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Kuriosum: Zebrafink ist halb Männchen, halb Weibchen  
  Das biologische Kuriositätenkabinett ist um ein neues und besonders reizvolles Fundstück reicher: An einer amerikanischen Universität wurde ein Vogel gefunden, der beide Geschlechter in sich vereint. Seine linke Körperhälfte ist weiblich, die rechte Hälfte hingegen männlich. Der kuriose Fund hat überdies weitreichende Konsequenzen auf die Theorie der Sexualentwicklung.  
Bisher nahm man nämlich an, dass die Entwicklung der Geschlechtsdrüsen und des übrigen Körpergewebes nach gänzlich verschiedenen Muster ablaufen würden.

Der amerikanische Biologe A.P. Arnold und sein Team fanden nun - mithilfe des ungewöhnlichen Finken - heraus, dass dies nicht ganz stimmt: Wie so oft ist die Wirklichkeit komplizierter als die Theorien der Lehrbücher.
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"Origin of brain sex differences in a gynandromorphic finch"
"Neural, not gonadal, origin of brain sex differences in a gynandromorphic finch" von Robert J. Agate, William Grisham, Juli Wade, Suzanne Mann, John Wingfield, Carolyn Schanen, Aarno Palotie und A. P. Arnold erschien im aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi: 10.1073/pnas.0636925100)
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"Die Natur macht keine Sprünge" ...
"Natura non facit saltus - die Natur macht keine Sprünge" lautet ein Ausspruch des deutschen Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz, demzufolge sämtliche Abläufe der Natur in eine lückenlose Kontinuität eingebettet sind.

Im biologischen Sinne scheint sich dies zunächst zu bestätigen: Aus dem Ei eines Huhnes schlüpft immer ein neues Huhn, aber niemals eine andere Spezies.
... oder doch?
Selten, aber doch macht die Natur trotzdem Sprünge - und manchmal sogar ganz gewaltige. Durch so genannte homöotische Mutationen können etwa Fliegen entstehen, denen anstelle ihrer Antennen vollständige Beine wachsen.

Ein anderes bekanntes Beispiel sind Amphibien, die in ihrer Mundhöhle ein komplettes Augenpaar ausgebildet haben.
Zebrafink als Halbseiten-Zwitter
Der amerikanische Zoologe Fernando Nottebohm von der Rockefeller University in New York hat in seiner Vogelkolonie nun ein Tier entdeckt, dem ebenfalls ein Ehrenplatz in der Galerie biologischer Kuriositäten gebührt.

Er fand einen Vogel, dessen linke Körperhälfte genetisch weiblich ist, während dessen rechte Körperhälfte ein männliches Erbgut aufweist.
Bunter Vogel
 


Der Fink mit den typisch männlichen Merkmalen auf der rechten Körperhälfte (oranger Backenfleck sowie Streifen und schwarzer Fleck auf der Brust). Diese fehlen auf der linken (weiblichen) Körperseite vollständig.
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Fachchinesisch: "Gynandromorphe"
Biologen haben für diese eigenartige Spielform der Natur einen eigenen Fachbegriff aus der Kategorie der Zungenbrecher auf Lager: Sie nennen so ein Lebewesen "Gynandromorphe" (von griech. gynandros = zwitterhaft), zu deutsch spricht man von einem so genannten "Halbseiten-" bzw. "Mosaikzwitter".
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Konsequenzen für Entwicklungsbiologie
Der kuriose Fund dürfte auch Auswirkungen auf die gängige Theorie der Sexualentwicklung von Vögeln und Säugetieren haben.

Bislang ging man nämlich davon aus, dass die Entwicklung der Keimdrüsen (z.B. beim Menschen: Hoden, Eierstöcke) durch die Geschlechtschromosomen gesteuert sei.

Hier sollte jede Zelle autonom "entscheiden", ob sie sich zu einem weiblichen oder männlichen Typus entwickelt.
Zwei getrennte Entwicklungsmodi?
Gemäß der bisherigen Auffassung nahm man an, dass dies nicht für die restlichen Körpergewebe gilt.

Differenzen zwischen männlichen und weiblichen Muskel-, Herz oder Hirnstrukturen sollten demnach auf hormonelle Einflüsse zurückzuführen sein.
Theorie am seltenen Vogel überprüft
Für den Biologen Arnold und sein Team von der University of California bedeutete der Fund von Fernando Nottebohm eine willkommene Gelegenheit, diese Theorie nun im Detail zu prüfen.

Sie gingen von folgender Überlegung aus: Die Zellen der beiden Körperhälften des Vogels tragen unterschiedliche Geschlechtschromosomen, folglich sollten sich auch die linke und rechte Keimdrüsen unterscheiden.

Was die restlichen Gewebe anbelangt, sollte das nicht der Fall sein. Denn: Hormone wirken auf den ganzen Körper, sie unterscheiden nicht zwischen rechts und links.
Ergebnis: Genetik hat doch Einfluss auf Gehirn
Die Probe aufs Exempel machte das Team um Arnold mit zwei Hirnregionen, die Einfluss auf das Singverhalten der Vögel haben. Entgegen den Erwartungen wiesen die Areale in den beiden Gehirnhälften sexualspezifisch unterschiedliche Eigenschaften auf.

Dies lässt den Schluss zu, dass auch im Gehirn genetische Einflüsse auf zellulärer Ebene sichtbar werden. Mit anderen Worten: Die bisher strikt zweigleisige Theorie der Sexualentwicklung ist offensichtlich erweiterungsbedürftig.
->   Mehr Infos zu Zebrafinken (zebrafink.de)
 
 
 
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01.01.2010