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"Kranke Gene": Chancen und Risiken von Gentests  
  Vor 50 Jahren wurde die Struktur der Erbsubstanz DNA entdeckt - Anlass für den Wiener Genetiker Markus Hengstschläger, den aktuellen Stand der Gendiagnostik zu betrachten: Noch sind die medizinischen Möglichkeiten der Krankheitsdiagnose aufgrund von Gen-Daten begrenzt, doch die Chancen für die Zukunft sind enorm, meint der Experte in einem Gastbeitrag. Viele Menschen stehen allerdings der Biotechnologie mit einigem Misstrauen gegenüber. Hengstschläger plädiert daher für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Thematik - durch Wissenschaft, Medien und Gesetzgeber.  
Die Genetische Diagnostik 50 Jahre nach Watson und Crick
Die Angst nehmen um die Chance zu nutzen
Von Markus Hengstschläger

Am 25. April 1953 erschien im Fachjournal "Nature" unter dem Titel "A structure for desoxyribose nucleic acid" jene Veröffentlichung, die wohl den wichtigsten Schritt in Richtung Anwendung der Genforschung für den Menschen darstellt.

In dieser Publikation beschreiben James Watson und Francis Crick ihr Modell für die doppelsträngie Helixstruktur der DNA, für das sie 1963 gemeinsam mit Maurice Wilkins den Nobelpreis für Medizin bekamen.

Jene, die diesen Forschern den Nobelpreis gerade für MEDIZIN verliehen haben, mögen vorallem auch von einer Ahnung dafür geleitet worden sein, welche Bedeutung diese Entdeckung noch für die Medizin haben wird. Der 25. April 2003 ist also der 50. Jahrestag der Veröffentlichung der DNA-Struktur - mehr als ein guter Grund dafür eine Bestandsaufnahme dessen zu machen, wo die Genetik in der Medizin heute steht.
50 Jahre danach
Um ein Beispiel zu nennen, erhielt in der letzten Zeit speziell die Diskussion um die Frage "Darf, soll, muss genetisch getestet werden, was genetisch getestet werden kann?¿ besonderes Gewicht. Um diese Frage diskutieren zu können, muss als Voraussetzung ein Bild dessen gezeichnet werden, was heute "50 Jahre danach" überhaupt testbar ist.
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Buchhinweis: "Kranke Gene"
Am 7. April 2003 erscheint das neue Buch von Markus Hengstschläger:
"Kranke Gene. Chancen und Risiken von Gentests"
Facultas Universitätsverlag
ISBN 3-85076-629-2
ca. 200 Seiten (Paperback)
24,90 Euro
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Was kann heute durch Gentests getestet werden?
Viele Erkrankungen stehen im Zusammenhang mit Veränderungen der Zahl oder der Struktur der 46 Chromosomen des Menschen.

Diagnostische Analysen der Chromosomen sind eindeutig genetische Untersuchungen, werden aber im allgemeinen Sprachgebrauch in der Regel von den Gentests unterschieden, bei denen Veränderungen auf der Ebene der DNA untersucht werden:

Es gibt Erkrankungen, die von Veränderungen (Mutationen) in einem einzigen Gen ausgelöst werden. Man kennt nach aktuellen Schätzungen vielleicht ungefähr 1.500 Gene (der vielleicht zwischen 30.000 und 45.000 Gene des Menschen - die wissenschaftlichen Hochrechnungen divergieren immer noch), die für solche so genannten monogenen Erkrankungen verantwortlich sind.
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Internationales Kooperationsnetz erleichtert Analyse
In der aktuellen Routinediagnostik werden heute 400-500 dieser Gene anhand von Gentests auf krankheitsauslösende Mutationen analysiert. Hierbei kommt ein internationales Kooperationsnetz zum Einsatz innerhalb dessen jedes genetische Labor nur einen bestimmten Teil an Gentests übernimmt.
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Polygene Erkrankungen: Keine sicheren Tests
Polygene Erkrankungen oder Anlagen werden von mehr als einem Gen gesteuert und mit vielleicht einer Ausnahme stehen heute noch keine sicheren Gentests für diese Gruppe zur Verfügung.
Anlage und Umwelt bei den meisten Erkrankungen
Das meiste dessen was den Menschen zum Menschen macht, bezogen auf seine Merkmale sowie auf Krankheiten, wird allerdings multifaktoriell gesteuert: Genetische Anlagen und Umweltfaktoren wirken zusammen.

