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Die Opfer des NS-Vermögensraubs  
  Der Endbericht der Österreichischen Historikerkommission gibt einen Überblick, auf welch vielfältige Weise das NS-Regime verschiedene Personengruppen beraubt hat. Die bei weitem größte Opfergruppe waren die österreichischen Juden und Jüdinnen. Aber auch Sinti und Roma, Slowenen, Tschechen, Kroaten, Ungarn, Regimegegner, Homosexuelle und Euthanasieopfer wurden im großen Stil verfolgt.  
Vernichtung selbst finanziert
Über 200.000 jüdische Österreicher und Österreicherinnen lebten vor dem Beginn des NS-Regimes in Wien, nur etwa 1.000 konnten hier überleben - ihre Vertreibung und Vernichtung mussten sie zynischerweise auch noch selbst finanzieren.

Zu diesem Schluss kommt Angelika Shoshana Jensen in ihrem Bericht über die jüdischen Vereine und Organisationen für die Historikerkommission.

Je nach Berechnungsmethode wird das Vermögen der österreichischen Juden im Jahr 1938 mit einem Betrag von 1,8 bis 2,9 Milliarden Reichsmark angegeben. Eine Umrechnung der Summe in Euro ist aus mehreren Gründen unmöglich.
->   Die Historikerkommission
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Endbericht der Historikerkommission
"Oft nur halbherzig und teilweise recht zögerlich" hat die Republik Österreich nach 1945 bei der Entschädigung der Nazi-Opfer agiert. Zu diesem Schluss kam die seit Herbst 1998 arbeitende Historikerkommission, die am Montag, den 24. Februar, ihren offiziellen Endbericht präsentiert hat.
->   Mehr dazu in: "NS-Entschädigungen oft nur halbherzig"
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Vielfältige Weisen des Vermögensentzugs
Vermögensentzug geschah auf vielen Ebenen. Es wurde geplündert, insgesamt 59.000 Mieter wurden aus ihren Wohnungen vertrieben. Dazu kamen Steuern und Sonderabgaben wie die "Judenvermögensabgabe" oder die "Reichsfluchtsteuer", die selbst bei der erzwungenen Deportation in ein Konzentrationslager außerhalb der Reichsgrenzen zu bezahlen war.

Die "Arisierung" von Liegenschaften erfolgte oft in Form eines Verkaufs - freilich meist aus verschiedenen Zwängen und unter Einzahlung des Erlöses auf Sperrkonten.
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Der Nachbar als Feind
"Wilde Arisierungen" gab es unmittelbar und spontan in den ersten Tagen nach dem "Anschluss" am 12. März 1938: Jüdische Mieter wurden dabei von ihren Nachbarn oder anderen vertrieben. Ehe diese "Arisierungen" gesetzlich wurden ("Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden in der Ostmark" vom 10. Mai 1939), hatten bereits 44.000 jüdische Mieter ihre Wohnungen verlassen müssen.
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Liquidation von Betrieben
Die Gesamtzahl der 1938 vorhandenen Betriebe mit einem jüdischen Eigentümer wird je nach Berechnungsmethode zwischen 25.000 und 36.000 angegeben.

Nach eigenen Angaben des Regimes wurden bis 1940 von 25.440 Unternehmen 18.800 liquidiert. Von rund 100 jüdischen Privatbanken wurden acht "arisiert", alle anderen bis zum Kriegsende liquidiert.
Roma und Sinti: Siedlungen geschliffen, ermordet
"Zigeuner" war in der NS-Zeit eine politische Kategorie, verfolgt wurden daher nicht nur die Vorfahren der heute in Österreich lebenden Roma und Sinti, sondern auch "nach Zigeunerart" umherziehende Personen (von 11.000 überlebten 1.500 bis 2.000).

Die Einweisung von Roma und Sinti in Lager hatte 1940 in großem Stil begonnen. Das Eigentum der Internierten wurde von den Gemeinden verkauft, ihre Siedlungen geschliffen - wobei das Abrissmaterial ebenfalls zu Geld gemacht wurde.

Wohnwägen und Pferde fielen an das Deutsche Reich, ohne dass jemals Entschädigung dafür bezahlt worden wäre. Grundstücke wiederum - oft nicht einmal den Erben bekannt - sind später mehrfach an die Republik gefallen, zum Teil stehen noch heute offensichtlich den Nazis zum Opfer gefallene Personen in den Grundbüchern.
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Dank der Auftraggeber
Unterdessen haben die Auftraggeber - unter ihnen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) - der Historikerkommission offiziell gedankt. Sie habe "erstmals ein umfassendes, seriöses Bild über Vermögensentzug und Restitutionsleistungen erstellt". Im Sinne der Verfasser unterstreichen sie, dass "die Lösung für die materiellen Ansprüche keinen Schlussstrich unter die geistige Auseinandersetzung mit dieser dunkelsten Zeit der neueren österreichischen Geschichte bedeuten kann".
->   Der Schlussbericht der Historikerkommission (pdf-Datei)
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Slowenen: Mehrere "Aussiedlungswellen"
Betroffen von Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes waren auch die Slowenen in Kärnten, von denen es 1938 etwa 20.000 bis 30.000 gab.

