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Straftaten psychisch Kranker: Sind Ärzte haftbar?  
  Inwieweit müssten Experten erkennen, ob ein psychisch kranker Mensch für sich selbst oder für andere zur Gefahr werden kann? Diese Frage wird nach dem tragischen Fall in Hernstein wieder verstärkt diskutiert.  
Für den Arzt sei es prinzipiell eine sehr schwierige Aufgabe, unter den psychisch Kranken jene herauszufiltern, die für sich selbst oder für andere zur Gefahr werden können, sagt der Psychiater und gerichtlich beeidete Sachverständige Reinhard Haller gegenüber dem ORF Radio.
->   Hintergrund: Familiendrama im niederösterreichischen Hernstein
Kein genauer "Blick in die Zukunft" ...
"Grundsätzlich kann man den Arzt nicht verantwortlich dafür machen, dass er nicht in die Zukunft blicken kann", so Experte Haller. Kein Mensch könne menschliches Verhalten in dieser Genauigkeit prognostizieren.
... aber Abklärung des Risikos wird verlangt
"Aber es muss zumindest vom Arzt verlangt werden, dass er sehr genau abklärt, ob mit dieser Erkrankung ein erhöhtes Selbst- und Fremdgefährdungsrisiko vorhanden ist", erläutert der Psychiater weiter.

Wenn das erwiesenermaßen nicht geschieht, dann wäre der Arzt haftbar, sagt Reinhard Haller. Ist erkennbar, dass ein psychisch Kranker sich selbst oder anderen gefährlich werden kann, kann der Patient in einer geschlossenen Anstalt untergebracht werden - bis keine Gefahr mehr besteht.
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Dilemma: Oft sehr kurze Unterbringungszeiten
Reinhard Haller: "Und hier haben wir schon ein gewisses Dilemma, da diese Unterbringungszeiten oft sehr kurz bemessen sind. Hier kommt es natürlich auch zu einer Interessenskollision zwischen den therapeutisch und rehabilitativ Tätigen, die danach streben, den Menschen möglichst rasch wieder in das normale gesellschaftliche Leben zu integrieren, den Interessen des Patienten, der möglichst rasch die Anstalt verlassen möchte - und den Sicherheitsbedürfnissen der Allgemeinbevölkerung."
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Eine Gratwanderung für die Gutachter
Für den Gutachter, den Amtsarzt oder Richter sei es - so Reinhard Haller - eine Gratwanderung. Man sei immer in einer schwierigen Situation: auf der einen Seite die Bedürfnisse und Ansprüche der psychisch Kranken und auf der anderen die der Gesellschaft, die immer für längere Unterbringung sei.

"Und ich muss natürlich zugeben, dass hier manchmal Fehler passieren. Ich möchte auch gar nicht verschweigen, dass das Unterbringungsgesetz in seiner derzeitigen Fassung damals gegen das Votum aller Direktoren psychiatrischer Krankenhäuser beschlossen worden ist."
Zu lockeres Unterbringungsgesetz?
Die Direktoren der psychiatrischen Anstalten seien nämlich durchwegs der Meinung gewesen, dass das Unterbringungsgesetz zu locker sei - und dass das Krankenhaus von sich aus längere Zeit die Möglichkeit haben müsste eine entsprechende Person anzuhalten, so Experte Haller weiter.

In der Regel kann zwei bis drei Wochen angehalten werden, wie der Psychiater erklärt. Dies vor dem Hintergrund, dass auch der beste Arzt nicht garantieren könne, ob ein Patient endgültig geheilt ist - kein Arzt könne mit 100-prozentiger Sicherheit erkennen, ob sich ein Patient vielleicht verstellt.

Daher seien die Krankenhaus Direktoren geschlossen für längere Unterbringungsfristen gewesen: "Ich denke dass das Unterbringungsgesetz in der derzeitigen Fassung vielen Grundrechten des Menschen Rechnung trägt, aber tatsächlich müsste man überlegen, ob man den Anstaltsärzten nicht die Möglichkeit gibt, hier etwas weitere Fristen zur Anwendung zu bringen."

Eveline Schütz, Ö1-Wissenschaft
 
 
 
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01.01.2010