Wenn daher auch in der Regel keinerlei sichere Schlüsse im Zusammenhang mit multifaktoriellen Erkrankungen aus Gentest gezogen werden können, so erlauben es zum Beispiel Polymorphismus-Untersuchungen gepaart mit Chiptechnologie heute immer öfter entsprechende Wahrscheinlichkeitsangaben zu machen.
Gentests: Eine große Chance
Das Spektrum des Nutzens von genetischen Untersuchungen ist heute schon sehr groß und wird täglich größer. Gentests werden immer öfter notwendige Voraussetzung für das molekulare Verstehen einer Erkrankungen und daher auch für die Entwicklung neuer Therapieansätze.

Sie ermöglichen durch eine exakte Diagnose sehr oft den Einsatz der richtigen Therapie. Das Wissen um bestimmte genetische Anlagen erlaubt immer öfter die gezielte Anwendung von prophylaktischen Konzepten.

Gentests finden zum Beispiel aber auch immer häufiger Einsatz um eine individuelle maßgeschneiderte Medikation anwenden zu können (Pharmakogenomik).
Besonders wichtig: Die Beratung
Um diese Chancen nutzen zu können muss der Einzelne durch Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Medien grundsätzlich stets aktuell darüber informiert werden, was heute testbar ist und welchen Nutzen und Sinn das haben kann.

Nach Kontaktaufnahme muss in individuellen Beratungen bei den entsprechenden Fachärzten dieser Nutzen dann für den Einzelfall explizit herausgearbeitet werden.
Regeln müssen erarbeitet werden
Um diese Chancen nutzen zu können, muss aber auch sichergestellt werden, dass genetische Untersuchungen der individuellen Entscheidung unterliegen und nicht zu Diskriminierung welcher Art auch immer, zum Beispiel gegenüber Arbeitgebern oder Versicherungen, führen können.

Nicht selten sind durchaus auch berechtigte Ängste vor Missbrauch und Diskriminierung der Hemmschuh für eine sinnvolle und umsichtige Anwendung von Gentests.

Gesellschaftliche und politische Maßnahmen und Regeln müssen entwickelt werden um transparent und überzeugend den möglichen negativen Auswirkungen entgegenzutreten.
Abbau der Ängste als Schlüssel für die Zukunft
50 Jahre nach Watson und Crick ist es für Wissenschaftler, Medien und Gesetzgeber höchste Zeit zu erkennen, dass der Abbau dieser Ängste der Schlüssel für das Tor in eine Zukunft ist, in der Gentests zum Vorteil des Einzelnen alltägliche Anwendung finden können. Und das ist kein leichteres Stück Arbeit als die Aufklärung der Doppelhelix-Struktur der DNA.
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Der Genetiker Markus Hengstschläger ist Leiter des Pränatalmedizinisch-genetischen Labors der Abteilung für Pränatale Diagnostik und Therapie der Universitätsklinik für Frauenheilkunde, am AKH Wien.
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Weitere Gastkommentare von Markus Hengstschläger in science.ORF.at:
->   Genetische Pränataldiagnostik: Ein aktueller Überblick
->   Gentechnik und die "Grenzen der Wissenschaft"
->   Geregelte Präimplantationsdiagnostik auch in Österreich?
->   "Designer-Babys": Wer soll über Leben entscheiden?
 
 
 
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01.01.2010