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Hoffnungsgebiet Gentherapie
Ernst Kubista, Vorstand der Abteilung für spezielle Gynäkologie des Wiener AKH
 
  Die Sequenz der menschlichen Erbsubstanz wurde am 15.02.2001 in Wissenschaftsjournal "Nature" und am 16.02.2001 in "Science" publiziert. Dies war ca. 50 Jahre, nachdem die Bauweise der Erbsubstanz von Watson und Crick gefunden wurde (wofür sie den Nobelpreis erhielten) - ein wichtiger Meilenstein der Genetik. Das bedeutet aber noch nicht, dass die Funktion der einzelnen Gene jetzt schon bekannt ist. Man kennt nun die Buchstabenabfolge des menschlichen Genoms, aber die Wörter dieses "Buch des Lebens" sind nicht bekannt  
Sachliche Diskussion über Pro und Contra
Die Aufklärung der einzelnen Genfunktionen wird sicher noch Jahrzehnte dauern. Es ergeben sich dadurch viele Chancen für Diagnostik und Therapie, aber auch neue Risiken. Eine sachliche Diskussion über Pro und Contra muss aber schon am Anfang stehen und dauerhaft geführt werden. Von Beginn an ist die gesamte Öffentlichkeit einzubeziehen, und nicht nur Naturwissenschaftler oder Mediziner. Ein Hauptaugenmerk gilt auch der begleitenden Gesetzgebung. Nicht alles was möglich ist, darf auch gemacht werden.
Ex Vivo
Was die Gentherapie zu therapeutischen Zwecken betrifft, unterscheidet man eine ex vivo- von der in vivo- Gentherapie. Bei der ex vivo- Therapie werden aus dem Körper entnommene Zellen genetisch verändert und dann rückinfundiert.

Man hat dieses Verfahren bei einzelnen Immunerkrankungen und der Hämophilie mit Erfolg durchgeführt. Allerdings sind auch dabei bisher unerklärliche Rückschläge eingetreten mit in Einzelfällen tödlichem Ausgang.
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Keine Versuche in Österreich
Es traten Fälle von Leukämie in gehäuftem Ausmaß auf. Als Reaktion auf die Leukämiefälle wurden in Frankreich, USA und Deutschland alle klinischen Studien mit retroviralen Vektoren bis auf weiteres unterbrochen. Großbritannien entschloss sich gegen einen Versuchs-Stopp. In der Schweiz und in Österreich laufen bisher keine derartigen Studien bzw. wurden auch nicht beantragt.
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In Vivio
Bei der in vivo- Gentherapie soll das Gen direkt in den Körper eingebracht werden. Man unterscheidet die somatische Gentherapie und die Keimbahntherapie. Bei der somatischen Gentherapie soll das Gen nur in bestimmte Körperzellen eingeschleust werden, bei der Keimbahntherapie gelangt das Gen direkt in die Keimzellen.

Da auch ungewollte Veränderungen in den Keimzellen an die Nachkommen weiter vererbt werden, ist die Keimbahntherapie in vielen Ländern - darunter auch Österreich - verboten. Bei der somatischen Gentherapie ist die größte Schwierigkeit das Einbringen von Genen in die Zellen.

Bisher geschieht das über sogenannte "Vektoren", die meistens viralen Ursprungs sind. Das Problem besteht erstens darin, die therapeutischen Gene in ausreichender Menge in die Zellen zu bekommen und zweitens, sie auch an die richtige Stelle zu transportieren.
Gentherapie in der Krebsbehandlung
Erste Erfahrungen mit somatischer onkologischer Gentherapie hat man bereits mit lokal begrenzten Maßnahmen gesammelt, vor allem im Bereich der Hals-Nasen - Tumoren. Es ist aber schon von vornherein nicht anzunehmen, dass große Tumore, in die genetisch verändertes Material direkt eingespritzt wird, in zufriedenstellender Weise reagieren können.

Zusätzlich sind große Tumoren auch schlecht durchblutet, so dass über den Blutweg auch nicht genügend genetisch verändertes Material an die erkrankten Zellen herankommt. Vorstellbar wäre eine somatische Gentherapie (falls die Vektorproblematik gelöst und genug Material eingeschleust werden kann) vor allem bei gut durchbluteten Organen wie der Leber und im Knochenmark.
Nach wie vor im experimentellen Bereich
Man kann also davon ausgehen, dass es derzeit keine allgemein erprobte Gentherapie beim Menschen gibt und sich alle Untersuchungen und Anwendungen nach wie vor im experimentellen Bereich bewegen.

Vom intellektuellen Ansatz her ist die Gentherapie sicherlich ein großes Hoffnungsgebiet und könnte dazu beitragen, viele auf molekulargenetischer Ebene auftretende Fehler zu korrigieren.
Anfängliche Euphorie ist verflogen
Wir wissen allerdings noch nichts über viele Funktionsvorgänge in den menschlichen Genen, die zu Krankheiten führen und andererseits auch noch nicht über die Nebenwirkungen die durch gentherapeutische Maßnahmen herbeigeführt werden.

Der am Anfang so stürmisch aussehende Prozess hat daher einer nüchternen Bewertung der einzelnen Möglichkeiten Platz gemacht. Bevor man den einzelnen Patienten mit neuen Gentherapien Hoffnung machen kann, wird es noch geraumer Zeit bedürfen die Funktionsweise der einzelnen Gene zu erforschen und die gewonnenen Erkenntnisse dann schrittweise und vorsichtig umzusetzen.
 
 
 
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01.01.2010