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Studenten: Gleiche Sozialschichtung, mehr Arbeit  
  Laut einem Sozialbericht des Bildungsministeriums haben die Studiengebühren Studenten aus sozial schwachen Schichten nicht von den Universitäten verdrängt. Dafür müssen die Studierenden aber offenbar neben ihrer Ausbildung mehr arbeiten.  
Der Anteil der Arbeiterkinder an den Studienanfängern sei praktisch gleich geblieben. Eine genaue Bezifferung der Zunahme der Erwerbstätigkeit ist auf Grund geänderter Erhebungsszenarien nicht möglich - die Studienautoren gehen aber von einer Zunahme von mindestens sechs Prozentpunkten aus.
Unterschiedliche Zahleninterpretation
Dies geht aus dem am Freitag von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) vorgestellten "Bericht zur sozialen Lage der Studierenden 2002" hervor.

Der Bericht beweist zumindest eines deutlich: Wie unterschiedlich Zahlen interpretiert werden können. Während Gehrer von Studierenden spricht, die "zielstrebiger und selbstbewusster geworden sind", liest die Österreichische HochschülerInnenschaft einen Beweis der "prekären sozialen Lage" der Studenten aus dem Bericht heraus.
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Studierenden-Sozialerhebung
Der Bericht zur sozialen Lage der Studierenden beruht zum größten Teil auf den Ergebnissen der Studierenden-Sozialerhebung 2002, die im Sommersemester 2002 unter Studierenden der Universitäten, Universitäten der Künste und Fachhochschulen durchgeführt. Zielsetzung des Berichts ist es, "auf Basis empirisch abgesicherter Ergebnisse einen Einblick in die Studien- und Lebensbedingungen unterschiedlicher Gruppen von Studierenden zu geben".
Studienautoren: Angela Wroblewski und Martin Unger vom Institut für Höhere Studien (IHS)
->   Die Studierenden-Sozialerhebung 2002 (Bildungsministerium)
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Soziale Zusammensetzung nahezu unverändert
Betrug der Anteil der Arbeiterkinder an den Erstsemestrigen an Unis und Fachhochschulen (FH) im Studienjahr vor der Einführung der Gebühren (2000/01) 10,7 Prozent, waren es im ersten Jahr mit Studienbeiträgen (2001/02) 10,6 Prozent.

Praktisch gleich geblieben ist auch der Anteil der Kinder von Beamten und Angestellten sowie von Landwirten. Knapp dazugewonnen haben die Kinder von Freiberuflern und Selbstständigen (von 20,3 auf 21,2 Prozent).
Erhöhte Erwerbstätigkeit der Studierenden
Grafik: APA, Quelle: IHS
Auch die Ausweitung der Erwerbstätigkeit lässt sich aus der Studie heraus lesen: Während im Jahr 1998 noch fast die Hälfte der Studenten während des Semesters nicht gearbeitet hat, war es 2002 nur mehr ein Drittel.

Einen Teil des Anstiegs führen die Studienautoren auf eine Veränderung des Erhebungsinstruments zurück - in den vergangenen Untersuchungen sei auf Grund der Nicht-Berücksichtigung der für Studenten typischen "Patchwork-Erwerbsformen" (z.B. eine Kombination mehrerer "atypischer" Beschäftigungsverhältnisse) die Erwerbstätigkeit "deutlich unterschätzt" worden. Berücksichtige man dies, komme man auf eine Steigerung der Erwerbstätigkeit von Studierenden "um mindestens sechs Prozentpunkte".
Hälfte spürt höheren finanziellen und zeitlichen Druck
Weitere Auswirkungen der Gebühren: Rund 56 Prozent wollen ihr Studium beschleunigen, etwa 47 Prozent wollen ihre Rechte gegenüber den Unis stärker betonen und 45 Prozent fühlen einen erhöhten finanziellen bzw. einen höheren Zeitdruck. 31 Prozent spüren eine Einschränkung ihres Lebensstandards, knapp 30 Prozent gaben an, ihre Erwerbstätigkeit ausgeweitet zu haben.
Gehrer: Studenten sind zielstrebiger geworden
Die Studenten seien zielstrebiger und selbstbewusster geworden, folgerte Gehrer bei einer Pressekonferenz am Freitag aus dem Sozial-Bericht. Sie seien aktiver im Studium wie im Beruf und forderten die Professoren mehr: "Die Studenten werden ernster genommen und nehmen auch ihr Studium ernster."

