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Küsse verraten die Vorliebe für die rechte Seite  
  Die meisten Menschen bevorzugen das rechte Auge, den rechten Fuß und die rechte Hand. Die Ursachen für diese "Rechtsasymmetrie" sind nach wie vor unbekannt - einen neuen Aspekt hat nun aber ein deutscher Biopsychologe entdeckt: Auch beim Küssen zeigen demnach zwei Drittel aller menschlichen Nasen nach rechts. Die Vorliebe für die Kopfneigung nach rechts zeigt schon der Embryo im Mutterleib - und sie bleibt offenbar ein Leben lang erhalten.  
Onur Güntürkün von der Abteilung für Biopsychologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) hat die Ergebnisse seiner zweieinhalbjährigen Beobachtung küssender Paare im öffentlichen Raum nun im Wissenschaftsmagazin "Nature" veröffentlicht.
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"Adult persistence of head-turning asymmetry"
Der Artikel "Human behaviour: Adult persistence of head-turning asymmetry. A neonatal right-side preference makes a surprising romantic reappearance later in life" von Onur Güntürkün ist erschienen in "Nature", Bd. 421, Seite 711, vom 13. Februar 2003 (doi:10.1038/421711a).
->   Der Originaltext (kostenpflichtig)
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Asymmetrie als bleibende Vorliebe
Der Forscher konnte so erstmals die bleibende Vorliebe für eine Seite bei Menschen nachweisen. Sie bedingt oder verstärkt möglicherweise andere Asymmetrien der Wahrnehmung und kognitiver Prozesse, die sich erst später im Leben entwickeln.

Denn die meisten Menschen bevorzugen das rechte Auge, das rechte Ohr, den rechten Fuß und die rechte Hand. Nach wie vor ist unklar, was der Auslöser für diese auffälligen Rechtsasymmetrien sind, die über alle Menschen hinweg meist in einem Rechts-Links-Verhältnis von 2:1 auftreten.
Asymmetrien bei Tauben durch die Kopfdrehung
Untersuchungen an Tauben könnten eine Antwort geben: Auch Vögel bevorzugen das rechte Auge. Bei ihnen liegt es daran, dass sie, wie fast alle anderen Wirbeltiere, schon als Embryo ihren Kopf am liebsten nach rechts drehen. Dadurch wird noch vor dem Schlupf hauptsächlich ihr rechtes Auge durch Licht stimuliert.

Die Bochumer Forscher haben bereits herausgefunden, dass dieser Effekt das noch junge Vogelgehirn asymmetrisch verändert - und dass diese Asymmetrie dann weitere Links-Rechts-Unterschiede in der Wahrnehmung und in kognitiven Prozessen bedingt.
Auch Kinder im Mutterleib drehen Kopf nach rechts
Könnten die Mechanismen bei Menschen die gleichen sein? Tatsächlich drehen menschliche Föten im Mutterleib ihren Kopf hauptsächlich nach rechts, auch bei Neugeborenen ist diese Bevorzugung noch zu beobachten. Im Alter von drei bis sechs Monaten verschwindet der Effekt jedoch.

Da sich die Rechtsvorlieben des Armes, des Fußes, des Auges und des Ohres aber erst viel später im Leben ausprägen, blieb bisher unklar, ob sie eine Folge der Tendenz sind, lieber zu einer bestimmten Seite zu schauen.
Studie: Bleibt Rechtsdrehungsneigung doch erhalten?
Um diesen Zusammenhang zu klären, hat Onur Güntürkün untersucht, ob die Rechtsdrehungsneigung des Kopfes vielleicht doch erhalten bleibt - denn dann könnte sie der Auslöser vieler menschlicher Asymmetrien sein.

"Um eine solche Vorliebe bei Erwachsenen nachzuweisen, muss man die Menschen in einer Situation beobachten, in der sie sich spontan und ohne jeden Druck von außen entscheiden, den Kopf zu einer Seite zu drehen", so Güntürkün. "So kam ich auf die Idee, sie beim Küssen zu beobachten."
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Details zum Forschungsprojekt: Küsse zählen auf Reisen
Zweieinhalb Jahre lang nutzte der Bochumer Biopsychologe Wartezeiten an Flughäfen und Bahnhöfen, Aufenthalte am Strand und in Parks in Deutschland, den USA und der Türkei, um Daten für seine Studie zu sammeln. Er wertete 124 Küsse von Paaren zwischen ca. 13 und 70 Jahren aus, für jedes Paar nur einen Kuss, bei mehreren Küssen zählte nur der erste.

Um sich für die Auswertung zu qualifizieren, musste ein Kuss mehreren Kriterien genügen: Es musste Lippenkontakt geben, die Küssenden mussten sich gegenüberstehen, keiner durfte etwas in der Hand halten (denn das könnte eine Seitenvorliebe hervorrufen), und es musste eine eindeutige Kopfbewegung zu beobachten sein. Und siehe da: 80 der 124 Küsse fanden mit nach rechts gedrehten Köpfen statt.
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Kopfvorliebe könnte andere Asymmetrien beeinflussen
Die Rechtsvorliebe des Kopfes, die bei Menschen schon im Mutterbauch entsteht, verschwindet also nie, meint Güntürkün. Sie könnte somit alle anderen Asymmetrien der Wahrnehmung und der Handlung nach sich ziehen.

Für die Entwicklung zum Rechts- oder Linkshänder muss es im Übrigen noch andere genetische oder auch kulturelle Ursachen geben: Hier ist das Verhältnis 8:1. Möglicherweise existiert für die Händigkeit ein großer kultureller Druck, der eine schwache Rechtstendenz massiv verstärkt.
->   Abteilung für Biopsychologie an der Ruhr-Universität Bochum
Mehr zu diesem Thema im science.ORF.at-Archiv:
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->   Manche Krähen sind "Rechtshänder"
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01.01.2010