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Frauen in der Medizin - der große Unterschied  
  Bisher galt der Mann in der Medizin als "menschlicher Prototyp". So finden sich in untersuchten Anatomiebüchern nur 21 Prozent Abbildungen vom weiblichen Körper - und dies inklusive der Fortpflanzungskapitel. Dabei zeigt sich immer öfter, dass der vielzitierte "kleine Unterschied" beträchtlich größer ist als bisher angenommen. Vor allem in Gesundheitsbelangen.  
Die Frau - ein ganz besonderes Wesen
Gravierende Veränderungen beim Übertritt in die reproduktive Phase, während der Schwangerschaft bzw. beim Wechsel in die Menopause sowie der monatlich Menstruationszyklus machen Frauen eben zu "ganz besonderen Wesen".

Doch wie sich diese Besonderheiten z. B. auf die Wirksamkeit von Medikamenten auswirken, ist nach wie vor größten Teils unklar.
Daten werden einfach auf die Frau übertragen
Bei klinischen Studien werden fast ausschließlich junge, gesunde Männer untersucht. Denn bei Frauen im gebärfähigen Alter wären die hormonellen Schwankungen des Monatszyklus zu berücksichtigen und außerdem bestünde immer die "Gefahr" einer Schwangerschaft. So werden die Daten und Erkenntnisse dieser "Männer"-Studien einfach auf Frauen übertragen.
Kleiner Unterschied mit großer Wirkung
Dabei hat der "kleine Unterschied" durchaus große Wirkung: Frauen sind von Mutter Natur z. B. mit einem höheren Fettanteil ausgestattet als Männer, um auch in Notzeiten Kinder gebären und stillen zu können. Dies bedeutet aber wiederum, dass sie fettlösliche Substanzen besser speichern können und dadurch die Gefahr einer Überdosierung besteht.
Geringeres Körpergewicht
Frauen haben in der Regel ein geringeres Körpergewicht als Männer, was natürlich ebenfalls bei den Dosierungs-Angaben berücksichtigt werden sollte. Ihr Magen arbeitet langsamer, daher tritt die Wirkung von Medikamenten später ein.
Höhere Enzymaktivität
Frauen weisen eine höhere Enzymaktivität auf, was wiederum bedingt, dass Substanzen schneller abgebaut werden und schwächer wirken.
Hormonelle Schwankungen
Ganz abgesehen von den Auswirkungen der hormonellen Schwankungen bedingt durch Monatszyklus und Einnahme hormoneller Verhütungsmittel auf den gesamten Körper.

Zu all diesen Punkten gibt es bisher jedoch nur bei wenigen Medikamenten klare Untersuchungsergebnisse - und selbst diese Erkenntnisse haben bisher noch keinen Einfluss auf die Verordnungspraxis oder den Text der Beipackzettel genommen.
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Medikamente wirken anders
Sowohl in der Pharmakokinetik als auch in der -dynamik unterscheiden sich Männer und Frauen erheblich. Denn PH-Wert, Körperfett, Enzymaktivität, Hormone und Stoffwechsel, die bei Mann und Frau durchaus Unterschiede aufweisen, beeinflussen die Aufnahme und Wirksamkeit von Medikamenten.
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Bebachtungen aus der Praxis
"Wir konnten beobachten, dass gewisse Opiate bei Frauen tatsächlich anders wirken" so Karin Gutierrez-Lobos. "Benzodiazepene z.B. werden vom weiblichen Körper langsamer ausgeschieden. Lithium wieder reichert sich im Blut von Frauen stärker an, was eher zu Auftreten von unerwünschten Wirkungen wie Zittern führt. Männer sprechen besser auf trizyklische Antidepressiva an, bei selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) fanden sich bisher aber keine geschlechtsspezifischen Unterschiede."
Schmerzempfinden und Beta-Blocker
Es gibt laut Gutierrez-Lobos auch Untersuchungen, die zeigen, dass Acetylsalicylsäure (Aspirin) bei Frauen nicht im gleichen Maße gegen Herzinfarkt schützt wie bei Männern und dass auch Beta-Blocker bei Patientinnen anders wirken.

Auch das Schmerzempfinden der Frau soll ein anderes sein als das des Mannes, was sich wiederum bei der Dosierung von Narkosemitteln niederschlagen müsste. "Aber die großen Untersuchungen stehen hier noch aus", kritisiert Gutierrez-Lobos.
Frauenherzen schlagen anders
Relativ gut untersucht wurde in den letzten Jahren die unterschiedliche Symptomatik von Mann und Frau bei einem Herzinfarkt. Doch die jahrzehntelange Konzentration auf den Herzinfarkt als reine Manager- und Männerkrankheit kostete unzähligen Frauen das Leben.

