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Visuelle Kategorisierung bei Tauben  
  Einer alten Regel der Ethologie zufolge kann das Denken und Verhalten des Menschen erst dann richtig verstanden werden, wenn jenes seiner tierischen Verwandten eingehend studiert wurde. Im Rahmen des Herta-Firnberg-Programmes 2002 untersucht die Biologin Ulrike Aust die visuelle Kategorisierung von Tauben. Dabei geht sie der Frage nach, ob man in den bisherigen Versuche zu unnatürliche Bilder verwendet hat. Dies könnte erklären, warum die Tiere - trotz außergewöhnlicher Kategorisierungsfähigkeiten - an manchen Aufgaben scheitern.  
Die Bedeutung natürlicher Reize
Von Ulrike Aust

Während Tauben in vielen visuellen Unterscheidungsaufgaben erstaunliche Kategorisierungsfähigkeiten zeigen, versagen sie bei manchen anderen oder bewältigen sie nur mit großer Mühe.

Der Grund dafür liegt jedoch nicht notwendigerweise in einem Mangel an den entsprechenden Fähigkeiten, sondern könnte auch in ungeeigneten Versuchsbedingungen zu suchen sein.
Bisherige Versuche: Nur unnatürliche Reize?
Ein gemeinsames Merkmal der meisten Aufgaben, bei denen Tauben bislang versagten, war die Verwendung von höchst unnatürlichen Bildern, wie Linienzeichnungen oder abstrakte geometrische Figuren.

Dies ist aber nicht die Art von Reizen, aus denen die visuelle Welt von Vögeln besteht. Wahrscheinlich kommen natürliche Bilder wie Farbfotografien dem näher, womit Tauben in ihrer Umwelt konfrontiert sind und woran ihr visuelles Verarbeitungssystem angepasst ist.

Im Rahmen meines Projektes werde ich untersuchen, ob der Einsatz von natürlichen anstatt von künstlichen Reizen der Schlüssel zum Erfolg in Aufgaben ist, die bisher als für Tauben extrem schwierig oder sogar unlösbar galten.
Kognition als Evolutionsprodukt
Einsicht in das Wesen der menschlichen Kognition setzt eine Untersuchung ihrer Wurzeln im Tierreich voraus. Den Menschen als Teil eines natürlichen Kontinuums zu sehen, ermöglicht ein besseres Verständnis seines Platzes in der Natur sowie seiner kognitiven Fähigkeiten - sowohl jener, die er mit anderen Tieren teilt als auch jener, die für ihn einzigartig sind.
Warum Tauben?

Unter den Vögeln übertrifft u.a. die Taube den Menschen hinsichtlich ihrer visuellen Fähigkeiten. Die außergewöhnliche Mischung von geringer Größe (ein Taubengehirn ist nur etwa 1/1.000 so groß wie das eines Menschen) und visueller Kompetenz macht das Studium von Tauben so interessant für unser Verständnis der generellen Mechanismen visueller Kognition.
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Versuche in der "Skinner-Box"
Die "Skinner-Box" ist eine Standard-Versuchsanordnung für viele Lernexperimente. Sie besteht aus einer geschlossenen Kiste, die folgende Einrichtungen enthält: eine durchsichtige Scheibe, auf die die Taube picken kann, eine Öffnung, aus der Futter entnommen werden kann, und ein Lämpchen, das das Innere der Box während des Versuches beleuchtet. Unsere Tauben, die in geräumigen Außenvolieren leben, betreten die Boxen, die sich im Labor befinden, freiwillig über einen Verbindungsgang. Jedes Tier absolviert pro Tag einen Versuchsdurchgang, der i.a. aus der Präsentation von 40 Bildern besteht. Diese werden auf einem LCD-Monitor ca. fünf cm hinter der Pickscheibe gezeigt.
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Lernen durch ...
Die Experimente erfordern stets eine Unterscheidung zwischen Bildern verschiedener Klassen, wobei die Klassenregel vom Experimentator festgelegt wird.

