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Verjüngungskur der Speziellen Relativitätstheorie  
  Seit Einsteins Veröffentlichung der Speziellen Relativitätstheorie weiß man, dass Zeit und Raum ausgesprochen exotischen Gesetzen gehorchen. Ein italienischer Physiker hat diese nun einer Verjüngungskur unterzogen: Seine Theorie hört auf den Namen "Double special relativity" und löst unter anderem das "Rätsel der kosmischen Strahlen", an dessen Erklärung man sich bisher - physikalisch - die Zähne ausgebissen hatte.  
Außerdem schlägt das neue Konzept eine Brücke zwischen den disparaten Betrachtungsweisen von Mikro- und Makrokosmos. Eine seltene Eigenschaft, die Physiker für gewöhnlich mit Freude zur Kenntnis nehmen.
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Literatur-Tipp: "After Einstein"
Der Aufsatz "After Einstein" von David Harris beschäftigt sich mit möglichen Erweiterungen der Speziellen Relativitätstheorie. Er ist im Wissenschaftsmagazin "New Scientist" erschienen.
->   Zum Artikel
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1905 - Einsteins produktivstes Jahr
1905 war für Albert Einstein ein gutes Jahr: Nachdem er seine Dissertation eingereicht hatte, veröffentlichte er fünf Arbeiten in den "Annalen der Physik".

Eine davon brachte ihm den Nobelpreis ein - man kann allerdings mit Fug und Recht behaupten, dass auch die anderen einer solchen Auszeichnung würdig gewesen wären: Der Aufsatz "Zur Elektrodynamik bewegter Körper" etwa, im Rahmen dessen er den Grundstein für seine Spezielle Relativitätstheorie legte.
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Die Prinzipien der Speziellen Relativitätstheorie
Darin postulierte Einstein zwei Grundsätze, die beide mit den Prinzipein der klassischen Physik brachen: Erstens die Idee, dass sich das Licht im Vakuum mit einer maximalen Geschwindigkeit ausbreite und zweitens das bekannte Relativitätsprinzip, demzufolge alle physikalischen Bezugssysteme gleichberechtigt sind.
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Ein Fundament der modernen Physik
Aus der darauf aufbauenden Speziellen Relativitätstheorie folgen eigenartige Konsequenzen für die Natur von Zeit und Raum. Etwa die, dass die Zeit in schnell bewegten Systemen regelrecht gedehnt wird. So unanschaulich dies auf den ersten Blick sein mag - die Theorie hat sich durchgesetzt und gehört heute zu den allgemein akzeptierten Fundamenten der modernen Physik.
Italienischer Physiker erweitert Einsteins Konzept
Im Mai 2001 betätigte sich der italienische Physiker Giovanni Amelino-Camelia als Häretiker, als er in seiner Arbeit "Testable scenario for Relativity with minimum-length" das Denkmal Einstein in Frage stellte.

Seine Grundidee: Es wäre möglich, dass die Raumzeit eine Mikrostruktur aufweist, innerhalb derer andere Spielregeln gelten. Das heißt konkret: Amelino-Camelia versuchte einen gewissen Grenzwert für die Länge einzuführen, nämlich die so genannte Planck-Länge. Damit griff er eine ähnliche Überlegung auf, die bereits von den Entwicklern der Quantentheorie angewandt worden war.
->   Zum Original-Artikel am Preprintserver arxiv.org
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Planck-Länge
Die Planck-Länge Lp ergibt sich aus der Kombination dreier Naturkonstanten. Das sind: die Gravitationskonstante G, das Plancksche Wirkungsquantum (die kleinstmöglichen "Energiepakete") sowie die Lichtgeschwindigkeit. Der Wert der von Lp ist unvorstellbar klein, er entspricht etwa dem 10 hoch -20fachen der Größe eines Protons.
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Vereinigung zweier Welten
Das ist grundsätzlich eine begrüßenswerte Idee, denn die physikalischen Theorien des Makro- (Raumzeit, Gravitation) und Mikrokosmos (Quanten) sträuben sich schon seit geraumer Zeit ziemlich hartnäckig gegen eine Vereinigung ihrer Prinzipien. Amelino-Camelia hatte daher zur Befriedigung seiner Vereinigungswünsche die eine oder andere Schwierigkeit aus dem Weg zu räumen.
Lorentz-Kontraktion macht Probleme
Zum Beispiel diese: Ein physikalischer Grundstein der Einsteinschen Theorie ist die so genannte Lorentz-Kontraktion: Danach erscheint ein Objekt, das sich nahe der Lichtgeschwindigkeit bewegt, für dessen Beobachter verkürzt. Für Kenner der seltsamen Welt der Relativität zunächst nichts Ungewöhnliches.

