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Innsbrucker Ärzte züchteten Teil von Kiefergelenk nach  
  Ein spektakulärer Eingriff ist Innsbrucker Ärzten gelungen. Sie züchteten aus einem Gewebestück der Rippe einen Teil des zerstörten Kiefergelenkes nach. Nach Angaben vom Dienstag könne der Patient bereits wieder essen. Die Mediziner rechnen mit keinen Abstoßreaktionen auf das körpereigene Transplantat.  
Der Eingriff wurde an einem gebürtigen Marokkaner vorgenommen, der in Südtirol lebt, berichtete Radio Tirol. Der Mann hatte nach einem schweren Unfall deutliche Beeinträchtigungen und habe nicht einmal richtig essen können, weil das Kiefergelenk immer stärker verknöchert sei.
Knorpelzellen sechs Wochen im Brutschrank
Dem Patienten wurde ein Gewebestück aus der Rippe entnommen. Die Knorpelzellen wurden in einem Brutschrank in sechs Wochen herangezüchtet. Anschließend wurden sie auf Trägermaterial aufgebracht, das eine anatomische Formung ermöglicht. Nach den Erwartungen der Ärzte soll nach dem Einsetzen des Transplantates dem Patienten weitere Eingriffe erspart bleiben.
Medizinisches Neuland: Künstlicher Gelenksspalt
Nach Angaben der Universitätsklinik haben die Ärzte bei dem Eingriff medizinisches Neuland betreten: Der Gelenksspalt, in den das gewebetechnologische Implantat eingesetzt wurde, musste zuerst geschaffen werden. Die geringinvasive Operation über einen rund 2,5 Zentimeter langen Schnitt vor dem Ohr habe höchste Präzision verlangt.
Logistische Herausforderung
Sowohl die Herstellung des Bioimplantates als auch die Operation seien auch eine logistische Herausforderung gewesen. Wie bei anderem lebenden Zellmaterial sei auch hier Eile geboten. Am gleichen Tag, an dem die vermehrten Zellen aus dem Labor in Wels angeliefert wurden, hätten sie auf die biologische Trägersubstanz aufgebracht werden müssen.

Aus diesem sei dann ein genau in den vorgeformten Kiefergelenksspalt passendes Implantat geformt und danach dem Patienten operativ eingesetzt worden.
Keine Probleme mit dem Immunsystem
Innerhalb weniger Wochen verwandle der Körper dann den Bio-Ersatzteil in ein Gewebe, das seine biologische Funktion im Körper erfülle. Das hoch empfindliche Immunsystem nehme das Bio-Transplantat widerstandslos an, weil es aus körpereigenen Zellen des Patienten besteht.
Patient kann Mund wieder öffnen
Fünf Tage nach dieser Operation habe der 44 Jahre alte Patient bereits das Krankenhaus mit neugewonnener Lebensqualität verlassen können. Zuvor habe er sich wegen einer Gelenksversteifung nach einem Unfall nur in flüssiger Form über einen Strohhalm ernähren können. Nun sei auf Grund der Operation eine Mundöffnung auf über 30 Millimeter und damit eine nahezu normale Nahrungsaufnahme möglich.
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Innsbrucker Pionierarbeit seit zehn Jahren
Das Innsbrucker Forscherteam habe bereits in den vergangenen zehn Jahren Pionierarbeit bei der biotechnologischen Herstellung von Knorpeln, Knochen und Sehnen geleistet. Seit rund drei Jahren würden nun weltweit Erfolge mit künstlich erzeugten Bioimplantaten gemeldet. In der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sei das Innsbrucker Team bei der klinischen Anwendung von Gewebetechnologie führend.

Abgenützte Gelenke könnten etwa rechtzeitig neu mit Knorpel beschichtet werden. Strapazierte Kiefergelenksanteile, wie die Gelenksscheibe, könnten auf diese Weise ersetzt werden.
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Zukunft: Ersatzteile für Knie, Hüfte, Bandscheibe ...
Die Möglichkeiten der Technik gehen über den Knorpelersatz hinaus. Das Team forciert nun die Forschung mit Knochenmarkstammzellen. Kleine Knochenfragmente könnten bereits jetzt passgenau in Versuchtstieren gezüchtet werden.

Kieferoperationen mit Knochen aus der Retorte würden dadurch möglich. Es werde so in Zukunft gelingen, aus kleinen Stücken körpereigenen Gewebes individuell angepasste Bio-Ersatzteile für Kiefergelenk, Knie, Hüfte, Bandscheibe etc. für den Menschen herzustellen.
->   Universität Innsbruck, Medizinische Fakultät
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Gewebezüchtung: Therapie der Zukunft?
->   Gezüchtetes Fingergelenk eingesetzt
 
 
 
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01.01.2010