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Tabuthema Schütteltrauma  
  Kinderärzte warnen entnervte Eltern davor, ihr schreiendes Baby aus Ohnmacht und Verzweiflung zu schütteln. Dadurch entstehen innere Verletzungen die mitunter sogar zum Tode führen können. Jugendämter und Kinderkliniken bieten daher präventive Hilfestellungen.  
Hohe Dunkelziffer
An die Grazer Kinderklinik gelangten in den letzten fünf Jahren zehn Fälle mit diagnostiziertem Schütteltrauma. Die Dunkelziffer derer, die einmal "ausrasten" und das Kind in elterlicher Hilflosigkeit und Wut schütteln, ist aber ungleich höher - und diese Fälle finden sich in allen gesellschaftlichen Schichten.

Zumeist fehlt den betreffenden Eltern aber jedes Bewusstsein für die drohende Verletzungsgefahr. Und Wut auf ein Baby zu haben, ist gesellschaftlich tabu.
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Schütteln bedeutet Misshandlung
Das Schütteltrauma ist eine Form der Misshandlung von Säuglingen und Kleinkindern. Erstmals wurde es 1972 von John Caffey als Whiplash Shaken Baby Syndrome beschrieben. 1974 initiierte er die erste Aufklärungskampagne:

"Guard well your baby's precious head,
Shake, jerk and slap it never,
Lest you bruise his brain and twist his mind,
Or whiplash him dead, forever."
->   Mehr zum Schütteltrauma (pdf-File)
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Inneren Verletzungen ...
Durch das Schütteln wird der im Verhältnis zum Körpergewicht schwere Kopf des Säuglings nach vor und nach hinten geschleudert. Dadurch prallt das Gehirn an die Schädelinnenseite.

Durch das Beschleunigen und Bremsen entstehen Scherkräfte, die die zarten Verbindungen zwischen Gehirn und Schädel zerreißen.
... können mitunter tödlich sein
Es entstehen Blutungen, Quetschungen und Schwellungen. In schweren Fällen kann das Schütteltrauma zum Tod führen.

Eine kanadische Studie ergab, dass zwei Drittel der überlebenden Kinder schwere Langzeitschäden davon tragen. Darunter vor allem Sehprobleme und neurologische Schäden.
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Kein typisches Bild des Schütteltraumas
Richard Fotter, Kinderradiologe in Graz, meint hierzu: "Es gibt kein typisches Bild eines Schütteltraumas. Eine Augenuntersuchung kann aber einen möglichen Verdacht erhärten. An der Netzhaut werden massive Blutungen festgestellt. Die Magnetresonanz-Untersuchung zeigt im konkreten Fall das Ausmaß der Verletzungen im Schädelinneren. Es ist aber immer wieder eine Gratwanderung für den Arzt, zu entscheiden, ob ein Fall tatsächlich eine Kindesmisshandlung durch Schütteln oder ein Unfall ist. Der letzte kleine Patient in Graz war nicht älter als dreieinhalb Monat".
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Trauma selten nachzuweisen
Nur selten wird ein Schütteltrauma von Eltern oder Betreuern zugegeben und häufig ist es wegen des Fehlens äußerer Verletzungen nur schwer nachzuweisen. In den meisten Fällen wird auch keine Klinik aufgesucht.
Zwei Gruppen von Betroffenen
Marguerite Dunitz Scheer von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Graz: "Die Kinder, die mit einem Schutzengel solche Übergriffe organisch unbeschadet überstehen, fallen in zwei Gruppen. Eine Gruppe, bei der die Eltern kapiert haben, dass es so nicht weitergehen kann. Damit tritt auch ein Veränderungsprozess ein."

"Und jene Kinder, bei denen im Prinzip die 'übergriffige' Interaktion mit den Eltern weitergeht. Diese Kinder werden zwar aufgrund des Wachstums nicht mehr 'geschüttelt', da kommt es aber weiterhin zu bedenklichen körperlichen und emotionalen Übergriffen."
Sackgasse schleichender Gewalt
Eltern und Kinder leben in einem wenig kinderfreundlichen Alltag.
Das Wunschbild der harmonischen und liebevollen Familie und die Realität - mit dem Spagat zwischen Beruf und Familie - klaffen weit auseinander. Familiäre Probleme, Aggressionen können entstehen und bleiben in der Regel unbewältigt.

Um Eltern in diese drohende Sackgasse schleichender Gewalt erst gar nicht hineingeraten zu lassen, arbeiten Kinderkliniken und Jugendämter in Österreich verstärkt zusammen.
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Schreiambulanzen und Kinderschutzgruppen
Um beispielsweise entnervten Eltern mit Schreibabys zu helfen, gibt es immer mehr Schreiambulanzen in Österreich, die mit Rat und Tat zur Seite stehen und Müttern und Vätern nach zahllosen durchwachten Nächten auch einmal ein paar Stunden ungestörten Schlaf gönnen.

Die Kooperation von Kinderambulanzen und Kinderschutzgruppen gewährt betroffenen Eltern und Kindern auch über längere Zeit therapeutische Begleitung.

Weitere Informationen:
Gesellschaft zur Förderung der seelischen Gesundheit in der frühen Kindheit
->   Links zu Vereinen und Selbsthilfegruppen
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Ein Beitrag von Martina Schmidt für Modern Times Gesundheit vom 21.2.2003, 22.35 Uhr ORF 2
->   Modern Times
 
 
 
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01.01.2010