Das Problem folgt jedoch auf dem Fuße: Wenn es nämlich eine minimale Länge gibt, ab deren Grenze die Raumzeit durch die Eigenschaften der Quantenwelt beschrieben werden muss, dann sollte auch für diese die Lorentz-Kontraktion gelten.

Daraus folgt, dass deren Messung für einen bewegten Beobachter andere Werte ergibt als für einen ruhenden. Und das widerspricht wiederum dem Einsteinschen Postulat, dass physikalische Gesetze gleichermaßen in allen Beobachtersystemen gelten müssen.
Die Lösung: "Invarianter" Grenzwert
Amelino-Camelias Publikation wäre kein Erfolg gewesen, hätte er dieses Problem nicht bewältigt. Seine Lösung: Der Grenzwert für die Länge (und damit zusammenhängend, auch der Energie) ist "invariant" - d.h. er erscheint allen Beobachtern gleich.

Neben der bisherigen unüberwindbaren Grenze der Lichtgeschwindigkeit ist somit noch zweite Schranke in die Spezielle Relativitätstheorie eingebaut worden: Die Planck-Länge. Daher nannte Amelino-Camelia sein revolutionäres Konzept auch "Double special relativity" (DSR).
Theorie erklärt Expansion des Universums
Eine Hypothese wird erst dann zu einer erfolgreichen Theorie, wenn sie sich zwanglos in das Gebäude theoretischer Vorstellungen einfügt. Das dürfte für Amelino-Camelias DSR der Fall sein. Weiterentwickelte Versionen können z.B. erklären, warum die Ausdehnung des Universums beschleunigt verläuft.
Das Rätsel der kosmischen Strahlung...
Auch ein anderes Rätsel kann damit gelöst werden: Nach einem Grenzwert mit dem etwas unschönen Namen "Greisen-Zatsepin-Kuzmin-Limit" dürften keine kosmischen Strahlen die Erde erreichen, deren Partikel eine höhere Energie als fünf mal10 hoch 19eV aufweisen.
...wird ebenfalls gelöst
Unangenehmer Weise stellten aber Physiker der Universität Tokio in den letzten Jahren genau das fest. Die mit dem "Akeno Giant Air Shower Array" gemessenen Werte lagen einige Male über dem GZK-Limit. Dies bedeutet einen glatten Widerspruch zu den Vorhersagen der Speziellen Relativitätstheorie.

Amelino-Camelia konnte in einer aktuellen Publikation zeigen, dass man mit dem "Wundermittel" DSR auch hier mehrere Auswege in petto hat, wenn auch noch nicht klar ist, welcher der definitiv richtige ist.
->   Zum Original-Artikel auf arxiv.org
Zustimmung, aber auch Ablehnung
Trotz der immer größer werdenden Anhängerschaft der DSR zeigen sich noch nicht alle Fachkollegen von Amelino-Camelias geistigem Kind überzeugt.

So meinte etwa Sheldon Glashow, Nobelpreisträger für Physik des Jahres 1979, bei der "Double special relativity" handle es sich "nicht einmal um eine Modeerscheinung." Ob nun das Denkmal Einstein einen Sockel aus italienischem Marmor bekommt oder nicht, wird daher erst die Zukunft zeigen.

Robert Czepel, science.ORF.at
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01.01.2010