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Der junge Karl Marx: Genie oder Stratege?  
  Des jungen Karl Marx hat sich die Philosophin Christine Recht als Thema ihrer Dissertation angenommen, die im Uni-Portal mnemopol.net veröffentlicht und in science.ORF.at rezensiert wird: "Warum mit Marx marschiert, aber schlecht Walzer getanzt werden kann" sucht bereits in den frühen Schriften erste Züge des Totalitarismus - und porträtiert Marx als nicht als junges Genie, sondern als Strategen auf der Suche nach Ruhm.  
Der junge Marx - Genius oder Dogmatiker?
Rezensiert von Oliver Gingrich

Am 13.3.2003 feiert Marx Jubiläum - und bis zu seinem 120. Todestag hält sich zumindest die Legende über den jungen Marx hartnäckig: Als empathischen Dialektiker im Sinne Hegels, deduktiv astrein wissenschaftlichen Überbauer für den Sozialismus, als flamboyanten Idealisten.

Es darf entzaubert werden: Die Philosophin Christine Recht entlarvt in der Publikation "Warum mit Marx marschiert, aber schlecht Walzer getanzt werden kann" für die Schriften des jungen Marx erste Züge des Totalitarismus.
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Rüstzeug des Stalinismus oder philosophische Schriften?
Primär Rüstzeug des Stalinismus oder geniale philosophische Schriften? Ausnahmeregelungen und Rehabilitationen vor Vorverurteilungen wollte so manche/r für den brillanten und begeisternden Marx für sich entdecken. Als Genie dürfte er sich nur allzu früh auch selber verstanden haben, obwohl vielen seiner Zeitgenossen in intellektueller Hinsicht hinterhertänzelnd, wenn auch prophetischer als alle anderen, wollte er selbst Marschmusik entfachen, für ein Orchester in dem nur er den Takt angibt.
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Vom Philosoph zum Dogmatiker
Ein Blanko-Prädikat "wissenschaftlich" für alle Schriften Marxens wurde nicht nur von ihm selbst händeringend beschworen, sondern von einigen Anerkannten wie etwa Otto Neurath und Max Adler des Wiener Kreises attestiert. Eine kleine Gemeinsamkeit mag dafür den Ausschlag gegeben haben - Ablehnung von Metaphysik.

Der Reibebaum Hegel, im 19. Jahrhundert noch deren Inbegriff, war mit dem Attribut spiritistisch belegt worden und obwohl Marx als Student der Philosophie Jungehegelianer war und - als Schreiber (noch nicht Chefredakteur) der Rheinischen Zeitung - bis etwa 1842 blieb, änderte sich das mit Herbst 1844 radikal, als er mit Engels "die Heilige Familie" publizierte.

Die Prämissenentscheidung gegen die Metaphysik und für den Materialismus fiel in nur zwei Jahren. Hierin liegt nach Christine Recht der Schlüssel für die Frage Genie oder Taktierer.
Der selbsternannte Herakles
"Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein" aus der "deutschen Ideologie" von Marx und Engels: Idealismus und metaphysische Aufgeklärtheit hallen da noch nach. Sie waren aber seiner eigenen Ideologie, in den Pariser Manuskripten sukzessive entwickelt, bereits gewichen.

Christine Recht porträtiert das Bild eines Marx auf Ruhmsuche hin zum Strategen, der mit Heilsversprechungen und Erlösungsformeln, an seiner eigenen Unsterblichkeit arbeitete.

Prometheus, den Marx noch in seiner Dissertation 1841/42 Hegel entgegenhielt, nahm bis 1844 die Gestalt des Proletariats an, er selbst schwang sich über die Auseinandersetzung mit der Nationalökonomie zum Gott gewordenen Herakles auf.
Wer zu letzt lacht - Rundumschläge
Marx gelang seine Selbstveredelung auch durch blindwütiges Anschwärzen, nicht nur Hegels, den er eher glücklos versuchte mit dessen eigenen Waffen zu schlagen, sondern anfänglich paradoxerweise auch der Arbeiterschaft.

