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Wie Kinder das Erleben von Gewalt verarbeiten  
  Im Irak scheinen die Schlachten geschlagen. Politiker und Militärs ziehen Bilanzen. Humanitäre Hilfsorganisationen schicken das Nötigste. Doch die Folgen des Krieges werden noch nach Generationen spürbar sein, meinen Experten: Denn die Kinder, die zu Zeugen des Geschehens wurden, sind traumatisiert. Ihnen bei ihrere Trauerarbeit zu helfen ist besonders schwierig, da Kinder das Erleben von Gewalt emotional anders verarbeiten als Erwachsene. Das führt oft zu Missverständnissen und falschen Reaktionen, die die Situation mehr verschlechtern als verbessern.  
Kinder, die zu Zeugen von Gewalt werden, zeigen die gleichen Symptome, wie die Opfer. Denn die Zeugen stehen mit ihren Gefühlen nicht außerhalb des Geschehens. Kinder erleben sich in der Situation hilflos. Sie sind angstüberschwemmt und ohnmächtig.
Verlust der Autonomie und totaler Beziehungsabbruch
"Kinder, die zu Zeugen werden, erleben die gleichen Abläufe, wie die Opfer selbst. Weil das Kind, das Zeuge ist, nichts unternehmen kann gegen Situation", meint die Kinderpsychotherapeutin und Leiterin des Institutes für Erziehungshilfe in Wien Barbara Burian-Langegger.

"Das Kind fühlt sich ohnmächtig und allein gelassen. Psychologisch gesehen verliert es seine Autonomie. Es erlebt sich als jemanden, dem niemand hilft, es erlebt den totalen Beziehungsabbruch. Dies führt zur Traumatisierung".
Kinder vertauschen Opfer- mit Täterrolle
Unmittelbar in der Krise halten Kinder still, sie ziehen sich zurück und brechen den Kontakt zur Außenwelt schrittweise ab. Das Gefühl der Ohnmacht wird wie ein Kokon abgekapselt. Doch das traumatische Erlebnis blockiert die Phantasiebildung des Kindes.

In der Sprache der Psychologie verliert das Kind seine Fähigkeit, zu symbolisieren. Sprachstörungen treten auf. Die soziale Integration ist gefährdet.

Kinder verarbeiten ihre Konflikte im Spiel. Häufig vertauschen sie die Opfer mit der Täterrolle, um ihre Autonomie wieder zu erlangen. Dies führt im Alltag oft zu Missverständnissen. Denn Kinder, die Tiere quälen oder Puppen schlagen, werden als grausam angesehen. Angst, die sich in aggressivem Verhalten äußert, gilt als Bosheit.
Krieg, Katastrophen, Unfälle, Gewalt in der Familie ...
Die Ohnmacht des Zeugen erleben Kinder im Krieg, bei Naturkatastrophen oder bei Autounfällen. Sie erleben die Ohnmacht aber auch, wenn Konflikte in der Familie mit Gewalt beantwortet werden. Und sie erleben sie beim Tod eine nahen Verwandten. Wobei die Trauer allein nicht traumatisieren muss.

"Trauer ist die angemessene Reaktion auf einen Verlust. Der Verlust allein muss nicht traumatisierend sein, wenn Bezugspersonen da sind, die sich des Kindes annehmen. Wenn das Umfeld chaotisch reagiert, dann ist der Verlust traumatisierend", sagt Barbara Burian-Langegger.
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Phasen der kindlichen Trauer
Wie die Erwachsenen trauern die Kinder in mehreren Phasen. Der Verstorbene wird idealisiert, dann ärgert sich der Trauernde über den Verlust, um diesen Verlust schließlich zu verleugnen. Erst wenn diese drei Phasen durchlaufen sind, lässt sich der Verlust des geliebten Menschen in das Leben integrieren. Doch um diese Trauerarbeit bewältigen zu können, brauchen Kinder ein stabiles Umfeld, und viel Verständnis. Denn Kinder trauern anders als Erwachsene.
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Der Unterschied zu Erwachsenen
"Kinder trauern anders als Erwachsene. Sie trauern punktuell", erklärt, die psychotherapeutische Leiterin der Klinik für Neuropsychologie an der Universitätsklinik in Wien, Gertrude Bogyi.

"Ein Kind kann über den Tod seines geliebten Tieres trauern und im nächsten Moment freut es sich auf das kommende Geburtstagsfest. Beide Gefühle sind ehrlich und echt. Doch dies führt oft zu Missverständnissen."
Offener Umgang gefragt
Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit nennt Gertrude Bogyi als die wichtigsten Verhaltensweisen in der Begegnung mit Kindern und Jugendlichen. Immer wieder begegnen ihr junge Menschen, die darunter leiden, dass niemand mit ihnen offen spricht.

Die Krankheit und die Todesursache müssen aber so konkret wie möglich angesprochen werden, meint die Expertin. Und: man darf das Kind nicht mit lieb gemeinten Vertröstungen abspeisen.

Allein in Wien sind jährlich etwa 500 Kinder vom Tod ihrer Mutter, ihres Vaters, oder des Geschwisterkindes betroffen. Sie brauchen die Zuwendung der Erwachsenen, damit sie ihre Trauerarbeit bewältigen können.
Diese Woche im Radiokolleg: "Fantasie als Therapie"
Ein Beitrag von Margarethe Engelhardt-Krajanek für das "Radiokolleg" vom 14. bis 17.04.03 jeweils um 9.30 Uhr auf Radio Österreich 1: "Fantasie als Therapie: Trauerarbeit mit Kindern".
->   Radio Österreich 1
 
 
 
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01.01.2010