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Konrad Lorenz: Ein Bild ohne Illusionen
Von Kurt Kotrschal
 
  Dass Konrad Lorenz seit 1938 NSDAP Mitglied war, ist seit einiger Zeit bekannt. Trotzdem wirft das nun aufgetauchte Beitrittsansuchen interessante Schlaglichter sowohl auf diese Zeit, als auch auf die Person von Konrad Lorenz.  
Imageschaden für moderne Verhaltensbiologie?
Nun könnte die ehemalige private politische Meinung des Konrad Lorenz den modernen Naturwissenschaftlern und Verhaltensbiologen eigentlich egal sein, genauso wie eigentlich auch für die Würdigung der Musik von Karajan oder Furtwängler deren angebliches Naheverhältnis zum den damaligen Machthabern unwesentlich ist.

Im Falle der Biologie ist das aber anders. Lorenz selber streicht in seinem Antrag unmissverständlich die angebliche Nähe der darwinisch - biologischen Wissenschaft zur nationalsozialistischen Ideologie heraus.

Dies unkommentiert zu lassen, hieße den Vorwurf zu riskieren, auch moderne Verhaltensbiologie, bzw. Evolutionstheorie wären in ihrem innersten Wesen rechtslastig, "braun" oder sogar faschistisch-nationalsozialistisch. Das wäre natürlich Unsinn.
Eindruck von Opportunismus
Es ist kein Geheimnis, dass Konrad Lorenz einerseits die muffige Enge des österreichischen Klerikalfaschismus der Zwischenkriegszeit satt und andererseits mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Einrichtung eines Kaiser-Wilhelm-Institutes in Altenberg betrieben hatte.

Was ihm von seiner damaligen wissenschaftlichen Bedeutung her eigentlich auch zugestanden wäre. Der Eindruck, dass er dabei vor Anbiederung und blankem Opportunismus nicht zurückschreckte bestätigt das nun vorliegende Aufnahmeansuchen eindrücklich.
Naheverhältnis
Für die Bewertung des Naheverhältnisses zwischen NS-Ideologie und (damaliger) Biologie ist die historische Reihenfolge besonders bedeutend. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist völlig klar, dass die Entwicklung der darwinischen Biologie weitaus vor jener der Nazi-Ideologie erfolgte.
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Biologie als willkommene Stütze
Die NS-Machthaber nahmen dann die Biologie als willkommene Stütze und gaben damit den Opportunisten unter den Biologen
(nicht alle, z.B. Karl v. Frisch stand der NS-Herrschaft immer kritisch-distanziert gegenüber) auch die Gelegenheit, sich dem System anzubiedern.

Sie lieferten damit u.a. die pseudowissenschaftliche Begründung für die Eugenik, die bekanntlich damals nicht nur in Form von Eheberatung praktiziert wurde. Die (verhaltens-)wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden also nicht im Gefolge der NS-Ideologie entwickelt.

Es gab sie schon und sie wurden schlicht mißbraucht. Dem wissenschaftlichen Theoriegebäude von Konrad Lorenz kann man daher keine sonderliche NS-Nähe vorwerfen (mit Ausnahme einiger Ecken, wie etwa seinem Vorurteil von der "genetischen Degeneration" des Zivilisationsmenschen).
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Späte Klarstellung
Nicht zu leugnen ist dagegen, dass er sich und seine Wissenschaft in den Dienst der Nationalsozialisten stellte oder zumindest stellen wollte.

Verwunderlich, dass solche Klarstellungen im Jahre 2001, also 56 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs, bzw. 63 Jahre nach dem Beitrittsansuchen immer noch erforderlich sind.
Die Last der Vergangenheit
Einer der Gründe dafür ist, dass sowohl Lorenz als auch die ältere Generation der deutschsprachigen Verhaltenswissenschaftler es verabsäumten, dieses Thema von sich aus rechtzeitig anzusprechen und damit aufzuarbeiten.
Offene Diskussion gefordert
Ich bin sehr zornig darüber, dass damit wir jüngere Biologen, die heute umfassend über die Evolution menschlichen und tierischen Verhaltens arbeiten, immer noch die Last der Vergangenheit tragen müssen. Aber befreien können wir uns nur durch offene Diskussion, nicht durch weiteres Schweigen.

Das nun aufgetauchte Dokument relativiert eine allzu idealisierte Sicht der Person von Konrad Lorenz; für die Inhalte der modernen Verhaltensbiologie hat es dagegen keine Bedeutung.
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Univ.Prof. Dr.Mag.Kurt Kotrschal ist Direktor der
Konrad-Lorenz-Forschungsstelle für Ethologie, Grünau
->   Homepage der Forschungsstelle
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Lesen Sie mehr über die neue Diskussion um Konrad Lorenz in
ORF ON science
->   Neue Diskussion um Konrad Lorenz
 
 
 
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01.01.2010