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Neue Forschungen über kooperatives Verhalten  
  "Gemeinsam sind wir stark" und "Jeder ist sich selbst der Nächste". So widersprüchlich, aber auch allgegenwärtig sind die Phänomene von Kooperation und Konkurrenz. Forschungen zeigen, dass die Zusammenarbeit zwischen Individuen eine erfolgreiche und stabile Verhaltensstrategie sein kann - dies gilt für das Tierreich wie für die menschliche Gesellschaft.  
Forschungsthema mit Brisanz
Unter dem Eindruck der Arbeiten Charles Darwins nahm man lange an, dass Konkurrenz unser Handeln bestimmt. Dass es im Leben ums Hauen und Stechen geht. Inzwischen steht fest, dass Kooperation eine ebenso wichtige Strategie ist.

Spieltheoretiker, Verhaltensforscher, Anthropologen, Biologen, Soziologen, Psychologen und Ökonomen haben sich in den letzten Jahren intensiv mit der Frage beschäftigt, wann, wie und warum Kooperation entsteht bzw. zusammenbricht.

Immerhin hat diese Thematik enorme gesellschaftliche und politische Brisanz, beispielsweise in Umweltfragen oder in der Unternehmenskultur.
Kooperation entsteht bevorzugt in kleinen Gruppen
Kooperatives Verhalten entwickelt sich am besten in kleinen Gruppen, in denen sich Mitglieder gegenseitig beobachten und erziehen können. Wo keiner anonym ist. Wo das Prinzip - Wie du mir, so ich dir - funktioniert. In großen Gruppen sind die Regulierungs- und Kontrollmechanismen mangelhaft.

Da gibt es Schlupflöcher für Faule, für Trittbrettfahrer, die andere ausnützen. Dennoch gibt es auch in großen Gruppen Kooperation. Weil die Menschen um ihren guten Ruf bemüht sind - so die jüngste Erklärung der Wissenschaft, die sich in den letzten Jahren intensiv der Erforschung der Kooperation in großen Gruppen zugewandt hat.
Der gute Ruf zahlt sich aus
Die aufschlussreichsten Experimente über die Rolle des guten Rufs bei kooperativem Verhalten stammen vom Verhaltensforscher und Evolutionsbiologen Manfred Milinski vom Max Planck-Institut für Limnologie in Plön. Milinski hat zunächst über kooperatives Verhalten bei Fischen geforscht.

Jetzt untersucht er Mechanismen des kooperativen Verhaltens beim Menschen. Fazit: Investitionen in den guten Ruf zahlen sich aus. Der Ruf, die Reputation ist sozusagen die Währung, die bei dieser Art von Austausch eine Rolle spielt.
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"Wer gibt, dem wird gegeben"
Manfred Milinski hat Experimente mit Studenten gemacht, in denen jeder etwas spenden konnte, anonym. Am Computerbildschirm leuchteten nur die Pseudonamen auf. Es stellte sich klar heraus, dass Studenten vorzugsweise denen etwas gaben, von denen sie wußten, dass sie anderen etwas gegeben hatten. Das alte Bibelwort "wer gibt, dem wird gegeben", ist nun erstmals wissenschaftlich bestätigt.
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Bibelwort mathematisch bestätigt
Bereits 1987 hatte der Evolutionstheoretiker Richard Alexander in seinem Buch "The Biology of Moral Systems" diese Auffassung vertreten. Damals wollte ihm keiner glauben. Nun hat Manfred Milinski die Richtigkeit der Annahme experimentell nachgewiesen.

Der Wiener Mathematiker Karl Sigmund hat gemeinsam mit Martin Novak in einem evolutionstheoretischen Modell ebenfalls bestätigt, dass sich die Strategie "gib und dir wird gegeben" in einer Population durchsetzt.
Das Prinzip "Tue Gutes und rede darüber"...
Tue Gutes und rede darüber. Altruistisches Verhalten scheint nach diesem Prinzip bestens zu funktionieren. Und nicht nur das: Altruistisches Verhalten erwies sich bei den Versuchen Manfred Milinskis auch äußerst förderlich für die politische Reputation und damit für eine politische Karriere.

Studenten, von denen bekannt war, dass sie an UNICEF gespendet hatten, wurden besonders oft als Studentenvertreter vorgeschlagen.
...als Erklärung für Charity-Boom
Dieser theoretische Hintergrund bietet auch eine gute Erklärung für das laute charity-Geschäft, das in letzter Zeit immer stärker von den USA nach Europa überschwappt. Unternehmen achten nicht bloß auf Gewinne, sondern entdecken immer mehr ihre soziale Ader. Strategische Nächstenliebe ist angesagt, mit dem Kalkül, dass sich der öffentlich zur Schau getragene Altruismus lohnt.
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Begriffe: Kooperation und Altruismus
Von Kooperation spricht man, wenn für beide Seiten ein Nutzen herausspringt, von Altruismus, wenn der eigene Beitrag mehr Ressourcen kostet als er bringt. Oft fallen die Begriffe zusammen.
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Belohnungen und Bestrafungen
Die Sorge um den guten Ruf ist eine Triebfeder für Altruismus.
Belohnen und Bestrafen sind andere Mechanismen, die das solidarisch- kooperative Verhalten fördern. Das hat der Ökonom Ernst Fehr in seinen jüngsten Experimenten, sog. "public good games", nachgewiesen.

Fehlt die Möglichkeit, zu belohnen und zu bestrafen, setzt sich Egoismus durch. Die Schlussfolgerung daraus: Zu tolerante Gesellschaften öffnen Trittbrettfahrern Tür und Tor
Freiwilligkeit ist notwendig
Ein überaus wichtiges Element für die Aufrechterhaltung von Kooperation in größeren Gruppen bildet die Freiwilligkeit. Das hat der Wiener Mathematiker Karl Sigmund in seinen neuesten Modellen herausgefunden.

Gerade die Möglichkeit, nicht zu kooperieren, aus dem gemeinsamen Unternehmen auszusteigen und ein autarkes Dasein zu führen, garantiert auf lange Sicht die Kooperation.
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Normen können hemmen
Eine enorm wichtige Rolle für das Zustandekommen oder Nichtzustandekommen von Kooperation spielen die Normen, die für Menschen gelten, die Organisationen, in denen Menschen leben, die institutionelle Umgebung. Bietet beispielsweise eine Institution relativ vielen Menschen Einstiegsmöglichkeiten, aber nur sehr wenigen die Möglichkeit zum Aufstieg, so ist das der Kooperation sehr abträglich.
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Reine Leistungsturniere fördern Sabotage
Unkollegiales Verhalten fördern auch relative Leistungsturniere, in denen nur die allerbesten die begehrten Prämien ergattern können. Arbeitet ein Unternehmen auf dieser Basis unterminiert das die Kooperation nachhaltig. Es kommt häufig zu Sabotage. Das haben Wirtschaftswissenschaftler der Universität Bonn in Experimenten mit Testpersonen bestätigt.

Durchgeführt wurden die Experimente rund um den Betriebswirt Matthias Kraekel und um den Volkswirt Reinhard Selten, der 1994 den Wirtschafts-Nobelpreis erhalten hat, gemeinsam mit John Nash, der durch den Film "A Beautiful Mind" einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden ist.

Gab es Prämien für die Besten zu ergattern, versuchten durchschnittlich in jedem zweiten Fall Mitspieler sich auf Kosten ihrer Konkurrenten Vorteile zu verschaffen.

Ein Beitrag von Maria Mayer für das Salzburger Nachstudio auf Ö1, vom 15.1.2003 um 21:01 Uhr.
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01.01.2010