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Was kann die Gentherapie?  
  Der Begriff Gentherapie ist mittlerweile fest im Sprachschatz der breiten Öffentlichkeit verankert. Was man aber eigentlich darunter versteht, ist vielen Menschen nur vage bewusst. Der Lebensmittel- und Biotechnologe Albert Karsai beschreibt in einem Gastbeitrag für science.ORF.at in Kooperation mit "dialog<>gentechnik" Risiken und Möglichkeiten der Gentechnik.  
Gentherapie
Gastbeitrag von Albert Karsai, dialog<>gentechnik

Nichts steigert die Publicity mehr, als wenn etwas schief geht. Im Herbst 2002 erkrankten zwei Patienten mit der genetisch bedingten Erbkrankheit SCID (Severe Combined Immunodeficiency) an Leukämie. Diese Patienten waren zuvor im Rahmen einer klinischen Studie mit einem gentherapeutischen Ansatz behandelt worden.

Auch wenn die meisten Medien den Fall recht sachlich behandelten, stellte sich in der Öffentlichkeit mit einem Mal die Frage nach den Möglichkeiten und Risiken der Gentherapie. Doch was versteht man eigentlich unter diesem Begriff?
->   SCID- Homepage
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Defekte Gene
Eine Vielzahl an Krankheiten beruht auf defekten Genen. Diese defekten Gene können von einem oder beiden Elternteilen (Erbkrankheit) oder von einem vorgeburtlichen Ereignis (angeborene genetisch bedingte Erkrankung) herrühren. Viele Krebs-Erkrankungen die durch Spontanmutationen entstehen, sind weder vererbt noch angeboren, sondern entstehen unter bestimmten Voraussetzungen im Laufe des Lebens. Dennoch kann eine gewisse Veranlagung, Krebs zu entwickeln vererbt werden.
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Intakte Kopien des defekten Gens
Im Falle von vererbten oder angeborenen Krankheiten besteht das Ziel der Gentherapie darin, dem Körper intakte Kopien des defekten Gens dauerhaft zur Verfügung zu stellen. So beruht z.B. die Hämophilie (Bluterkrankheit) auf einem Defekt in einem einzigen Gen. Gelänge es nun, ein gesundes Gen in die Zellen einzubauen, so würde das gebildete Genprodukt (ein Blutgerinnungs-Faktor) ausreichen, die Krankheit zu heilen oder zumindest stark abzuschwächen.

Voraussetzung dafür ist, dass die eingeschleusten Gene auch tatsächlich an den Ort gelangen, wo sie benötigt werden und der Körper die Genprodukte in einer wirksamen Konzentration bildet. Zu diesem Zweck bedienen sich die Wissenschaftler häufig Transportsysteme, die die Natur selbst zur Perfektion gebracht hat - die Viren.
Viren als Transportmittel
Viren dringen in den Körper ein und infizieren Zellen mit ihrem Erbmaterial. Auf diese Weise bringen sie die infizierten Wirtszellen dazu, zu deren eigenem Nachteil die Genprodukte des Eindringlings herzustellen. Die Wissenschaft versucht nun bestimmte Viren so zu verändern, dass sie die zur Heilung der Krankheit benötigten Gene in deren Erbgut einschleust. Das so veränderte Virus bezeichnet man als Genfähre oder Vektor. Nach der Infektion verbleiben die eingebrachten Gene im Idealfall dauerhaft in der Zelle und die Krankheit wäre geheilt.
Zielsicher zum Ort des Geschehens
Auch beim Krebs ist es wichtig, die verwendeten Vektoren präzise zum Ort des Geschehens - dem Tumor - zu lenken. Soll nur der Tumor zerstört werden, müssen die transportierten Gene nicht dauerhaft in der Zelle integriert werden, es genügt eine zeitlich begrenzte Wirksamkeit.

In einem Ansatz versuchen Wissenschaftler der österreichischen Biotech-Firma Austrianova, in winzige Kapseln verpackte "Vektorfabriken" über die Blutbahn zum Tumor zu transportieren. Dort angelangt, aktivieren die gebildeten Genprodukte ein im Körper zirkulierendes Chemotherapeutikum, welches in Folge den Tumor angreift ohne den übrigen Körper zu schädigen.

