konzentrieren oder auf die Satzmelodie (Prosodie = Tonhöhenverlauf), die Gefühle mittransportiert bzw. auslöst.
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Vier emotionale Bedeutungen, eine neutrale
Jeder der Sätze war durch eine von vier grundlegenden Gefühlen charakterisiert - Wohlbefinden, Trauer, Wut, Angst - oder durch eine neutrale semantische Bedeutung. Beispiele dafür: "Ihm gefällt der lustige Comic wirklich" (Wohlbefinden), "Das kleine Mädchen hat seine Eltern verloren" (Trauer), "In dem dunklen Tunnel brach Panik aus" (Angst) und "Geben sie die Scheibe immer in den Schutzbehälter" (neutral). Schauspieler sprachen diese und ähnliche Phrasen entweder in emotional gefärbter oder in einer neutralen Satzmelodie.
->   Universität Ghent
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Zuordnung der Gefühle
Beim Hören der Sätze ordneten ihnen die Probanden die ihrer Ansicht nach passende Emotion zu - indem sie auf die entsprechenden Stellen einer Karte deuteten. Und zwar mit den Zeigefingern beider Hände, um auf diese Weise nicht eine Gehirnhemisphäre zu mehr Leistung zu aktivieren als die andere (Körperbewegungen der einen Seite werden von der jeweils anderen Gehirnhälfte kontrolliert).
Bedeutung links, Emotion rechts - aber nicht nur
Und das waren die Resultate der Studien von Vingerhoets und seinem Team: Sobald sich die Teilnehmer auf die semantische Bedeutung des Satzes konzentrierten, erhöhte sich der Blutfluss in der linken Gehirnhälfte signifikant.

Richteten sie ihre Aufmerksamkeit hingegen auf die Art und Weise, wie die Sätze gesprochen wurden, erhöhte sich die Geschwindigkeit des Blutes auch in der rechten Gehirnhälfte - ohne dass sie sich auf der anderen Seite verringerte. Dies könnte Ausdruck dessen sein, dass die linke Gehirnhälfte semantische Inhalte automatisch verarbeitet und gleichzeitig dabei hilft, Emotionen quasi zu kategorisieren, erklären die Forscher.
Physischer Beweis
Damit sei auch ein physischer Beweis dafür erbracht worden, dass die rechte Gehirnhälfte nicht ausschließlich für das Verarbeiten von Gefühlsausdrücken verantwortlich ist.

"Selbst wer sich auf die Fragen nach dem 'Wie' eines gesprochenen Satzes konzentriert, kommt nicht daran vorbei, auch das 'Was' zu hören. Das ist, was wir die ganze Zeit machen und gewöhnt sind", so Vingerhoets in einer Aussendung.
Die Prozesse beim Hören und Verstehen von Sprache
Prinzipiell wird von der Neuropsychologie von folgenden Prozessen ausgegangen, die beim Hören und Verstehen von Sprache ablaufen: Zunächst nimmt das Gehirn eine akustisch-phonetische Analyse des Gesagten vor. Danach werden auf zwei Wegen weitere Informationen herausgefiltert. Innerhhalb eines Verarbeitungspfades erfolgt der Zugriff auf Wortkategorie und Erstellung der grammatischen bzw. syntaktischen Struktur, dann erst der Zugriff auf die Semantik.

In einem zweiten Pfad wird die prosodische Information (Tonhöhenverlauf, Satzmelodie) verarbeitet. Prosodie kann ebenfalls die Struktur eines Satzes signalisieren - und z.B. die Unterscheidung von Aussage- und Fragesatz ermöglichen. Alle Informationen werden vom Gehirn - von Wort zu Wort - innerhalb von 600 Millisekunden verarbeitet.

Vingerhoets und sein belgisches Team haben sich in ihrer Arbeit auf das Zusammenspiel von Semantik und Prosodie konzentriert.
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01.01.2010