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Zum 90. Geburtstag von Paul Ricoeur  
  Am 27. Februar feiert der französische Philosoph Paul Ricoeur seinen 90. Geburtstag. Er gilt als letzter lebender "Meisterdenker" der Generation von Jean-Paul Sartre oder Maurice Merleau-Ponty. Der "Philosoph der Vermittlung" bezieht sich in seinen umfangreichen, detaillierten Studien auf so unterschiedliche Disziplinen wie Theologie, Psychoanalyse, Geschichtswissenschaft oder Linguistik - und plädiert darin für eine Offenheit des Denkens.  
Philosophisches Credo
Ricoeurs Credo lautet: "Für mich ist die philosophische Aufgabe nicht, Wissen zu zentralisieren oder zu totalisieren, sondern die nicht reduzierbare Pluralität von Diskursen offenzuhalten".

Ricoeurs unermüdliche Vermittlertätigkeit erregt Bewunderung und Befremden. So attestierte man seiner Philosophie Eklektizismus, die in ihrer Gelehrsamkeit pure Langeweile verbreite.
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Biografie und Werk
Paul Ricoeur wurde am 27.Februar 1913 in Valence geboren. Nach dem Studium der Philosophie, nach Jahren der Kriegsgefangenschaft in Deutschland lehrte er an der Sorbonne, später an der Reformuniversität in Nanterre. Wegen der Studentenrevolte von 68 wechselte er an die Universität Löwen, später lehrte er in Chicago, wo er 1992 emeritiert wurde.
Bücher
"Die Fehlbarkeit des Menschen", "Symbolik des Bösen", "Die Interpretation. Ein Versuch über Freud", "Die lebendige Metapher", "Sich-selbst-als-ein-Anderer".
Einführungen in deutscher Sprache
Jens Mattern: Ricoeur. Junius Verlag
Franz Prammer: Die philosophische Hermeneutik, Tyrolia Verlag
->   Paul Ricoeur: Offizielle Akademische Homepage
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Offene Dialektik
Ricoeur verfolgt in seinen Büchern die Strategie der "offenen Dialektik"; das heißt, er will in seinen Rekonstruktionen und Vermittlungen gewisse innovative Elemente einbringen. In einem Interview meinte Ricoeur: "Kreativ zu sein heißt sich mit vorhandenen Regelsystemen auseinanderzusetzen., sei es um sich leiten zu lassen, sei es, um sie zu übertreten."
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Gegner: Rationalismus und Idealismus
Ricoeurs Hauptgegner sind der cartesianische Rationalismus, der das "cogito" verherrlicht und der deutsche Idealismus, der das reine Selbstbewusstsein als höchste Instanz setzt.

Beide philosophische Strömungen sind für ihn ein "fataler Missgriff", weil sie die Abhängigkeit des Menschen von leiblicher Verankerung, Einbindung in historische und politische Kontexte und die Bedeutung der Sprache nicht beachten.
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Stattdessen: Selbstheit als Konzept vom Menschen
Wesentlich ist für Ricoeur die "Selbstheit"- die Ganzheit der menschlichen Existenz, die an die Stelle des "cogito" das "Ich bin" stellt.

Um die Selbstheit besser zu verstehen, bezieht sich Ricoeur neben der Psychoanalyse auch auf die Interpretation von Mythen, Symbolen und Erzählungen, in denen versucht wird, eine annährende Beschreibung der menschlichen "Selbstheit" zu leisten.
Gegen Kants Kategorischen Imperativ
In seinen Untersuchungen zur Ethik wandte sich Ricoeur vor allem gegen die Morallehre von Immanuel Kant, speziell gegen den "kategorischen Imperativ".

Kants Aufforderung "Handle so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne" ist für Ricoeur ein demagogischer Formalismus, der den konkreten, empirischen Lebensbereich des Menschen ausklammert.
Hören auf gelebten Sinn
Dagegen setzte Ricoeur eine Ethik, die Leiblichkeit, Sinnlichkeit, Emotionen, das Streben nach Glück, die Sorge um sich und den Anderen miteinbezieht.

Er spricht von einer Ethik des Hörens. Gehört werden soll auf dasjenige, was bereits an gelebten Sinn vorhanden ist."Ich glaube nicht, dass die Philosophie alles im Leben ist", notierte Ricoeur, "man muss auch lieben können".
Ein Beitrag von Nikolaus Halmer für die Dimensionen vom 25. Februar 2003, 19.05 Uhr in Radio Österreich 1.
->   Radio Österreich 1
->   Weitere Links zu Ricoeur beim dmoz-Open Directory Project
 
 
 
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01.01.2010