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"Chaos-Theorie": Mathematik gegen Herzerkrankung  
  Beim Kammerflimmern treten unregelmäßige Erregungsmuster im Herz auf, die laut einer Studie als Chaos verstanden werden können - im mathematischen Sinn. Denkbar sind damit auch neue Therapien.  
Die Wissenschaftler vom Berliner Fritz-Haber-Institut und der Universität Barcelona haben entdeckt, dass chaotisches Verhalten in chemischen Reaktionen oder bei Herzkammerflimmern gezielt beeinflusst und unterdrückt werden kann.

Gelingt dies tatsächlich auch direkt am Herzen, kann diese Entdeckung zu neuen Methoden für die Behandlung von Herzflimmern führen, wie die Forscher in einem in "Science Express" erschienenen Artikel berichten.
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"Taming Winfree Turbulence of Scroll Waves"
Der Artikel "Taming Winfree Turbulence of Scroll Waves in Excitable Media" von Sergio Alonso, Francesco Sagues und Alexander S. Mikhailov ist als Vorab-Onlinepublikation in "Science Express" erschienen und wird in einer der kommenden Print-Ausgaben des Magazins abgedruckt sein. (doi: 10.1126/science.1080207).
->   "Science Express"
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Herzkammerflimmern: Mathematisch ein Chaos
Jede Sekunde entsteht im gesunden Herz eine elektrische Erregungswelle, die das ganze Herz durchläuft und seine Kontraktion erzwingt. Manchmal aber bricht solch ein geordneter Ausbreitungsprozess zusammen.

Dann wird das Herz vielen irregulären Erregungswellen ausgesetzt, die normalen physiologischen Kontraktionen verschwinden und das gefährliche Herzkammerflimmern (Fibrillation) setzt ein. nn der Betroffene nicht rasch behandelt wird, ist der Herztod unvermeidbar.

Aus mathematischer Sicht kann man das Herzflimmern als eine besondere Form von Wellenchaos betrachten. Ein ähnliches Chaos tritt auch in chemischen erregbaren Medien, wie z.B. in der berühmten Belousov-Zhabotinsky-Reaktion, auf.
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Die Belousov-Zhabotinsky-Reaktion und Scroll-Wellen
Die Belousov-Zhabotinsky-Reaktion ist eine oszillierende chemische Reaktion, die ihren Zustand rhythmisch ändert, was man zum Beispiel an einem periodischen Farbwechsel erkennen kann. Bei experimentellen Untersuchungen dieser Reaktion hatte der amerikanische Wissenschaftler Arthur Winfree bereits 1973 so genannte rotierende Scroll-Wellen entdeckt.

Eine Scroll-Welle sieht in ihrem transversalen Querschnitt wie eine Spirale aus. Solche Spiralen sind übereinander gestapelt, so dass sich eine aufgerollte Struktur bildet, die man sich am einfachsten an Hand eines lose aufgerollten Papierblatts vorstellen kann. Die Wellen in dieser Struktur rotieren um einen zentralen Faden, der gerade oder gekrümmt ist, aber auch Schleifen und Ringe bilden kann.

Später sagte Winfree voraus, dass sich durch eine ungeordnete Dynamik solcher Fäden ein Chaos in dreidimensionalen erregbaren Medien entwickeln kann. Seiner Meinung nach könnte sich die Entstehung von Kammerflimmern sowie der plötzliche Herztod oft durch solche chaotischen Prozesse erklären lassen.
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Chaotisches Verhalten gezielt unterdrücken
Die Untersuchungen von Alexander Mikhailov vom Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft und Sergio Alonso sowie Francisco Sagues von der Universität Barcelona haben nun ergeben, dass das Chaos von Scroll-Wellen (siehe Infokasten) tatsächlich ein typisches Phänomen ist, dass auch in ganz allgemeinen Modellen erregbarer Medien beobachtet werden kann.

Bereits im Jahr 2001 war es Mikhailov gemeinsam mit Kollegen am Fritz-Haber-Institut gelungen, chaotische Strukturen in einer chemischen Reaktion zu beobachten und sogar zu steuern.
Neue Therapiemethoden für die Zukunft
In der neuen Veröffentlichung in "Science Express" haben die Wissenschaftler jetzt bewiesen, dass das Chaos von Scroll-Wellen generell durch schwache periodische Modulation von Parametern, die die Erregungsschwelle des Mediums bestimmen, gezielt gesteuert und damit sowohl unterdrückt als auch induziert werden kann.

Diese Entdeckung, die nunmehr in abstrakten mathematischen Modellen verifiziert ist, kann in Zukunft zu neuen Methoden für die Unterdrückung des Herzkammerflimmerns und zur Behandlung spezieller Herzkrankheiten führen.
->   Fritz-Haber-Institut Complex Systems Research Group
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01.01.2010