Die qualvollen Begleiterscheinungen einer konventionellen Chemotherapie blieben dem Patienten somit erspart. "Man kann hier sicherlich von einer neuen Generation der Chemotherapie sprechen", freut sich Walter H. Günzburg, Virologe an der Veterinärmedizinischen Universität Wien und wissenschaftlicher Berater der Austrianova.
->   Austrianova
->   "Forschungserfolge und Wirtschaft" ein Interview mit Walter H Günzburg
Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis
Was in der Theorie leicht gesagt ist, funktioniert in der Realität noch nicht zufriedenstellend. Der zielgerichtete Transport der eingeschleusten Gene ist ein äußerst kompliziertes Unterfangen, die beteiligten Mechanismen noch nicht restlos aufgeklärt.

Die eingedrungenen Vektoren rufen eine Immunantwort hervor, die einen Teil der Vektoren bzw. Vektorfabriken deaktiviert (ein Problem, welches durch das Verpacken in besagte winzige Kapseln verringert werden kann). Weiters muss die Verbreitung und Aktivität der Vektoren im menschlichen Körper besser steuerbar werden.
Erfolge in der Behandlung von SCID ...
Dennoch konnte die Gentherapie bereits erste Erfolge verzeichnen: in der zu Beginn angesprochenen SCID-Studie erfuhren mehrere Kinder durch die gentherapeutische Behandlung eine Besserung ihres Leidens und konnten anschließend ein normales Leben führen. Dies ist insofern bemerkenswert, da diese Krankheit unbehandelt tödlich verläuft.

Das Ergebnis wurde in einer weiteren Studie mit 4 Patienten bestätigt. Lediglich beim Zusammentreffen mehrerer, inzwischen teilweise bekannter seltener Ereignisse entwickelten die Patienten Leukämie.
... und Hämophilie
Erfolg versprechend verliefen mittlerweile auch erste klinische Studien bei der Behandlung der Hämophilie. Nach dem Einbringen der therapeutischen Gene verzeichneten die Forscher erhöhte Werte für den Blutgerinnungs-Faktor VIII. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten nicht auf.

Bei einem Patienten wurde der erhöhte Faktor VIII - Spiegel bis zehn Monate nach der Behandlung festgestellt. Auch wenn wiederholte Behandlungen erforderlich sind, würde ein solches Zeitintervall einen bedeutenden Fortschritt darstellen: zur Zeit benötigen Bluter bis zu zwei-dreimal pro Woche intravenös verabreichte Blutgerinnungspräparate.
Monogene Erbkrankheiten innerhalb der nächsten zehn Jahre behandelbar?
Was können sich die Patienten von der Gentherapie also in absehbarer Zukunft erwarten? Bei der Behandlung der monogenen (d.h. auf einem einzigen defekten Gen beruhenden) Erbkrankheiten SCID und Hämophilie können die Forscher erste Erfolge vorweisen. Bis ein solches System routinemäßig anwendbar ist, wird aber noch einige Zeit vergehen.

Ein anderer Ansatz, der innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre zur Anwendung gebracht werden könnte, ist die Modifikation von Zellen außerhalb des Körpers (d. h. im Reagenzglas), die anschließend dem Patienten wieder eingesetzt werden ("Off-the-Shelf" - Zelltherapie).
Übertriebene Hoffnung unangebracht
Weitaus schwieriger ist die Situation in der Krebstherapie. Hier ist noch sehr viel Forschungsarbeit nötig, um die Vorstellungen der Wissenschaftler in die Realität umzusetzen. Angesichts der auftretenden Schwierigkeiten ist die Wissenschaft bemüht, die Erwartungen in die Gentherapie zu relativieren.

"Bevor man den Patienten mit neuen Gentherapien Hoffnung machen kann, müssen wir zuvor die Funktionsweise der einzelnen Gene erforschen und die gewonnenen Erkenntnisse dann schrittweise und vorsichtig umsetzen", meint Ernst Kubista, Vorstand der Abteilung für spezielle Gynäkologie des Wiener AKH.

Trotzdem scheint es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Anwendungen zur Marktreife gelangen. Zur Zeit aber bleiben Vorsorge und Früherkennung die besten und effizientesten Mittel gegen Krebs.
->   "Hoffnungsgebiet Gentherapie" ein Beitrag von Ernst Kubista
->   dialog<>gentechnik
->   Weitere Beiträge von dialog<>gentechnik in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010