News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Kooperation: Fairness und Vertrauen wird belohnt  
  Eine Grundannahme der Verhaltensforschung lautete lange Zeit, dass der Mensch immer zur Optimierung seiner eigenen Interessen handelt. Doch mit dieser Interpretation alleine lassen sich viele Aspekte des menschlichen Verhaltens nicht erklären. Eine aktuelle Studie von Wirtschaftswissenschaftlern zeigt nun erneut, dass weitaus komplexere Motive unser Handeln bestimmen. Gegenseitiges Vertrauen und Großzügigkeit werden demnach belohnt - Misstrauen und das Androhen von Sanktionen dagegen kommen gar nicht gut an.  
Die beiden Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr von der Universität Zürich und Bettina Rockenbach von der Universität Erfurt beschreiben im Fachmagazin "Nature" ein Experiment, das die so genannte "Rationalitäts-Hypothese" kritisch hinterfragt.
...
"Detrimental effects of sanctions on human altruism"
Der Artikel "Detrimental effects of sanctions on human altruism" von Ernst Fehr und Bettina Rockenbach ist erschienen in "Nature", Bd. 422, Seiten 137 - 140. In der selben Ausgabe findet sich auch ein begleitender "News and Views"-Artikel: "Fair's fair" von Truman Bewely.
->   Der Originalartikel (pdf-Dokument)
...
Altes Rätsel: Warum kooperiert der Mensch?
Tatsächlich ist die menschliche Kooperation - evolutionsbiologisch betrachtet - ein Rätsel. Denn anders als die meisten Lebewesen arbeitet der Mensch auch mit genetisch nicht verwandten Individuen zusammen, oder mit Personen, denen er nie wieder im Leben begegnen wird.
Die "Rationalitäts-Hypothese" als Erklärung
Gemäß der "Rationalitäts-Hypothese" handelt der Mensch aber nur zur Unterstützung und Durchsetzung seiner eigenen Interessen.

Individuen kooperieren demnach nur, wenn sie dafür ein (ökonomisches) Entgelt erhalten - oder ihnen im Falle mangelnder Kooperation Sanktionen drohen. Ob diese Sanktionen als fair oder unfair empfunden werden, spielt dabei keine Rolle.
Uneigennützigkeit statt Selbstsucht
Gegen diese Darstellung wenden sich die Forschungen von Fehr und Rockenbach: Auch ein auf Gerechtigkeit und Anständigkeit basierender Altruismus sei eine machtvolle Quelle für menschliche Kooperation, schreiben die Wirtschaftswissenschaftler in "Nature".
Ein Test in fairem Handeln
Die beiden Vertreter der "behavioural economics" haben die Spieltheorie bemüht, um ihre These zu beweisen - und mehr als 200 willkürlich ausgewählte Studenten der Universität Bonn einem Test in fairem Handeln unterzogen:

Jeweils zwei Spieler - ein Anleger und ein Verwalter - erhalten eine Summe von zehn Geldeinheiten (GE). Der Anleger kann nun beim Verwalter zwischen null und zehn GE hinterlegen, die von ihm gewählte Summe wird dabei von einem das Spiel überwachenden Wissenschaftler verdreifacht.

Zudem muss der Anleger vor dem Transfer bestimmen, wie viel Geldeinheiten er vom Verwalter zurückerhalten möchte. Dieser kann wiederum - nach eigenem Ermessen - eine Summe zwischen null und den verdreifachten GE zurückgeben. Dieser Betrag wird nicht mehr erhöht.
...
"Idealfall": Jeder erhält 20 Geldeinheiten
In einem - vom Standpunkt beider Seiten aus betrachteten - Idealfall hinterlegt also der Anleger sein gesamtes Kapital von zehn Geldeinheiten beim Verwalter. Dieser wiederum erhält vom Spielleiter die verdreifachte Summe, also insgesamt 30 GE. Gibt er dem Anleger 20 davon zurück, so haben beide Seiten im Verlauf des Spiels 20 erhalten bzw. zehn GE gewonnen.
...
Zweite Variante: Sanktionen möglich
Zusätzlich führten die Forscher aber noch eine zweite Spielvariante durch: Hier konnte der Anleger einen festen Betrag - also etwa fünf GE - als Strafe festlegen, wenn er vom Verwalter weniger Geldeinheiten zurückerhielt, als er sich gewünscht hatte.
Vertrauen wird belohnt, Drohungen bestraft
Die Ergebnisse der Tests an insgesamt mehr als 70 Spielerpaaren sind eindeutig: Je höher das Vertrauen der Anleger in Spielvariante eins war, je mehr GE also der Verwalter erhielt, desto mehr zahlte er auch an den Anleger zurück - ohne, dass er dies hätte tun müssen.

Negative Reaktionen - messbar am zurückgezahlten Betrag - ließen sich allerdings beobachten, wenn der Anleger deutlich mehr zu erhalten wünschte, als bei einer gleichmäßigen Aufteilung auf beide Spielteilnehmer zu erwarten wäre.

Die Ergebnisse von Spielvariante zwei: Wurde eine mögliche Strafe festgelegt, zeigten sich die davon betroffenen Verwalter meist wenig freigebig. Ein Drittel zahlte gar nichts zurück und nur 13 Prozent gaben eine relativ hohe Summe.
Auch auf die "Fairness" kommt es an
Allerdings gab es durchaus Unterschiede bei den Reaktionen: Verlangten die Anleger nämlich unter Androhung von Sanktionen mehr als zwei Drittel des Betrages zurück, so wurde dies als "unfair" oder "gierig" wahrgenommen und die Verwalter reagierten darauf negativer, als bei dem Wunsch nach etwa zwei Dritteln oder weniger der Summe in der gleichen Situation.

Am großzügigsten aber waren die Verwalter, wenn zwar die Möglichkeit einer Sanktion bestand, der Anleger diese jedoch nicht wahrnahm. Kein Verwalter zahlte in dieser Situation gar nichts zurück.
"Selbstsucht und Gier zerstören Altruismus"
Sanktionen also, die selbstsüchtige oder gierige Absichten enthüllen, zerstören eine altruistische Kooperation fast völlig, schreiben die Autoren in "Nature". Als "fair" wahrgenommene Sanktionen dagegen lassen Altruismus intakt.

Wichtig, so meinen die beiden Autoren, sind ihre Ergebnisse in allen Bereichen, wo freiwillige Befolgung eine Rolle spielt - in der Beziehung zwischen zwei Lebenspartnern, bei der Erziehung von Kindern, in Geschäftsbeziehungen und Organisationen ebenso wie auf den Wirtschaftsmärkten.

"In menschlichen Gesellschaften sind Gesellschaftsordnung und Kooperation sowohl auf die Verwendung von Belohnung und Strafe, als auch auf die Anwesendheit von Menschen angewiesen, die bereit sind zu altruistischem Handeln", lautet ihre Conclusio.

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Universität Zürich Institut für Empirische Wirtschaftsforschung
->   Universität Erfurt Lehrstuhl für Mikroökonomie
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Geld, Glück und Ungeduld: Ernst Fehr in Wien
->   Psychologische Grundlagen der Ökonomie
->   Neue Lerntheorien in der Ökonomie
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010