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Genmanipulation menschlicher embryonaler Stammzellen  
  Ein junger deutscher Forscher hat weltweit erstmals menschliche embryonale Stammzellen gezielt genetisch verändert: Zusammen mit einem US-amerikanischen Kollegen ist es ihm gelungen, in den Stammzellen ein spezielles Krankheits-Gen auszuschalten - ein Vorgang, der bislang nur bei Mäusen funktioniert hat. Embryonale Stammzellen sind der Grundstock, aus dem sich alle Zellarten des Körpers entwickeln. Mediziner hoffen, sie in Zukunft zur Gewinnung von Ersatzorganen und -gewebe nutzen zu können.  
Die Studie von Thomas Zwaka und seinem amerikanischen Kollegen James Thompson - beide forschen derzeit an der University of Wisconsin in Madison - ist als Online-Vorabpublikation des Fachmagazins "Nature Biotechnology" erschienen.
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"Homologous recombination in human embryonic stem cells"
Die Studie "Homologous recombination in human embryonic stem cells" von Thomas P. Zwaka und James A. Thomson ist am 10. Februar 2003 online erschienen in "Nature Biotechnology" und wird in einer der kommenden Print-Ausgaben des Magazins erneut publiziert (doi:10.1038/nbt788).
->   Abstract des Originaltextes in "Nature Biotechnology"
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Einflussnahme auf jedes einzelne Gen möglich
Mit dem Verfahren sei es möglich, auf jedes einzelne Gen Einfluss zu nehmen, sagte Thomas Zwaka. Die Technik mache möglicherweise auch einmal die bisher wenig erfolgreichen Methoden der Gentherapien überflüssig, glaubt der 30-Jährige.

"Das ist schon ein Durchbruch für die Forschung", bestätigt Stammzell-Experte Wolfgang-Michael Franz vom Universitätsklinikum Großhadern in München auf Anfrage. "Die Technik ermöglicht, im Reagenzglas an einzelnen Zellen gezielt Gene auszuschalten."
Bislang Untersuchungen an "Knockout-Mäusen"
Nun könnten Forscher eine genetisch bedingte Krankheit direkt an menschlichen embryonalen Stammzellen studieren. Bislang seien solche Arbeiten vor allem mit so genannten Knockout-Mäusen gemacht worden, bei denen ebenfalls spezielle Gene ausgeschaltet werden.

Wichtig ist das neue Verfahren Franz zufolge unter anderem bei Herzkrankheiten, weil viele Störungen dabei nicht an Mäusen erforscht werden können.
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James Thomson, ein Begründer der Stammzellforschung
Zwaka kam in Polen zur Welt, wuchs aber in Düsseldorf auf und hat dort sowie in Ulm studiert. Der Forscher arbeitet seit gut einem Jahr im Labor von James Thomson, einem der Begründer der Stammzellforschung, und veröffentlichte auch seine bahnbrechende Arbeit in der jüngsten Online-Ausgabe des Journals "Nature Biotechnology" mit Thomson zusammen. Thomson hatte vor fünf Jahren als erster Forscher weltweit embryonale Stammzellen vom Menschen gewonnen und ist heute mit seinen vier Zelllinien einer der wichtigsten Stammzelllieferanten für Forschungslabore in den USA, Europa und Australien.
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Gen für seltene Krankheit ausgeschaltet
Bisher waren Knockout-Mäuse das wichtigste Werkzeug für Mediziner und Verhaltensforscher, um gezielt die Wirkung einzelner Krankheits- und Verhaltens-Gene zu beleuchten, die auch beim Menschen vorkommen.

Doch einige Leiden des Menschen sind im Erbgut von Mäusen nicht verankert, neben Herzrhythmusstörungen zum Beispiel auch das seltene Lesch-Nehan-Syndrom, das bei Jungen eine Verminderung der geistigen Entwicklung hervorrufen kann.

