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Kriegspropaganda ähnelt Wahlkampf-Strategien  
  Der Krieg zwischen der "Koalition der Willigen" und dem Irak wird nicht nur mit Waffen geschlagen, sondern auch mit Mitteln der Medien und Telekommunikation. Selten zuvor wurde dieser Aspekt bereits während der Kampfhandlungen so umfassend thematisiert wie heute. Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier vertritt in einem Gastbeitrag die These, dass politische Kommunikation im Krieg einem Phänomen ähnelt, das aus Friedenszeiten bekannt ist: den Medienkampagnen im Wahlkampf.  
Politische Kommunikation im Krieg als Medienkampagne im Wahlkampfstil
Von Peter Filzmaier

Wir leben in einer Medienwelt. Was wir über Politik wissen, zu wissen glauben oder nicht wissen, ist fast ausschließlich Produkt der massenmedialen Berichterstattung, insbesondere des Fernsehens.

Kriege werden militärisch geführt, aber politisch und medial gewonnen bzw. verloren, weil die Mehrheitsmeinung der Öffentlichkeit über Sieg oder Niederlage entscheidet. Kriege sind daher zugleich hochprofessionelle Medienkampagnen, um die öffentliche Meinung zu kontrollieren.
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Längerfristige Kommunikationsstrategie
Die Kampagne zur medialen Kontrolle des Irakkriegs ist Teil einer längerfristige Kommunikationsstrategie, die vor Kriegsbeginn eingeleitet wurde, und in den USA als Musterbeispiel für eine erfolgreiche Propagandaarbeit zur Beeinflussung der nationalen öffentlichen Meinung gilt.
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Gelungene Vorarbeit
Politische Propaganda beruht auf Stimmungen und Emotionen, so dass scheinbar objektive Quellen ("Sender") persuasive Botschaften vermitteln können.

Durch die Darstellung des Iraks als Gefahr für die USA wurde ein Stimmungsbild geschaffen, das einen fruchtbaren Boden für folgende (Des-)Informationskampagnen der US-Regierung bildete (pre-persuasion).
Glaubwürdigkeit, Gefühle, Botschaften
In den USA war, im Unterschied zur europäischen Wahrnehmung, zugleich die Glaubwürdigkeit der Propagandaquellen - Präsident, Außen-/Verteidigungsministerium, Armee und Geheimdienste usw. - unbestritten (source credibility).

Subjektive Ängste vor Terroranschlägen, ein überhöhter Patriotismus und Saddam Hussein als Feindbild sorgten für die Gefühlsgrundlage (emotions) von zielgerichteten Botschaften (messages) zur Kriegsunterstützung durch die öffentliche Meinung.
Kommunikation für den Krieg gleicht Wahlkampagne
Mittlerweile gleicht die politische Kommunikation für den Krieg einer Wahlkampagne. Die zentrale Botschaft der USA vor Kriegsbeginn war, dass ein schneller und harter Konflikt bevorsteht, um durch einen Regimewechsel den Irak zu befreien, und dadurch sowohl die USA als auch die Welt vor Terror und Massenvernichtung zu "retten".

Für die Vermittlung dieser Botschaft gelten folgende Spielregeln:
1) Kontrolle von Nachrichtenzyklen
Medienkampagnen beruhen auf der Kontrolle von Nachrichtenzyklen (news cycles). Anders als in Wahlkämpfen gibt es aber keinerlei geographische und/oder zeitliche Beschränkung der Medienberichterstattung, d.h. Nachrichten müssten global täglich bzw. sogar stündlich möglichst weitgehend gesteuert werden.

Das ist trotz täglicher Pressekonferenzen von Politikern und Militärs, inszenierter Bilder von Kriegserfolgen, zur besten US-Sendezeit stattfindenden Bombenangriffe usw. nahezu unmöglich. Vor allem aber gestaltet der Irak als Kriegsgegner gleichermaßen professionell eine gegensätzliche Informationskampagne.
2) Geschwindigkeit der Informationen
Dadurch erhält "speed kills" als Wahlkampfslogan im Kriegszusammenhang eine makabre Zusatzdimension, d.h. entscheidend sind das Ergreifen medialer Initiative für die Darstellung des Kriegsverlaufs aus eigener Sicht, oder aber wenigstens unmittelbare Antworten (rapid response) auf Negativinformationen des Gegners.

Politische Propaganda, welche nicht sofort beantwortet wird, entwickelt sich zum scheinbaren Faktum. Je schneller die propagandistische Antwort, desto geringer der ursprüngliche Propagandaeffekt.

So musste beispielsweise der Irak auf Gerüchte über Flucht und Tod von Vizepremier Aziz mit einem für ihn lebensgefährlichen Fernsehauftritt reagieren, und die USA veröffentlichten nach den ersten Bildern von toten Soldaten Berichte über humanitäre Hilfsprogramme.
3) Abstimmung der Quellen auf Zielpublikum
Eine Vielzahl von Propaganda, Falschmeldungen und Gerüchten beeinträchtigen vor allem die Glaubwürdigkeit aller Quellen. Besonders wichtig ist es daher, die jeweilige "Quelle" sorgfältig auf das Zielpublikum abzustimmen.

Verteidigungsminister Rumsfeld hat in Wahrheit die Aufgabe, ausschließlich in den USA die Position von Präsident Bush zu vermitteln. Außenminister Powell tritt in Europa und der arabischen Welt auf, um seine dortige vergleichsweise hohe Glaubwürdigkeit zu nutzen.

Umgekehrt wären dieselben Botschaften wirkungslos, weil Rumsfeld weltweit über ein Negativimage verfügt, und Powell keine inneramerikanischen Erwartungshaltungen eines überhöhten Patriotismus erfüllt.
4) Solidaritätsgefühle der "eingebetteten Journalisten"
Ein Schlüsselelement in der Kommunikationsplanung im Krieg ist die Regulierung des Informationszugangs.

Ungeachtet der zunehmenden Kritik von/an "embedded journalists" als Teil der US-Truppen bilden sie das Äquivalent für Reporter, denen erlaubt wird, mit dem Wahlkampftross eines US-Präsidentschaftskandidaten mitzureisen.

Wer dabei ist, kann sich Solidaritätsgefühlen kaum entziehen, und wird mit propagandistischen Informationen versorgt. Wer nicht dabei ist, ob im Panzer oder im Wahlbus, verfügt über fast keine Information.
Unterschied: Kriegsereignisse sind weniger steuerbar
Ein Unterschied zwischen Kriegs- und Wahlkampagnen bleibt allerdings bestehen: Kriegsereignisse sprechen deutlicher für sich als politische Scharmützel, und sind weniger durch ein geschicktes Drehbuch steuerbar ("spin control").

Insofern ist das Hauptproblem der USA, dass ihre Kommunikationsstrategie allzu offensichtlich durch die Realität - ein langer Krieg, tote Soldaten und Zivilisten, radikaler Anti-Amerikanismus statt Befreiungswünschen - widerlegt wird.
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Über den Autor
Peter Filzmaier ist Ao. Professor für Politikwissenschaft und Abteilungsleiter für Politische Bildung am Institut für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) der Universität Innsbruck sowie u.a. Autor der Bücher "Die amerikanische Demokratie" (Manz 1997) und "Wahlkampf um das Weiße Haus" (Leske & Budrich 2001).
->   IFF, Abteilung für Politische Bildung
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->   Mehr über den Irak-Krieg in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010