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Gedenkjahr: Die Aktualität Theodor W. Adornos  
  2003 ist Theodor W. Adorno-Gedenkjahr. Der streitbare Philosoph, Soziologe, Psychologe, Musikwissenschaftler und Komponist wäre am 11. September 100 Jahre alt geworden. Das ganze Jahr über widmen sich zahlreiche Veranstaltungen dem Leben und Werk des kritischen Denkers. Eine Reihe von Büchern gehen der Aktualität seiner Theorien nach, die sich jeder Musealisierung widersetzen.  
Die meisten Neuerscheinungen zum Adorno-Jahr bringt der Suhrkamp Verlag heraus. Erwartet wird unter anderem die große Biografie des Oldenburger Soziologen Stefan Müller-Doohm, die schon im Sommer erscheinen soll.
Außenseitertum prägte Gesellschaftsbild
Wichtige Aspekte von Adornos philosophischem Denken speisen sich nach Ansicht Müller-Doohms aus zwei prägenden Erfahrungen seines Lebens: aus einem "Gefühl der völligen Aufgehobenheit" in der Kindheit und aus der "bitteren Erfahrung der Emigration" nach der Vertreibung durch die Nationalsozialisten.

"Aus der Erfahrung des Außenseitertums speist sich sein kritisches Gesellschaftsbild", sagte Stefan Müller-Doohm in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Demokratie nur im Eingedenken an Auschwitz möglich
Bild: APA
Theodor W. Adorno
Adornos gedankliches Erbe ist aus Sicht Müller-Doohms enorm: "Erst heute ist uns bewusst, was Adorno vor 50 Jahren ausgelöst hat, als er schrieb, ein Gedicht nach Auschwitz zu schreiben, sei barbarisch", sagte der Soziologie-Professor: "Adorno war derjenige, der mit der Tabuisierung von Auschwitz brach wie kein anderer."

Er habe in Deutschland klar gemacht, dass Demokratie "nur um den Preis des Eingedenkens zu haben ist", gleichzeitig aber auch gezeigt, "dass es ein anderes Deutschland unter dem Nazi-Schutt gegeben hat".
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Leben und Werk
Theodor Wiesengrund Adorno wurde am 11. September 1903 in Frankfurt am Main geboren. 1934 musste er vor den Nationalsozialisten fliehen - erst nach Oxford, wo er als Dozent am Merton College arbeitete, 1939 auf Einladung Max Horkheimers nach New York.

Nach seiner Rückkehr wurde Adorno Mitglied des 1950 wiederbegründeten Instituts für Sozialforschung in Frankfurt, ab 1958 leite er dies gemeinsam mit Max Horkheimer. Zusammen sind sie die Hauptvertreter der "Kritischen Theorie", von deren gesellschaftskritischen Ansatz aus sie herrschende Ideologien, die "Kulturindustrie" und anderen soziale Phänomene analysierten.'Am 6. August 1969 starb Adorno in der Schweiz.

Hauptwerke: Dialektik der Aufklärung (1947 mit Horkheimer), Minima Moralia (1951), Negative Dialektik (1966), Ästhetische Theorie (1970).
->   Adorno-Biographie
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Denken widersetzt sich Musealisierung
Vom Adorno-Jahr erwartet sich der Biograf zum einen, dass Adornos "konsequentes Denken" mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt.

Zum anderen erhofft sich der Soziologe von der Wissenschaft, dass die Beziehungen zwischen Adorno und anderen Denkern klarer herausgearbeitet werden. Schlecht fände er, wenn Adorno durch die Feierlichkeiten "zum Klassiker stilisiert" würde: "Sein Denken widersetzt sich aller Musealisierung."
->   Mehr über Adorno (Uni Graz)
Bildmonografie und Frankfurt-Beziehung
Ergänzend zur nur mit wenigen Bildern ausgestatteten Müller-Doohm-Biografie bringt Suhrkamp einen Bildmonografie zu Leben und Werk heraus. Das Buch steht im Zusammenhang mit einer großen Ausstellung, die das Adorno-Archiv erarbeitet.

Wolfram Schütte, ehemalige Feuilleton-Chef der "Frankfurter Rundschau" schließt eine weitere Lücke: "Adorno und Frankfurt" heißt der Titel seines ebenfalls bei Suhrkamp erscheinenden Buches.

Es handelt sich um "eine Montage, ein Mosaik" aus Dokumenten, wie er sagt. Das Buch bestehe überwiegend aus Berichte von Zeitgenossen und Äußerungen Adornos über eine Heimatstadt. "Ich will herausfinden, welche Wirkung Frankfurt auf Adorno hatte", sagt Schütte.
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Auch neue Originaltexte
Das Adorno-Jahr beschert auch neue Originaltexte des Denkers. Suhrkamp bringt den ersten von fünf Bänden heraus mit den Briefen zwischen Adorno und Max Horkheimer - "einem der zentralen Briefwechsel der deutschen Philosophie-Geschichte", wie Bernd Stiegler, Lektor beim Suhrkamp Verlag, sagt.

Im Herbst folgen Adornos Briefe an die Eltern und seine Korrespondenz mit den Suhrkamp-Verlegern Peter Suhrkamp und Siegfried Unseld. Mit der Abschrift von Adornos Vorlesungen über "Negative Dialektik" erscheint der neunte von geplanten 16 Bänden mit seinen Vorlesungen.
->   Adorno im Suhrkamp Verlag
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Reemtsma-Lesebuch zu Kunst und Ästhetik
Jan Philipp Reemtsma, dessen Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur Eigentümerin der Rechte an Adornos Nachlass ist, stellt ein Lesebuch mit Aufsätzen zu Musik, Literatur und Ästhetik zusammen.

Müller-Doohm nutzt seine Recherchen auch für eine Sammlung mit Porträts, die bekannte und unbekannte Zeitgenossen über ihn verfassten. Zum Jubiläum hat sich der Verlag zudem entschieden, die 20 Bände der gesammelten Schriften auch einzeln zu verkaufen und die Hauptwerke in einer fünfbändigen Kassette anzubieten.
Auch andere Verlage liefern Bücher
Auch bei anderen Verlagen sind neue Bücher über Adorno in Arbeit. Für den S. Fischer Verlag schreibt der Hannoveraner Soziologie-Professor Detlev Claussen. Es soll ein "intellektuelles Porträt anhand biografischer Stationen" werden, berichtet der Verlag. Für die DVA in München arbeitet FAZ-Autor Lorenz Jäger an einer Biografie, die Medienberichten zufolge "populär, kurz und kritisch" sein will.
->   Zur Aktualität der "Dialektik der Aufklärung" (Stefan Müller-Doohm)
->   Frankfurter Adorno-Blätter (edition text + kritik)
->   Linksammlung Adorno (popcultures.com)
->   Mehr über die Frankfurter Schule (TU Harburg)
->   Adorno-Forschungsstelle (Uni Oldenburg)
 
 
 
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01.01.2010