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Symposion: Ist Gesundheit für alle leistbar?  
  Ambulanzgebühren und Selbstbehalte sind ein Dauerbrenner in der Diskussion um das Gesundheitssystem. Kann unser Gesundheitswesen wirtschaftlich sein, ist Gesundheit für alle leistbar? Darüber diskutierten Experten am Donnerstag in Wien.  
Der deutsche Statistiker Walter Krämer etwa meint am Donnerstag auf der Expertentagung "Gesundheit für alle?" in Wien: Egal wie viel wir investieren, es wird nie reichen.
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Informationen zum Symposium
Walter Krämer ist - neben Experten aus den Bereichen Sozialstatistik, Sozialmedizin, Gesundheitsplanung und Pharmaindustrie - Gast bei einer Expertenkonferenz in Wien zum Thema "Gesundheit für alle? Visionen zur Zukunft des Gesundheitswesens". Veranstalter des Symposiums sind das Europäische Forum Alpbach sowie das Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie.
->   Mehr Informationen dazu in science.ORF.at
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Medizin in der Fortschrittsfalle
Die moderne Medizin sitzt in der Fortschrittsfalle, sagt Walter Krämer: Wir werden immer älter, weil die Medizin immer mehr Fortschritte macht. Ärzte können heute Krankheiten feststellen und behandeln, die früher unerkannt geblieben sind.

"Wir haben in der Türkei zum Beispiel drei Nierenkranke pro eine Million Einwohner; in Österreich 300. Wo ist die Medizin besser? Ja doch wohl in Österreich! Weil hier Nierenkranke überleben, die anderswo hätten sterben müssen. Sehr viele Leute überleben, wenn auch krank. D.h. die große Gleichung 'Mehr-Geld-ist-gleich-mehr-Gesundheit' ist falsch. Je mehr sich die Medizin anstrengt, desto kränker werden wir."
"Lebenslügen" in der Gesundheitsdebatte
Krämer lehrt am Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik der Universität Dortmund. Er listet die (wie er sie nennt) "Lebenslügen" der Gesundheitsdebatte auf:

- Zum Beispiel mache Vorsorge das Gesundheitssystem nicht billiger, sondern teurer. Vorbeugen sei teurer als heilen.

- Die Ausgabenexplosion im Gesundheitswesen sei kein Preisproblem. Denn die Kosten und Preise im Gesundheitssystem würden langsamer steigen als die anderer Güter und Dienstleistungen.

- Mehr Geld ausgeben für die Gesundheit mache nicht gesünder, sondern "kränker" (siehe Bsp. Nierenerkrankungen).

- Je besser die Medizin, desto unzufriedener würden die Patienten - nicht umgekehrt, wie viele meinen.

- Wir hätten es nicht mit der vielzitierten Kostenexplosion im Gesundheitssystem zu tun, sondern mit der Effizienz- und Leistungsexplosion.
"Wunsch" nach Ambulanzgebühren
Angesprochen auf die Diskussion rund um die Ambulanzgebühren in Österreich meint Walter Krämer, er würde sich Ambulanzgebühren auch in Deutschland wünschen - um die Ambulanzen den Notfällen vorzubehalten. Seinen Wunsch kann er jedoch nicht mit Zahlen untermauern.
Selbstbehalte für "Wohlfühlcharakter"
Zu den Selbstbehalten meint der Sozialstatistiker: "Ich bin dafür, dass Leute, die mehrere zehntausend Euro für ein Auto ausgeben, dann auch das gleiche Geld für ihre Zähne ausgeben dürfen oder sollen."

Er trete seit langem dafür ein, dass zahnmedizinische Leistungen in Deutschland aus der gesetzlichen Krankenversicherung herausgenommen werden, so Krämer. "Es soll jedermanns eigenes Bier sein, was er mit seinen Zähnen anstellt."
Dies gilt nicht für Notfälle
Wenn es allerdings um "Leben und Tod" ginge, dann solle Geld keine Rolle spielen bzw. da seien Selbstbehalte nicht angebracht, so der Statistiker weiter. "Aber bei Kuren und allen Gesundheitsgütern, die einen hohen Konsumgutanteil haben, darf der einzelne zur Kasse gebeten werden, ohne dass das moralisch verwerflich wäre."

Eine Lösung zur kurz- oder langfristigen Finanzierung des Gesundheitssystems hat Krämer nicht. Er bezeichnet es als Naturgesetz, dass die Gesundheitskosten stetig steigen und meint: Egal wie viel Geld investiert wird, es wird nie reichen.

Barbara Daser, Ö1-Wissenschaft
->   Europäisches Forum Alpbach
->   Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie (FOPI)
 
 
 
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01.01.2010