Repressalien in größerem Umfang begannen mit dem Überfall Deutschlands auf Jugoslawien. 1942 kam es zur Deportation von rund 1.000 Personen, offiziell, um Platz für Aussiedler aus dem Kanaltal zu machen. 1944 begann als Reaktion auf die Tätigkeit der Partisanen eine neuerliche "Aussiedlungswelle".

Die 43 slowenischen Genossenschaften wurden großteils mit "deutschen" verschmolzen. Unmittelbar nach Kriegsende machten die Behörden auch unter dem Eindruck der Bedrohung der Gebietsabtrennung in Richtung Jugoslawien Zusagen bezüglich rascher Entschädigung, diese Bereitschaft ging später freilich deutlich zurück.
Tschechen: Vor allem Vereine betroffen
Bei den Tschechen und Tschechinnen (1934: ca. 52.000) waren in erster Linie Vereine betroffen, denen meist das Vermögen entzogen wurde. In der Regel blieben sie aber erhalten.

Nach 1945 reduzierte sich die Zahl der Tschechen durch Remigration deutlich. Der Schulverein, dem ein Großteil der Werte zustand, erhielt sein Vermögen zurück. Nennenswerte Rückstellungen an andere Vereine sind nicht bekannt.
Andere Opfergruppen: Individueller Entzug von Vermögen
Bei allen anderen Personengruppen - burgenländische Kroaten und Ungarn, politisch Verfolgte, Homosexuelle, Euthanasieopfer - fand aus unterschiedlichen Gründen kein systematisierter Vermögensentzug statt und es kam damit auch zu keinen systematischen Rückstellungen von Vermögenswerten.

Immer wieder kam es aus politischen Gründen jedoch zum Entzug beträchtlicher Vermögenswerte, vor allem auch bei einzelnen ehemaligen Adeligen.
Vereine, Stiftungen und Fonds
Vereine, Stiftungen und Fonds wurden über die "Dienststelle des Stillhaltekommissars für Vereine, Organisationen und Verbände" abgewickelt. Hintergrund war, dass die Nationalsozialisten auf dem Gebiet des Vereinswesens keine Konkurenz dulden wollten.

Insgesamt hat der Stillhaltekommissar rund 70.000 Vereine aufgelöst, zwei Drittel des Gesamtvermögens der Vereine wurden entzogen und in NS-Organisationen eingebracht. Zudem waren Sondergebühren an den Stillhaltekommissar und die NSDAP zu leisten.
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Kultusgemeinde musste Deportation finanzieren
Das Vermögen von rund 270 jüdischen Vereinen wurde der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) bzw. anderen Organisationen übertragen, vor allem die IKG musste damit die verblieben jüdische Bevölkerung versorgen bzw. die Auswanderung finanzieren. Auch Gelder jüdischer Stiftungen wurden zur Finanzierung der Deportation heran gezogen.
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Auch Katholische Kirche betroffen
Bei den Religionsgemeinschaften war vor allem die katholische Kirche mit ihrem dichten Netz von Einrichtungen betroffen. Zum einen kam es zu einer Umstellung der Kirchenfinanzen auf das Kirchenbeitragssystem, was für die Kirche mit einem erheblichen Verlust verbunden war. Außerdem wurden Eigentum von Klöstern und Pfarren sowie Kunstgegenstände eingezogen.

Die Rückstellungen bzw. Entschädigungen gingen unterschiedlich rasch vor sich und stießen vor allem bei Gemeinden, die Gründe für Wohnbauten beanspruchten, oft auf Widerstand.

1960 wurden der Katholischen Kirche als Entschädigung 50 Millionen Schilling sowie der Gegenwert der Entschädigung von 1.250 Bediensteten zugesprochen. Kleinere Konfessionen sowie die Israelitische Kultusgemeinde erhielten im Sinne einer Gleichbehandlung der Religion entsprechend geringere Mittel.
Rückstellungskommission tendenziell gegen Opfer
Für die Restitution von zentraler Bedeutung war aus Sicht der Opfer das im Februar 1947 beschlossene Dritte Rückstellungsgesetz. Erst damit wurden ein Zugriff auf jenes Vermögen möglich, das sich nunmehr in privater Hand befand.

Die im Zuge dieses Gesetzes eingesetzten Rückstellungskommissionen entschieden freilich vor allem ab den frühen fünfziger Jahren tendenziell zu Ungunsten der NS-Opfer.
Viele Akten wurden 1947-1955 vernichtet
Aussagen über die Arbeit der Kommissionen werden allerdings dadurch erschwert, dass die betreffenden Akten für die Jahre 1947 bis 1955 in den achtziger Jahren skartiert, also vernichtet wurden.
Washingtoner Abkommen 1991
Ein Problem in diesem Zusammenhang waren die Antragsfristen. Diese wurden zwar mehrmals verlängert. Allerdings war die Vorgangsweise dabei unübersichtlich und schuf Rechtsunsicherheit.

Gar keine Entschädigung gab es vorerst für entzogene Mietrechte. Dies geschah erst im Zuge des Washingtoner Abkommens 1991 mit einer Pauschalentschädigung, die über den Nationalfonds abgewickelt wird.
 
 
 
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01.01.2010