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SARS: Neuerkrankungen gehen offenbar zurück  
  Immer mehr Menschen beginnen sich vor SARS zu fürchten. Daran sind vor allem die steigenden Zahlen der Erkrankungen Schuld. Die Realität sieht anders aus, meint dagegen ein österreichischer Mediziner.  
"Es sind zwei verschiedene Dinge: die gemeldeten Fälle und das Datum ihres Auftretens. Nachdem China so lange keine Erkrankungen gemeldet hat, schnellt jetzt die Zahl in die Höhe", erklärte Herwig Kollaritsch am Freitag gegenüber der APA.

Doch in Wahrheit sei diese Krankheiten schon abgelaufen. Kollaritsch ist Leiter der Abteilung für spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Universität Wien.
Ein vorsichtig optimistisches Bild
Der Fachmann hat die WHO-Daten und die Analysen der US-Zentren für Krankheitskontrolle (CDC/Atlanta/Georgia) zusammen gefasst. Daraus ergibt sich ein vorsichtig optimistisches Bild:

"Die derzeitige Zunahme an Fällen liegt bei etwa 80 pro Tag weltweit. Das bedeutet eine Abnahme gegenüber März - da waren es bis zu 250 Fälle pro Tag", so Experte Kollaritsch.

Bedeutsam sei in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass in den vergangenen Wochen die Zahlen der Neuerkrankten abnehmen, hingegen die Zahl der Meldungen ansteige. "Dies ist darauf zurückzuführen, dass viele 'alte' Fälle erst jetzt gemeldet werden. Leider wird dies oft in den Medien falsch wiedergegeben."
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Möglicherweise nicht alle Erkrankungen SARS
Hinzu kommt, dass auch die WHO ausschließlich von "möglichen Fällen" (probable cases) spricht. Es muss sich also gar nicht in allen Erkrankungsfällen wirklich um SARS gehandelt haben. Eine eindeutige Diagnose-Methode gibt es erst auf Basis der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) mit Nachweis der Coronaviren aus Schleimhautsekret.
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Wie bewertet man eine "Epidemie"?
Um ein echtes Bild der Entwicklung einer "Epidemie" zu erhalten, muss man sich auch auf eine Bewertung festlegen: Bei infektiösen Krankheiten gilt zumeist der Zeitpunkt (Tag) des Auftretens der Erkrankung als "Stichtag".

Reiht man die Zahl der Neuerkrankungen pro Tag an einander, zeigt sich gerade bei solchen infektiösen Leiden oft eine typische Wellenstruktur. Später gemeldete Fälle müssen auf den Zeitpunkt des Auftretens der Symptome rückdatiert werden, um ein aussagekräftiges Bild zu ergeben.
SARS-Entwicklung zwischen 1. Jänner und 21. April
Auf der Basis von 2.563 wahrscheinlichen SARS-Neuerkrankungen von 1. Jänner dieses Jahres bis 21. April ergibt sich laut WHO folgendes Bild:

- Bis 21. Jänner "dümpelte" SARS mit ein bis zwei Neuerkrankungen pro Tag dahin.
- Dann folgte der erste Anstieg bis zu 50 bis 60 Neuerkrankungen weltweit Ende Jänner bis zum den 10. Februar.
- Darauf ging die Zahl der täglichen Neuerkrankungen wieder auf um die 20 bis 30 zurück. Um den 12. März gab es wieder einen Anstieg auf über 60 pro Tag. Das schwankte aber wieder nach unten.
- In der letzten Märzwoche waren es dann plötzlich an einem Tag um die 120.
- Ab diesem Zeitpunkt fiel bis 21. April die Zahl der Neuerkrankungen praktisch ständig - sogar bis auf Null an einzelnen Tag.
Kumulative Fallzahlen ergeben falsches Bild
Umgekehrt sieht es allerdings bei den Meldungen über die SARS-Erkrankungen aus. Hier schlägt die Verzögerung Chinas zu Buche. Doch auch andere Staaten informierten die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erst mit Verspätung.

"Die Vereinigten Staaten begannen SARS-Verdachtsfälle an die WHO am 20. April zu melden", stellt die internationale Organisation fest. Ein völlig falsches Bild ergibt die kumulative Schilderung der Fallzahlen.
Keine chronische Erkrankung oder lange Inkubationszeit
SARS ist keine chronische Erkrankung. Daher ist es im Grunde sinnlos, von "bisher" 1.000, 2.000 oder 4.439 Erkrankungen zu sprechen. Weit mehr als 90 Prozent der Betroffenen sind längst wieder gesund.

Es handelt sich auch nicht um eine Infektion mit jahrelanger Inkubationszeit (wie z.B. Aids), in der die Zahl der Infizierten kumulieren könnte. Nur die Zahl der Neuerkrankungen bzw. der Neuinfektionen (kaum zu bestimmen, Anm.) kann wirklich einen Hinweis auf die Situation geben.
Steigende Zahlen in Peking durch "Aufarbeitung"
Tropenmediziner Herwig Kollaritsch: "Der ganz entscheidende Punkt an der Statistik - und dies steht im krassen Gegensatz zu den reißerischen Meldungen der Medien über die vergangenen Tage ist darin zu sehen, dass nur mehr in Peking eine zunehmende tägliche Fallzahl berichtet wird."

Dies komme vor allem aus der "Aufarbeitung" schon erkrankter Personen, die aber erst jetzt gemeldet würden. "Die bisher problematischen Gebiete Hongkong und Singapur erreichen derzeit nur mehr ein Viertel der täglichen Neuerkrankungszahl im Vergleich zu Mitte/Ende März. Vorsichtiger Optimismus erscheint hier angebracht."
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Lokale Infektionskette nur in wenigen Ländern
Der Fachmann weiter: "Und dies ist besonders beachtenswert: Nur in wenigen Ländern hat sich eine lokale Infektionskette etabliert: Kanada, Vietnam - praktisch schon vorbei -, China, Hongkong, Singapore, Taiwan (auch praktisch schon vorbei, Anm.)."

In diesen Ländern wurde nach einem primären Import im Land selbst eine Weitergabe der Krankheit beobachtet, erläutert Kollaritsch. "Alle anderen Länder haben nur eingeschleppte Fälle, und es besteht daher in diesen Ländern auch keinerlei Infektionsgefahr."
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Weitere Gründe für eine Beruhigung
Es gibt noch andere Gründe, die eher für Beruhigung sorgen sollten: SARS ist laut Kollaritsch nicht hoch infektiös. Die meisten Betroffenen waren bisher Familienmitglieder und Angehörige des Gesundheitspersonals.

Nur in Hongkong wurde offenbar der Erreger durch schadhafte Wasserleitungs- bzw. Sanitäreinrichtungen in einem Häuserblock "verbreitet". Todesfälle wurden mit wenigen Ausnahmen nur bei Menschen über 50 beobachtet.

Dem Tropenmediziner geht es vor allem um die Rücksicht auf die realen Relationen: "Selbst in China mit 1,3 Milliarden Einwohnern beträgt die Erkrankungsrate bisher rund 1,5 Fälle pro Million Einwohner." Das sei nicht viel.
->   Abteilung für spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Uni Wien
->   Informationen der WHO zu der Infektionskrankheit
->   Alles zum Stichwort SARS in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010