News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Populäres Thema: "Philosophie der Lebenskunst"  
  "Philosophie der Lebenskunst" zählt derzeit zu den populärsten Themen: Von Epikur bis Foucault reicht die Palette der Autoren, die Antworten auf Lebensfragen und auflagenstarke Publikationen liefern.  
Die "Sorge um sich"
Die "Sorge um sich" - so lautet der programmatische Titel eines Buches des französischen Philosophen Michel Foucault über eine Philosophie der Lebenskunst.

Unter "Philosophie der Lebenskunst" versteht der führende Philosoph der Postmoderne eine konkrete Auseinandersetzung mit den elementaren Erfahrungen der menschlichen Existenz wie Glück, Umgang mit Lüsten und Schmerzen, Nachdenken über Krankheit und Tod und die Verantwortung für andere Menschen.
Das Leben als Kunstwerk
Philosophie der Lebenskunst ist zu einem Bestseller geworden. In Deutschland hat der in Berlin lebende Wilhelm Schmid fast ein Monopol als Interpret einer philosophischen Lebenskunst.

In seinem über 500 Seiten umfassenden Buch zeichnet er ein Projekt verschiedener Entwürfe zur Lebenskunst - von antiken Autoren wie Diogenes, Epikur, Epiktet und Marc Aurel über Renaissancephilosophen wie Pico della Mirandola und Michel de Montaigne bis zu postmodernen Philosophen wie Michel Foucault.
...
Literaturhinweis
Wilhelm Schmid: Philosophie der Lebenskunst. Suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Band
1385
Michel Foucault: Die Sorge um sich. Suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Band 718
->   Michel Foucault - Denker der Subversion (15.10.01)
...
Lebenskunst gegen akademische Besserwisserei
Eine Philosophie der Lebenskunst hat kaum etwas mit den oft weltfremden abstrakten Ausführungen der zeitgenössischen Philosophie über Ethik zu tun. Lebenskunst ist konkret: Jedes Individuum ist aufgefordert, sein eigenes Leben bewusst zu gestalten - im Sinne Friedrich Nietzsches: "Werde, der du bist!"
Gegen Kapitalismus als phallische "Sucht nach mehr"
Die Philosophie der Lebenskunst - wie sie Schmid vertritt - wendet sich gegen die Verherrlichung wirtschaftlicher Erfolge, die als Gradmesser der Industriegesellschaften gelten.

Der ökonomische Sachzwang die "phallische Sucht nach mehr" - so der in Berlin lebende Religionsphilosoph Klaus Heinrich - ist für die tiefgehende Entfremdung des Menschen verantwortlich, die Lebenskunst grundsätzlich blockiert.
Lebenskunst in der Antike
Die "Sorge um sich" findet sich bereits in der Antike, die sich als Anleitung zum richtigen Leben verstand". Ihren Höhepunkt erreichte die antike Philosophie der Lebenskunst in der Stoa - vornehmlich in der römischen Kaiserzeit der ersten christlichen Jahrhunderte.

Seneca, Epiktet oder Marc Aurel propagierten die Übereinstimmung mit sich selbst. "Eigne dich dir selbst an" - so forderte Seneca, um gegen Schicksalsschläge gewappnet zu sein", und: "Unschätzbares Gut ist es, sein eigener Herr zu sein."
...
Literaturhinweis
Epiktet: Die Kunst vernünftig zu leben, Artemis Verlag
Marc Aurel: Wege zu sich selbst, Artemis Verlag
Seneca, Philosophische Schriften, 1-4, Meiner Verlag
...
Keine Lebenskunst im Christentum
Das aufkommende Christentum ließ wenig Spielraum für eine Philosophie der Lebenskunst. Sie verstand sich selbst als wahre Philosophie, die privates und öffentliches Leben bestimmen wollte.

Das Individuum konnte nicht mehr aus einem Theorieangebot von Lebensmodellen auswählen, sondern musste sich nach einem allgemein gültigen Moralkodex ausrichten.
Lebenskunst in der Renaissance
Erst in der Renaissance wurde die antike Tradition der Lebenskunst wiederentdeckt. Der italienische Philosoph Pico della Mirandola bezeichnete den Menschen als das Wesen, das aus freiem Entschluss zum Tier herabsteigen oder zu Gott aufsteigen könne.

Und der französische Philosoph Michel de Montaigne sprach vom experimentellen Charakter der menschlichen Existenz.
Lebenskunst in der Romantik
Die Lebenskunst stand auch im Zentrum der romantischen Philosophie und Dichtung. Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck und Novalis strebten die unbedingte Freiheit des Subjekts an. Seine ursprünglichen Kräfte wie Intuition, Phantasie, Ekstase oder Rausch sollten - so der Lyriker Joseph von Eichendorff - "eine ganz neue Schöpfung erzeugen, die ihr Gesetz in sich selbst trüge und originell sei".
Vorgwegnahme der Postmoderne
Die Lebensphilosophie der Romantiker stellte sich gegen den Vorrang des rein geistigen Prinzips, wie sie die akademische Philosophie forderte. Sie verwies auf die Bedeutung des Leibes, der Triebe, Emotionen und Phantasie und nahm so Positionen der Postmoderne vorweg, wie sie Jean-Francois Lyotard, Gianni Vattimo oder Michel Foucault vertraten.
Thematisierung auch von misslingendem Leben
Die Philosophie der Lebenskunst versteht sich keineswegs als "fröhliche Wissenschaft". Sie befasst sich auch mit der Nachtseite der menschlichen Existenz wie Verlust, Trauer, Schmerz und Wahnsinn. Sie denkt auch über ein sogenanntes "misslingendes Leben" nach, das Schriftsteller wie Malcolm Lowry, Emile Cioran oder Samuel Beckett thematisieren.
Fazit der Lebenskunst
"Der Lebenskunst-Mensch zeichnet sich durch bewusste Lebensführung aus. Die kann, wenn eine entsprechende Wahl getroffen ist, in großer Sturheit bestehen, in einer stoischen Haltung. Flexibilität ist eine andere Option. Der Einzelne wählt und kalkuliert die Kosten." (Wilhelm Schmid)

Ein Beitrag von Nikolaus Halmer für das Ö1-Radio-Kolleg vom 3. bis 6. Februar 2003, 9.30 Uhr Radio Österreich 1
->   Radio Österreich 1
->   Weitere Buch-Tipps
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010