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Mangelhaft: Medizin-Information im Internet  
  Welche Qualität haben Informationen über Arzneimittel im Internet? Eine Studie deutscher Mediziner, die zufällig ausgesuchte Websites über das häufig bei Depressionen angewendete Johanniskraut überprüfte, deckte schwere Mängel auf: Nur ein Viertel gab zuverlässig Auskunft, speziell Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten wurde keine Aufmerksamkeit geschenkt.  
Nach Angaben der Wissenschaftler von der Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie an der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg schnitten Homepages, deren Betreiber kein kommerzielles Interesse an der Verwendung von Johanniskraut hatten, deutlich besser ab - und sollten deshalb von Internet-Nutzern bevorzugt werden.

Auch der Bezug auf wissenschaftliche Studien sei ein Qualitätsmerkmal, schreiben sie im "American Journal of Medicine".
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Die Studie von Meret Martin-Facklam, Michael Kostrzewa, Falk Schubert, Christiane Gasse, Walter E. Haefeli ist unter dem Titel "Quality Markers of Drug Information on the Internet: An Evaluation of Sites about St. John's Wort" vor kurzem im "American Journal of Medicine" (Bd. 113, S. 740-745) erschienen.
->   Original-Abstract
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Informationsangebote ohne Kontrolle
Das Internet ist mittlerweile eine der wichtigsten Informationsquellen zu allen Fragen der Gesundheit. Problematisch ist nach wie vor die Qualität der Informationsangebote, da es keinerlei Kontrolle der eingespeisten Information auf Vollständigkeit, Einseitigkeit und Mängel gibt.

Zwar können sich Anbieter freiwillig bestimmten Auflagen unterwerfen, die von nationalen wie internationalen Organisationen erarbeitet worden sind, z.B. im so genannten "E-Health Code of Ethics". Sie fordern klare Angaben zu allen Autoren, Informationsquellen sowie den Betreibern und der Finanzierung der Homepage. Doch haben sich diese bislang nicht als unverzichtbare Qualitätssiegel durchgesetzt.
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E-Health Code of Ethics
Der E-Health Code of Ethics wurde im Mai 2000 von der "Internet Healthcare Coalition" (IHC) vorgestellt. Dabei handelt es sich um eine internationale Non-Profit-Organisation, deren Ziel es ist, Richtlinien qualitativ wertvoller Medizin-Information im Internet zu erstellen.
->   Der E-Health Code of Ethics (pdf-Datei, Deutsch)
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Infos nötig gegen unerwünschte Nebenwirkungen
Die Heidelberger Pharmakologen untersuchten insgesamt 208 englischsprachige Websites zum Johanniskraut, da dessen Anwendung ohne die Beachtung bestimmter Informationen zu Komplikationen führen kann.

"Johanniskraut beschleunigt den Abbau bestimmter Arzneimittel und kann dadurch ihre Konzentration und damit ihre Wirkung vermindern. Zum Beispiel kann es bei transplantierten Patienten, die das Medikament Ciclosporin einnehmen, zu Transplantatabstoßungen kommen", erläutert Meret Martin-Facklam in einer Aussendung.
->   Mehr über Johanniskraut (medicine worldwide)
Überprüfung formaler Kriterien und inhaltlicher Qualität
Bei ihrer Analyse zogen die Wissenschaftler einerseits formale Kriterien heran, wie Nennung der Autoren und des Datums. Andererseits überprüften sie die inhaltliche Qualität, d.h. ob die korrekte Anwendung für Johanniskraut (Depression) und Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln, z.B. orale Verhütungsmittel, und deren Konsequenzen erwähnt wurden.

"Nur 22 Prozent der Websites gaben an, dass die einzige wissenschaftlich belegte Indikation für Johanniskraut die Depression ist," führt Martin-Facklam aus. "Ebenfalls 22 Prozent erwähnten wenigstens eine Wechselwirkung, nur zwei Seiten haben eine praktisch vollständige Liste der möglichen Wechselwirkungen aufgelistet."
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Qualitätsmerkmal: Interesselosigkeit, Wissenschaft
Internetseiten ohne kommerzielle Interessen und solche, bei denen die Informationsquelle in Form von wissenschaftlichen Studien aufgeführt ist, weisen eine höhere Qualität auf.
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Defizite der Arzneimittelinformation
Die Wissenschaftler stellten fest, dass auch bei der Arzneimittelinformation im Internet, ebenso wie in anderen Gesundheitsbereichen, erhebliche Defizite bestehen.

"Gerade für Naturheilmittel wie Johanniskraut, die nicht verschreibungspflichtig sind und in anderen Ländern sogar unmittelbar über die Website angefordert werden können, ist korrekte und umfassende Information notwendig. Denn hier wird die Anwendung meist nicht mehr mit dem Arzt oder Apotheker besprochen", so Martin-Facklam.
Nächsten Studien nehmen Viagra unter die Lupe
"Ob diese negative Beurteilung auch für andere Arzneimittel zutrifft, wissen wir noch nicht", schränkt Walter Haefeli, der Leiter der Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie der Universitätsklinik Heidelberg, das Ergebnis der Studie ein.

In einer zweiten Studie wird nun die Arzneimittelinformation zu dem verschreibungspflichtigen Potenzmittel Viagra untersucht. Erste Ergebnisse legen nahe, dass auch hier die Qualität der Information zu wünschen übrig lässt.
->   Mehr über den E-Health Code of Ethics (Journal of Medical Internet Research)
->   Internet Healthcare Coalition
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Medizin im Internet: Wie man seriöse Informationen findet
->   Internet-Tipps zur Selbstmedikation bei Kopfschmerzen
 
 
 
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01.01.2010