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Authentische Skistars, inszenierte Politiker  
  Beim Weltcupfinale an diesem Wochenende stehen Österreichs Skistars noch einmal im Rampenlicht. Der Frage nach dem Politischen dieser "klassen Burschen im Schnee" geht der Kulturwissenschaftler Georg Spitaler, Junior Fellow am IFK in Wien, in einem Gastbeitrag nach. Während sie zumeist als "authentisch" wahr genommen werden, haben es Politiker viel schwieriger: Sie stehen von vorne herein unter Inszenierungsverdacht. Populisten, so scheint es, haben diesen Widerspruch überwunden.  
Zum Politischen des neuen Alpinismus in Österreich

von Georg Spitaler

Im Winter 1956 berichtet die "Austria Wochenschau" vom Empfang der erfolgreichen österreichischen Olympia-Mannschaft bei Bundespräsident Theodor Körner in Wien. Im Mittelpunkt steht dabei Toni Sailer, dem bei dieser Gelegenheit das "Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik" überreicht wird.
Präsident zu Toni Sailer: "Werden Sie kein Star"
Der aus dem off gesprochene Kommentar überliefert die Worte, die der Bundespräsident an den dreifachen Olympiasieger und vierfachen Weltmeister von Cortina gerichtet hat: "Werden Sie kein Star, ermahnt der Herr Bundespräsident unseren Toni, der trotz seiner Erfolge der einfache und sympathische Sportsmann geblieben ist."
Er wurde aber dennoch einer - bis heute
Trotz der beinahe beschwörenden Feststellung des Wochenschau- Reporters Heribert Meisel beherzigt Sailer den Rat des Präsidenten nur zum Teil. Bereits nach der Ski-WM 1958 in Badgastein, im Alter von nur 23 Jahren, beendet er seine sportliche Laufbahn und startet eine zweite Karriere als Schauspieler.

Sein einstens erworbenes symbolisches Kapital als Sportheld ermöglicht ihm bis heute den Verbleib in der österreichischen Medienprominenz.
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Vortrag am Wiener IFK
Am Montag, 17. März 2003, um 18:00 Uhr spricht Georg Spitaler (IFK-Junior Fellow) über das "Politische des neuen Alpinismus in Österreich". Ort: IFK - Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstr. 17, 1010 Wien.
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Authentische Sportler, inszenierte Politiker
"Unser Toni" wird prominent, doch er bleibt auch als Medienfigur "der einfache und sympathische Sportsmann", mit einem Wort: er selbst. Den Nachfolgern Theodor Körners erging es anders.

Kämen damalige BetrachterInnen wohl kaum auf die Idee, den Empfang des alten sozialdemokratischen Generals als geplanten Akt symbolischer Scheinpolitik zu lesen, ständen Politiker von heute sofort unter Inszenierungsverdacht: Ihre medial vermittelten Handlungen werden unter den Begriffen des Schauspiels betrachtet. Hinter der Maske des politischen Darstellers wird ein verborgenes Ich vermutet.
Heute: Inszenierung von Authentizität ...
Die zu Zeiten der Skitriumphe Toni Sailers noch weitgehend getrennten Sphären von Politik und Medienunterhaltung, zu der auch der Sport zählt, haben sich in der Zwischenzeit verschränkt. Die Funktionseliten der Berufspolitiker haben sich ebenfalls zu Akteuren der Medienprominenz transformiert.

Unter diesen Bedingungen wird die Inszenierung von Authentizität zu einer wertvollen Ressource, die über den Erfolg politischer Intervention entscheiden kann.
... die nicht immer gelingt
Nicht zuletzt deshalb erscheint es interessant, warum österreichische WintersportlerInnen als Teil spätmoderner Prominenz weiterhin in Bildern solcher Authentizität beschrieben werden, während ihre Kollegen aus der Politik diese Eigenschaft nur selten zugesprochen bekommen.