Zwaka gelang es mithilfe der so genannten homologen Rekombination, das Gen für dieses Syndrom in menschlichen embryonalen Stammzellen auszuschalten. Auf ähnliche Weise wolle er einmal die genetischen Wurzeln der Insulin- oder Cholesterinproduktion ändern und andere Krankheits-Gene ein- oder ausschalten, sagt er.
Für die Zukunft: Genetische "bereinigte Ersatzteile"?
Mit der Technik könnte es in Zukunft möglicherweise einmal gelingen, Patienten genetisch "bereinigte Ersatzteile" zu liefern. Demnach würden Genetiker einem Kranken Gewebe entnehmen, aus ihm Stammzellen gewinnen und diese nach Zwakas Verfahren von Krankheits-Genen befreien.

Diese veränderten Stammzellen könnten dann mit Hilfe wachstumsfördernder Mittel das benötigte Ersatzgewebe liefern und dem Patienten anschließend eingepflanzt werden, erläutert Zwaka.

So würden Mediziner Parkinson-Kranken Dopamin produzierende Stammzellen ins Gehirn transplantieren können, ohne Gefahr zu gehen, dass diese Zellen den gleichen Defekt enthalten und über kurz oder lang einen neuen Krankheitsschub erzeugen.
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Homologe Rekombination zur Manipulation einzelner Gene
Die so genannte homologe Rekombination ist vor allem bei Mäusen mittlerweile eine bewährte Methode, um einzelne Gene zu manipulieren. Wissenschaftler verwenden die Technik beispielsweise, um deren genaue Funktion zu erforschen. Dazu wird eine vervielfältigte, defekte Kopie des bestimmten Gens mit dem Erbgut von embryonalen Zellen in Kontakt gebracht. Da Original und Kopie homologe Abschnitte gleichen Ursprungs sind, kommt es in einigen wenigen Fällen zu einem Austausch, das Original-Gen wird durch die manipulierte Kopie ersetzt.

Vor der Aktion wurde der Gen-Kopie ein so genanntes Marker-Gen angehängt: Jede embryonale Zelle, welche das manipulierte Gen in sich trägt, weist daher auch den Marker auf. Alle Tiere, die im Anschluss aus den embryonalen Zellen entstehen, tragen in jeder Zelle anstatt des gesunden das defekte Gen in sich. Nun können die Wissenschaftler genau erforschen, was bei dem Tier alles nicht funktioniert und so darauf schließen, wozu das betreffende Gen gut ist. Im umgekehrten Fall kann man aber durch homologe Rekombination ebenso ein bekanntermaßen krankes Gen durch ein gesundes ersetzen.
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Ausblicke auf die Zukunft
Noch einfacher wäre es, wenn es Zwaka oder anderen Forschern tatsächlich gelingen sollte, jene Gene auszuschalten, die das Abwehrsystem gegen Spenderorgane oder -gewebe mobilisieren.

Dann könnten Biotechnologen eines Tages Stammzelllinien zur Behandlung bestimmter genetisch bedingter Krankheiten entwickeln und sie gefahrlos jedem beliebigen Patienten einpflanzen.
Kritiker befürchten "maßgeschneiderte Babys"
Forscher hoffen, dass man so irgendwann Erbkrankheiten des Menschen schon im Ansatz heilen kann. Kritiker fürchten, dass damit auch dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet würde und genetisch maßgeschneiderte Babys im Reagenzglas geschaffen werden können.

Grundsätzlich ist homologe Rekombination mit Arten möglich, bei denen embryonale Stammzellen isoliert werden können. Neben der Maus ist dies etwa beim Menschen der Fall. Bei vielen Nutztieren, Rindern oder Schafen, ist dies noch nicht geglückt.

Forschungen an menschlichen embryonalen Stammzellen werden in Österreich vor allem aus ethischen Gründen derzeit nicht praktiziert. Die Herstellung solcher Zellen ist nach dem Fortpflanzungsmedizingesetz verboten.

(Gisela Ostwald, dpa/ science.ORF.at)
->   University of Wisconsin Primate Research Center
->   Alles zum Thema Stammzellforschung in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010