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Brustkrebs: Mammographie-Screening in Diskussion  
  Die gute Nachricht: Trotz mehr Brustkrebserkrankungen sank in Österreich in den vergangenen Jahren die Zahl der Todesfälle. Die schlechte Nachricht: Unter den Experten tobt ein heftiger Streit um den Wert von Mammographie-Massenuntersuchungsprogrammen zur Früherkennung.  
Zu einer entsprechenden Diskussion führte am Freitagnachmittag ein Vortrag der aus Österreich stammenden Hamburger Expertin Ingrid Mühlhauser. Ihr Fazit: Der Wert der Mammographie wird oft verzerrt und viel zu optimistisch dargestellt.
Früherkennungsprogramm - eine Täuschung?
"'Die Klügere sieht nach - Mammographie beruhigt'. Ich glaube, dass dieser Slogan auf einem Trugschluss beruht und eine Täuschung perpetuiert", provozierte die langjährige Diabetologin, die seit 1996 an der "Fachwissenschaft Gesundheit" der Universität Hamburg Strategiefragen des Gesundheitswesens erforscht am Beginn ihres Vortrags am Institut für Technologiefolgenabschätzung der Akademie der Wissenschaften (ITA) in Wien.

Gemeint: das Früherkennungsprogramm, das in den vergangenen zwei Jahren in Wien mit der persönlichen Einladung von Frauen zur Mammographie-Untersuchung durchgeführt wurde.
->   Mehr über "'Die Klügere sieht nach"
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Im Jahr 2001 über 1.500 Todesfälle
In Österreich erkranken pro Jahr rund 5.200 an Brustkrebs (Diagnose). Im Jahr 2001 sind exakt 1.584 der heimtückischen Krankheit erlegen. Immerhin: In Österreich beträgt laut Onkologen der Anteil fortgeschrittener Brustkrebserkrankungen bei der Diagnose nur noch zehn Prozent (weltweit: 70 Prozent). Im Frühstadium erkannt und behandelt, liegt die Heilungsrate bei 80 und mehr Prozent.
->   Medizinische Informationen über Brustkrebs (medicine worldwide)
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Streit um Massen-Untersuchungen
Der Streit geht um die Wertigkeit von Massen-Untersuchungen quer durch die weibliche Bevölkerung ab 50. Ingrid Mühlhauser stößt sich an der ihrer Meinung nach zu optimistischen Darstellung durch die Proponenten solcher Aktionen, welche die Frauen eben zur Vorsorgeuntersuchung bringen wollen.
Risiko geringer als angenommen?
"Man sagt, dass jede zehnte Frau an Brustkrebs erkrankt. Das ist falsch. In der Altersgruppe von bis zu 30 ist es eine von 2.169, in der Altersgruppe von bis zu 50 eine von 61 und in der Altersgruppe bis zu 80 eine von elf, in der Gruppe bis 85 eine von neun." Doch viele Frauen erreichen das Alter von 85 nicht. Statistisch wäre also das Risiko geringer.

Ähnliches gelte für Brustkrebs als Todesursache. Die streitbare Expertin: "Bis zum Alter von 60 stirbt eine Frau von 79 an Brustkrebs. Bis zum Alter von 80 stirbt eine Frau von 20 an einem Mammakarzinom. 19 sterben an anderen Todesursachen." Insgesamt würden nur vier von 100 Frauen einem Mammakarzinom erliegen. Auch das müsse man den Frauen darstellen, die sich für oder gegen die Teilnahme an einer Früherkennungsaktion entscheiden sollten.
Nur 0,07 Prozent geringere Sterblichkeit?
Heftig von Teilen des Publikums angegriffen wurde die Ärztin, die ehemals in Dortmund für Zuckerkranke Programme zur möglichst eigenständigen Beherrschung ihres Leidens entwickelte, als sie in renommiertesten wissenschaftlichen Journalen publizierte Daten vorlegte: "Von 100.000 Frauen sterben binnen zehn Jahren 360 oder 0,36 Prozent ohne Mammographie-Untersuchung an Brustkrebs. Hingegen sterben 290 oder 0,29 Prozent der Frauen an Brustkrebs, die zur Mammographie eingeladen wurden."

Die Brustkrebs-Sterblichkeit reduziere sich somit durch solche Screening-Programme nur um 0,07 Prozent.
Schwierige Zahlenlage
Wenn die Proponenten von einer Reduktion der Sterblichkeit um 20 bis 30 Prozent sprächen, wäre das bloß die relative Verringerung im Vergleich zu keiner Untersuchung bei einer insgesamt sehr niedrigen Mortalitätsrate durch Brustkrebs. Einwand der Kritiker: Diese Zahlen seien etwa 20 Jahre alt. Allerdings lassen sich Trends bei Krebserkrankungen wegen der langen Vorlaufzeit nur in Jahrzehnten wirklich bestimmen.
Mammographie: "An sich eine gute Methode"
Auf der anderen Seite - so Ingrid Mühlhauser - "produzierten" die Massenuntersuchungs-Programme bei der Mammographie selbst viele Probleme: "Die Mammographie ist an sich eine gute Methode. Wer einen negativen Befund (kein Verdacht, Anm.) hat, hat eine Sicherheit von 99,9 Prozent, dass er keinen Brustkrebs hat. In Reihenuntersuchungen findet man, dass 0,8 Prozent der Frauen ein Mammakarzinom haben. Doch bei einer von vier dieser Frauen wird Brustkrebs diagnostiziert, obwohl er sich nie gezeigt hätte. Wir wissen aber nicht, wer von den vier Frauen das ist." Unangenehm ist ganz sicher der recht hohe Anteil an falsch positiven Befunden bei Screening-Untersuchungen ("Krebsverdacht", der sich schließlich als nicht vorhanden herausstellt).
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Studie mit Fehldiagnosen
Die deutsche Expertin zitierte in diesem Zusammenhang eine US-Studie (Journal of the American Medical Association - JAMA) aus dem Jahr 1996. US-Radiologen hatten 26.057 Frauen auf Brustkrebs untersucht. 199 hatten wirklich ein Mammakarzinom. Bei der Mammographie wurden 179 dieser Fälle entdeckt. Das ist ein sehr guter Wert für eine einzige Untersuchung. - Doch bei 1.671 Frauen wurde fälschlicherweise Brustkrebs vermutet. Dies führte automatisch zu neuerlichen Tests und - zwischenzeitlich - sicher zu erheblichen Ängsten bei den betroffenen Frauen.
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"Einziges Mittel der Früherkennung"
Wiens Frauen-Gesundheitsbeauftragte Beate Wimmer-Puchinger betonte am Rande des Vortrags gegenüber der APA den Wert solcher Programme: "Wir haben nur die Mammographie als Mittel zur Früherkennung." Ganz sicher: Bei entsprechender Früherkennung sind die Heilungschancen für die einzelne Frau enorm höher.

Die Operation kann dann auch in den meisten Fällen brusterhaltend durchgeführt werden. Außerdem können sich die Patientinnen dadurch monate- bis zu jahrelange zusätzliche Therapien (Zytostatika) ersparen. Krebs ist eine das Individuum treffende Erkrankung. Wen es trifft, den trifft es voll - früher erkannt aber wahrscheinlich weniger hart.
->   ITA
->   Mehr über Brustkrebs in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010