Gerade diese Konstruktion von Authentizität in populärkulturellen (Sport-)Diskursen macht diese für die Sphäre der Politik so interessant.
Populisten: Politisch und - scheinbar - authentisch
Gleichzeitig, so könnte man behaupten, gibt es eine Verbindung zwischen solchen Sportdiskursen und bestimmten Erwartungshaltungen an politische Vertretung, die entscheidend zum Erfolg populistischer Politikstrategien beigetragen hat.

Denn populistische Politik verspricht, was der "politischen Klasse" als solcher abgesprochen wird - nämlich authentische Vertretung.
Übernahme der Sicht des "kleinen Mannes"
Durch die Betonung des antipolitischen Charakters der eigenen Handlungen stellt sich der populistische Politiker symbolisch auf die Seite der "kleinen Männer". Gleichzeitig betrachtet und kommentiert er die Welt der Politik aus der Perspektive dieses konstruierten Normbürgers und bezieht sich auf Elemente des Alltagsverstands.

Dies macht aber gerade den Kern der Vorstellung von authentischer Vertretung aus: Wer so ist wie wir (oder so, wie wir sein wollen), soll für uns sprechen.
Alpen: Symbol der nichtentfremdeten, heilen Welt
Nicht erst seit Sailer wurden die Alpen im österreichischen Sportkontext zur "nichtentfremdeten" heilen Welt und nationalen Rückzugszone, die der Welt der Moderne gegenübergestellt wurde, wie Johann Skocek und Wolfgang Weisgram belegen:

"Sailer verkörpert für immer Österreichs halbe Natur, die Berge. Das ist nach dem Selbstverständnis der Einheimischen die Gegend, wo noch alles in Ordnung ist, und was nicht in Ordnung ist, wird dort in Ordnung gebracht. Dort ist beispielsweise der Prominente zu Recht ein solcher. Weil er es verdient."
Alter und neuer Alpinismus
Auch wenn sich die diesbezüglichen Zuschreibungen an österreichische Skihelden, vom traditionellen fordistischen Helden Sailer, dem tragischen nationalen Rebellen Schranz, dem sonnigen 70er Jahre Kind Franz Klammer bis hin zum Skisprung-Star der 1990er Jahre, Andreas Goldberger, in den letzten fünfzig Jahren kaum verändert haben, gilt dies nicht für ihr mediales Setting und ihr gesellschaftliches Umfeld.

Selbstverständlich unterscheidet sich der "neue Alpinismus" im Mediensport der 1990er Jahre in vielem von den Österreich-Ideologien der Nachkriegszeit und sollte eher im Zusammenhang mit der Produktion spätmoderner symbolischer Waren in der "Economy of Signs and Space" (Lash/Urry) verortet werden.
Sinnstiftung durch Sport
Die Politik hat das Potenzial wintersportlicher Mythenproduktion längst erkannt. Das neue Regierungsprogramm 2003 begründet etwa "die besondere Stellung" von Breiten- und Leistungssport an erster Stelle mit seiner "Bedeutung für Sinnstiftung".

Auch in der verbändestaatlichen Tradition der Zweiten Republik war das gesamte sportliche Feld Teil parteienstaatlicher Kolonisierung. Dennoch scheint sich das Verhältnis von Sport und Politik heute verändert zu haben.
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Informationen zum Autoren
Georg Spitaler studierte Politikwissenschaft und Geschichte in Wien, 2000-2002 war er Mitarbeiter des Projekts "Massen- und Populärkultur in Wien 1950-1970" (Cultural Studies-Schwerpunkt des bm:bwk). Als IFK-Junior Fellow widmet er sich dem Projekt "Symbolische Politik und Mediensport - zur Artikulation von Populismus".

Publikationen: mit L. Wieselberg: Think global, act local, kiss football. in: M. Fanizadeh/G. Hödl/W. Manzenreiter (Hg.): Global Players - Kultur, Ökonomie und Politik des Fußballs (Frankfurt 2002); mit R. Horak: "Das Politische" im Feld: Über Ethnographie und die Möglichkeiten politikwissenschaftlicher Kulturstudien, in: ÖZP 2002/2
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01.01.2010