"Wir sind der festen Überzeugung, dass nicht der praktische Versuch, sondern die theoretischen Ausführungen des Kommunismus die eigentliche Gefahr bildet", schrieb er in der Rheinischen Zeitung, zu deren Chefradakteur er im Oktober 1842 bestellt wurde.

Wilhelm Weitling, in der Schweiz als Gewerkschafter tätig und einer der ersten Kommunisten, wurde darin ebenso angegriffen wie das Judentum - für Marx der Inbegriff des Kapitals. Und ein neuer Stern in der deutschen Philosophie stand nun auf der Marxschen Tagesordnung des Diskreditierens: Feuerbach.
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Keine Chasteté bei den Pariser Manuskripten
Um der Zensur zu entgehen, fuhr Marx 1943 nach Paris, wo er mit Ruge die deutsch-französischen Jahrbücher veröffentlichen sollte. Nach intellektuellen Debatten mit Proudhon und Lektüre Ricardos, Adam Smith's und Jean Baptiste-Say schien ihm zu dämmern, wie sehr er als Philosoph nicht nur Feuerbach, sondern auch anderen, die vor ihm "Emanzipation der Gesellschaft vom Judentum" gefordert hatten, hinterher trottete.

Dem revolutionären Ton der Jahrbücher des 25-jährigen Marx haftete also schon damals etwas Altbackenes an. In den daraus folgenden Pariser Manuskripten, erst 100 Jahre später veröffentlicht und von vielen als Waffe gegen den Stalinismus verstanden, wurde zwar der Begriff "Arbeit" überhaupt erst aufs Podest gehoben. Hier wird aber auch der zünftige Dogmatismus klar ersichtlich. Marx prangert die geistige Entmündigung der Arbeiterschaft nicht nur an, sondern benutzt sie als Ziegel wie Mörtel für seine eigene Theorie.
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Achten Sie auf die Marke
Im Windschatten seiner Zeitgenossen (Feuerbach, Weitling) und der Ereignisse (schlesischer Weberaufstand 1843) musste Marx handeln, um seine Apotheose einzulösen. Die Folgen waren neue Rundumschläge, für deren Einschlagskraft aber das Aushängeschild Engels benötigt wurde.

Karl Marx ernannte Engels kurzerhand zum Koautor für die "heilige Familie" - einer Polemik gegen Junghegelianer und damit seine eigenen Wurzeln, um an dessen Ruhm mitzunaschen und verfestigt seine eigene Legende durch Selbstzitate.

In "Die deutsche Ideologie" unter dem etablierten Doppelmarkennamen echauffierte er sich daraufhin gegen Bauer, Stirner und Feuerbach, in "Das Elend der Philosophie" schließlich gegen Proudhon.
Plagiator und fehlende Selbstkritik
Marx hat, so deckt Christine Recht mit viel Ironie auf, sich nicht nur im gut vertuschten Plagiat von Hegel und Feuerbach versucht, sondern vor allem einen nie kritisiert: sich selbst.

Sein Basteln am totalen Menschen brauchte einen Übervater, und darum schrieb er sich in seinen Zwanzigern also selbst zum Frankenstein. Christine Rechts Dissertation ist beim WUV Verlag erschienen und nachzulesen auf www.mnemopol.net.
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Informatinen zur Autorin der Dissertation, Christine Recht
Christine Recht, Dr. der Philosophie, arbeitet als Lehrerin in Wien. Forschungsschwerpunkte: praktische Philosophie, Wissenschaftskritik, Metaphysik in der Politik, philosophische u.a. Voraussetzungen einer neuen politischen Kultur.
Die Dissertation von Christine Recht, "Warum mit Marx marschiert, aber schlecht Walzer getanzt werden kann. Versuch einer Kritik der Tanzschule", ist erschienen im WUV-Verlag, ISBN 3-85114-752-9.
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01.01.2010