Die Zunahme der Erwerbstätigkeit sei nicht zuletzt ein allgemeiner Trend, so Gehrer: Die Studierenden würden bereits während ihrer Ausbildung den Kontakt zu Unternehmen suchen, um einerseits Erfahrungen zu sammeln und andererseits finanziell unabhängig zu sein.
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Verbesserungen geplant
Für die nächsten Jahre plant Gehrer Verbesserungen für erwerbstätige Studenten: Frühestens ab 2005 sollen die Studiengebühren - wie im Regierungsprogramm vorgesehen - auch für berufstätige Studierende an den Unis absetzbar werden (derzeit nur für FH-Studenten möglich). Außerdem soll der Zugang zu Studienabschlussstipendien vereinfacht werden.
->   Bildungsministerium
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ÖH spricht von "prekärer sozialer Situation"
Im Gegensatz zu Bildungsministerin Elisabeth Gehrer liest die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) aus dem neuen Bericht eine "prekäre soziale Situation" der Studierenden heraus.

"Es ist faszinierend, wie sehr man Zahlen schönen kann, Gehrer sieht über sehr viele Probleme hinweg", erklärten die ÖH-Vorsitzenden Andrea Mautz und Anita Weinberger am Freitag bei der Bewertung des Berichts aus ÖH-Sicht.
Studiengebühren: "45.000 Studierende weniger ...
Neuerlich entzündet sich die Kritik der ÖH an den Studiengebühren. "Es ist ein Faktum, das niemand wegdiskutieren kann, dass die Gebühren den Studienabbruch von 45.000 Studierenden erzwungen haben", sagte Mautz.
... sowie Abhalten "bildungsferner Schichten"
Weiters würden die Studienbeiträge Kinder aus bildungsfernen Schichten vom Studium abhalten. Waren 1997 noch 47,3 Prozent der Studienanfänger Kinder von Eltern ohne Matura, reduzierte sich dieser Anteil 2002 auf 42,4 Prozent. Auch der Anteil von Studierenden mit Kindern sei von 11,5 Prozent (1998) auf 10,8 Prozent gesunken.

Die Studentenvertreter verweisen auch auf die "stark gestiegene" Erwerbstätigkeit, die sie auf die Einführung der Studiengebühren zurückführen. Besonders davon betroffen seien Studierende aus niedrigen sozialen Schichten. Diese vermehrte Berufstätigkeit wirke sich negativ auf die Studienaktivitäten aus, meinen die ÖH-Vertreter.
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Mehr Geld, aber auch mehr Abhängigkeit
Das Gesamtbudget der Studierenden habe sich zwar von 785 Euro (1998) im Monat auf 1.040 Euro (2002) erhöht, gleichzeitig seien aber auch die Zuwendungen von den Eltern und damit die Abhängigkeit der Studenten gestiegen. Zudem habe sich die Aufnahme von Darlehen durch Studierende zwischen 1998 und 2002 mehr als vervierfacht. Laut Mautz hätten rund 35.000 Studierende erwogen, aus finanziellen Gründen ihr Studium abzubrechen. "Die Ministerin drängt die Studenten entweder zur Aufgabe des Studiums oder in die Armutsfalle", sagte Weinberger.
->   ÖH
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Forderung: Abschaffung der Gebühren
Die Studentenvertreterinnen betonen, dass es sich bei den Daten um "keine Propagandazahlen der ÖH handle", sondern um Zahlen aus dem offiziellen Bericht. Die ÖH fordert nun Verbesserungen bei der Studienförderung, die Absetzbarkeit von Studiengebühren für alle Studenten, die eine Steuererklärung machen, eine Erhöhung der Zahl der Studienabschlussstipendien sowie eine Studie über die Beweggründe jener 45.000 Studenten, die nach Einführung der Gebühren das Studium abgebrochen haben.

Am liebsten wäre es den Studentenvertretern aber, dass Gehrer, "wenn sie nur den Funken eines sozialen Gewissens hat, die Gebühren sofort abschafft. Sonst wird es bald nicht mehr viele Studenten geben."
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Studiengebühren lassen Studierende mehr arbeiten (27.2.03)
->   Einfluss der Studiengebühren auf soziale Herkunft der Studenten? (17.1.03)
->   Zahl der Studierenden steigt wieder an (16.1.2003)
 
 
 
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01.01.2010