News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Die Politik der Publikation - Verpackung statt Inhalt?  
  Ein britischer Molekularbiologe äußert in einem aktuellen "Nature"-Artikel Sorge über die gegenwärtigen Gepflogenheiten des wissenschaftlichen Publizierens: Der Inhalt der Veröffentlichungen trete mehr und mehr in den Hintergrund, während der Ort der Veröffentlichung - also das jeweilige Journal - zum eigentlichen Qualitätsmerkmal werde.  
Macchiavellistische Qualitäten des Forschers seien demnach wichtiger als dessen fachliche Kompetenzen - eine eigentümliche Verdrehung der wissenschaftlichen Qualitätsmerkmale.

Daher sollten Autoren, Herausgeber und Gutachter ihre Rollen in diesem Spiel überdenken und ändern, meint Peter Lawrence vom MRC Laboratory of Molecular Biology in Cambridge.
...
The politics of publication
Der Artikel "The politics of publication. Authors, reviewers and editors must act to protect the quality of research" von Peter Lawrence erschien in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature (Band 422, auf den Seiten 259-61, Ausgabe vom 20.3.2003).
->   Nature
...
Die Perspektive der Praxis
Peter Lawrence weiß, wovon er spricht: Er hat im Laufe seiner Karriere alle Perspektiven kennengelernt, die es im großen "Business" des wissenschaftlichen Publizierens gibt. Als (Mit-) Herausgeber der Topzeitschriften "Developement", "Cell" und "EMBO-Journal" ist ihm die Rolle des Editors ebenso geläufig wie jene als Autor und Gutachter von Fachartikeln.
Sorge über publizistische Obsession
Lawrence äußert im angesehenen Fachmagazin "Nature" Sorge über eine publizistische Obsession, die aus seiner Sicht die Qualität der Wissenschaft massiv beeinträchtige: "Selbst unsere Sprache spiegelt diese Obsession wider:

Wir sagen, Jim Jargon war erfolgreich, weil er ein 'Cell paper' publiziert hat - was illustriert, dass wir das Journal wichtiger nehmen als die wissenschaftliche Botschaft. Wenn wir in einem Top-Journal veröffentlichen, haben wir's geschafft - wenn nicht, dann nicht."
Qualitäts-Indikatoren als Selbstzweck
Warum ist das so? Lawrence spricht in diesem Zusammenhang von einer "audit society", einer Gesellschaft von Buchhaltern, die die Wissenschaft mit fragwürdigen Qualitäts-Indikatoren versehen habe:

"Die Evaluierung wissenschaftlicher Leistungen hängt von der Anzahl der publizierten Arbeiten, der Position in der Liste der Autoren und vom Impact-Faktor des Journals ab." Seine Kritik: Diese Indikatoren verkommen zusehends zum Selbstzweck.
->   Mehr zum Impact-Faktor: Messung wissenschaftlicher Qualität?
Fetisch Top-Journal
Ergebnis dieser Tendenz sei eine Fetischisierung der Top-Journals - ein Muster, das im Prinzip bereits aus der Modebranche bekannt ist: Auch hier sind mitunter Markennamen und Etiketten wichtiger als das Produkt selbst.

Dieser Missstand könne nur dann behoben werden, so Lawrence, wenn sowohl Autoren als auch Herausgeber und die Akteure des so genannten Peer-Review ihre Verhaltensweisen grundlegend ändern.
->   "Peer Review" im Kreuzfeuer der Kritik
Autoren: "Dünngeschnittene Salami und Fachgeschwafel"
Dabei geht er mit seinen Autoren-Kollegen durchaus hart ins Gericht: Sie sollten beispielsweise aufhören, ihre Ergebnisse in "dünngeschnittenen Scheiben wie Salami" zu veröffentlichen und vielmehr ihre von "Akronymen und Fachgeschwafel" strotzenden Texte entrümpeln, so Lawrence.

Trendige Phrasen, unzulässige Vereinfachungen und die Orientierung an fachlichen Modeerscheinungen dienten zwar mitunter dem eigenen Fortkommen, der lustvollen Lektüre der Texte nützten sie jedenfalls nicht.

Ziel müsse daher ein Text sein, der auch für den Nicht-Spezialisten interessant und bis zu einem gewissen Grad auch verstehbar sei.
...
"Nichts ist langweiliger als das wissenschaftliche Paper"
Nicht umsonst lautet ein bekanntes Zitat von Francis Crick, dem Co-Entdecker der DNA-Struktur: "Es gibt keine Form der Prosa, die schwieriger zu verstehen und ermüdender zu lesen ist, als das durchschnittliche wissenschaftliche Paper."
...
Ablehnungsraten im Steigen begriffen
Auf Seiten der Editoren stelle sich vor allem ein quantitatives Problem: Die Zeitschrift "Nature" erhält beispielsweise rund 9.000 Manuskripte pro Jahr und muss im biomedizinischen Bereich etwa 95 Prozent der eingereichten Papers ablehnen. Das spezialisierte Fachjournal "Developement" weist immerhin noch eine Ablehnungsrate von 70 Prozent auf, Tendenz steigend.
Herausgeber: Akte der Willkür?
Dabei sei es nicht verwunderlich, dass Herausgeber mitunter willkürlich agieren, weil es kaum möglich ist, jedes Manuskript einem Peer-Review-Verfahren zu unterziehen. Umgekehrt versuchten Wissenschaftler mit "sozialen Maßnahmen" ihre Chancen zu erhöhen.

Diese Taktiken reichen von Charme-Offensiven bis hin zu Schikanen gegenüber den Editoren. Lawrence kritisiert, dass in diesem Spiel ein Faktor zusehends in den Hintergrund trete: die wissenschaftliche Botschaft.
Peer-Review: Zensoren statt Gutachter?
Auch bezüglich des so genannten "Peer-Review" erkennt Lawrence einige Missstände. Besonders kritisierbar sei die Tendenz, dass Reviewer immer mehr als Zensoren denn als Gutachter aufträten:

"Es sollte nicht vergessen werden, dass die gebührliche Rolle des Reviewers darin liegt, dem Herausgeber Empfehlungen zu geben - aber nicht Kontrolle über das Manuskript des Autors zu gewinnen."
Lösungen? Kein Patentrezept
Ein Patentrezept zur Lösung des Dilemmas kann Lawrence allerdings nicht anbieten. Einer seiner Vorschläge: Etablierte Wissenschaftler sollten ihre Ergebnisse vermehrt auf open-access Websites veröffentlichen und kleine spezialisierte Journale den großen, prominenten Magazinen vorziehen.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   MRC Laboratory of Molecular Biology, Cambridge
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Nobelpreis-Anwärter als Fälscher entlarvt
->   Mehr Transparenz für wissenschaftliches Publizieren
->   Die "Bogdanov-Affäre" beschäftigt die Wissenschaft
->   Wissenschaft gratis für alle?
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010