"Heute weiß man", so die Kardiologin Jeanette Strametz-Jurenek vom Wiener AKH, "dass die Infarktsymptome bei Frauen meist weniger dramatisch und diffuser verlaufen als bei Männern. Der Infarkt kündigt sich bei Frauen meist mit Übelkeit, schwer zu bestimmenden Schmerzen im Brust- und Bauchraum oder Schulterschmerzen an, was die behandelnden Ärzte eben oft auf eine falsche Spur führt. Zumeist wird dann an das Vorliegen einer doch eher banalen Erkrankung des Magen-Darmtraktes oder der Wirbelsäule gedacht. Wenn zu diesen Beschwerden noch Schwindel, Müdigkeit und Atemnot dazukommen, muss frau sofort einen Kardiologen bzw. ein Krankenhaus aufsuchen."
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Unterschiedliche Auffassung von Gesundheit
Männer: Leistungsfähigkeit, "nicht spüren"
Frauen: eigenes Körpererleben unter Einbeziehung des sozialen Wohlbefindens
Diese unterschiedlichen Auffassungen haben Folgen
für das Gesundheitswesen
Männer: häufiger somatische Diagnosen
Frauen: häufiger psychosomatische Diagnosen
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Unterschiede im Immunsystem
Doch nicht nur das Herz, auch das Immunsystem arbeitet bei Frauen anders. In Abhängigkeit zum Menstruationszyklus ist es großen monatlichen Schwankungen unterworfen.

"Um den evolutionären Auftrag der Fortpflanzung erfüllen zu können", so die Gynäkologin Katharina Schuchter, "muss die Frau ja in der Lage sein, ein 'Xenotransplantat' - nämlich den Embryo - tolerieren zu können."

Studien zeigen, dass es in der Phase vor und während des Eisprungs - östrogenbedingt - zu einer enormen Steigerung der immunologischen Aktivität kommt. Nach dem Eisprung, in der Gelbkörperphase, steigt der Progesteronspiegel an und das Immunsystem wird toleranter gegenüber einer möglichen Einnistung des "Fremdkörpers" Embryo.
Empfänglicher für Krankheiten?
"Vereinfacht gesagt ist also die immunologische Potenz einer Frau in der ersten Zyklusphase größer als in der zweiten", meint Schuchter, "nicht nur die Gebärmutterschleimhaut, sondern alle Schleimhäute der Frau sind diesen Schwankungen unterworfen. So wäre es möglich, dass in der zweiten Zyklusphase auch die Empfänglichkeit für sexuell übertragbare Krankheiten und letzten Endes auch für HIV größer ist."

Immerhin konnte bereits bei Affen in einer Studie nachgewiesen werden, dass die Übertragung von sexuell übertragbaren Keimen in der Gelbkörperphase signifikant höher ist als zu einem andern Zeitpunkt.
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Frauen für Frauen - Gesundheit im Brennpunkt
Diese Plattform wurde 2001 von Karin Gutierrez-Lobos und Gabriele Fischer ins Leben gerufen, um frauengerechtere Bedingungen in der Medizin - sowohl für die darin arbeitenden als auch die Patientinnen - zu fördern.

Das Netzwerk der Frauen umfasst Ärztinnen, Studentinnen, Psychotherapeutinnen, Psychologinnen, Pharmazeutinnen und Frauen aus der Wirtschaft, fördert ein Mentorinnenprogramm für Ärztinnen, beschäftigt sich mit der Implementierung einer geschlechtsspezifischen Lehre an der Universität und will über vernetzte Untersuchungen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung von Patientinnen beitragen.
->   Frauen für Frauen
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Beginn einer frauenspezifischen Medizin
Es liegt also auf der Hand: Der kleine Unterschied kommt groß zu tragen. Die Forderung nach einer geschlechtsspezifischen Medizin und medizinischen Forschung wird immer lauter.

Der Schlüssel dazu dürfte im endokrinen Zyklus der Frau liegen. Oder wie eine Expertin meint: Nur der, der über die reproduktive Kraft der Frau Bescheid weiß, kann letzten Endes gute frauenspezifische Medizin betreiben.

Barbara Urban, Ö1-Radiodoktor
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Ö1-Radiodoktor: Infomappe bestellen
Eine kostenlose Infomappe zur Sendung vom 17.2.03 kann bestellt werden unter: ORF Redaktion Radiodoktor, Postfach 1000, Kennwort Frauen in der Medizin, 1040 Wien oder E-Mail: radiodoktor@orf.at
->   Österreich 1
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01.01.2010