Die Tauben werden darauf trainiert, in Gegenwart eines positiven Bildes auf die Scheibe zu picken, um daraufhin eine Futterbelohnung zu bekommen. Zugleich führt Picken bei negativen Bildern zu einer verlängerten Präsentation ("Strafschleife").
... Versuch und Irrtum
So lernen die Tiere durch Versuch und Irrtum, welche Bilder die positiven und welche die negativen sind und picken mit zunehmender Erfahrung auf positive Bilder sehr oft, auf negative hingegen selten oder gar nicht.

Der Computer registriert die Anzahl der Picks bei jedem Bild. Die Unterscheidungsleistung lässt sich anhand der unterschiedlichen Pickraten bei positiven und negativen Bildern ermitteln.
Hinweise auf konfigurale Wahrnehmung

Testen der konfiguralen Wahrnehmung durch Zerstörung der räumlichen Beziehungen zwischen Einzelmerkmalen
Der erste Versuch, dessen Ergebnisse bereits vorliegen, beschäftigte sich mit der Frage, ob Tauben in visuellen Kategorisierungsaufgaben ausschließlich lokale Einzelmerkmale verarbeiten, oder ob sie auch in der Lage sind, die räumlichen Beziehungen zwischen den Merkmalen zu erkennen.

Die Klassenregel bestand darin, dass auf positiven Bildern Menschen zu sehen waren und auf negativen nicht. Als die Tauben diese Diskrimination beherrschten, wurden ihnen Testbilder mit Menschen gezeigt, deren Körperteile "falsch" zusammengesetzt waren.

Tatsächlich führte dies zu einem Leistungsabfall, was darauf schließen lässt, dass die Tauben nicht nur auf die Einzelteile der menschlichen Figur achteten, sondern auch auf deren Konfiguration.
Vervollständigung verdeckter Objekte

Wird die verdeckte Taube als vollständig oder unvollständig wahrgenommen?
Bisher ist in der Literatur kein Versuch beschrieben, in dem Tauben fähig waren, verdeckte Teile von einfachen geometrischen Figuren "im Geiste" zu ergänzen. Möglicherweise kann eine solche Fähigkeit aber bei Verwendung natürlicher Bilder gezeigt werden.

Die Tauben lernen zuerst, zwischen Bilden eines vollständigen und eines unvollständigen Objektes zu diskriminieren. Im anschließenden Test sehen sie Bilder, auf denen das Objekt teilweise durch ein anderes verdeckt ist.

Bepicken sie es in ähnlicher Weise wie Bilder des vollständigen, nicht verdeckten Objektes, deutet dies auf so genannte perzeptuelle Vervollständigung hin.
Symmetrie
Die Tauben lernen, zwischen natürlichen symmetrischen und asymmetrischen Reizen (z.B. Blättern) zu unterscheiden. Falls die Unterscheidung nicht auf Auswendiglernen sondern tatsächlich auf einem abstrakten Symmetriekonzept beruht, sollte sie im Test auch auf völlig anders aussehende symmetrische und asymmetrische Reize übertragbar sein.
Identität
Die Reize bestehen aus jeweils zwei Fotos, die entweder identisch oder verschieden sind. Die Tauben müssen lernen, die Bilder nach "Gleich" und "Ungleich" zu klassifizieren. Falls sie auch spontan neue Bilder richtig zuordnen, spricht das für die Verwendung einer abstrakten Regel.
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Das "Hertha-Firnberg"- Programm
Ulrike Aust ist Forschungsassistentin (Postdoc) am Institut für Zoologie der Universität Wien. Sie wurde im Jahr 2002 mit einer Stelle im Rahmen des Hertha-Firnberg-Programmes ausgezeichnet, das vom Wissenschaftsfonds (FWF) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur durchgeführt wird. Ziel des Programmes ist es, zur besseren Verankerung von Frauen an Universitäten beizutragen.
->   Hertha-Firnberg-Programm (FWF)
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->   Institut für Zoologie der Universität Wien
->   science.ORF.at: Verleihung der Hertha Firnberg-Stellen 2002
->   Weitere Geschichten von Hertha-Firnberg-Forscherinnen in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010