News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Mäuse bauen "Straßenschilder" zu ihrer Orientierung  
  Jeder Autofahrer weiß aus leidvoller Erfahrung, wie schwierig die Orientierung in fremden, eintönigen Gegenden sein kann. Auch Waldmäuse kennen dieses Problem. Sie bedienen sich verblüffender Weise der selben Lösungsstrategie wie der Mensch: Die possierlichen Nager bauen "Straßenschilder" - allerdings nicht solche aus Metall, sondern - streng biologisch - aus Naturmaterialen.  
Dies sei der erste Nachweis für die Verwendung von optischen Wegmarkierungen im Tierreich, berichten Pavel Stopka und David W. Macdonald von der Universität Oxford. Die beiden Zoologen spekulieren, dass Blätter oder Zweige mitunter Duftmarken vorgezogen werden, weil diese kaum von Fressfeinden entdeckt werden können.
...
"Way-marking behaviour"
Die Studie "Way-marking behaviour: an aid to spatial navigation in the wood mouse (Apodemus sylvaticus)" von Pavel Stopka und David W Macdonald erschien am 2. April 2003 im Open-Access Journal "BMC Ecology".
->   Zum Original-Artikel (pdf-File)
...
Orientierung als Überlebensfrage
Schnelle und verlässliche Orientierung ist für die Waldmaus (Apodemus sylvaticus) eine Frage des Überlebens. Das ist allerdings nicht immer so einfach:

Im Vergleich zu ihrer Körpergröße ist ihr Lebensraum sehr groß und besteht vornehmlich aus relativ eintönigen Arealen, wie z.B. gepflügten Feldern. Hinzu kommt noch, dass die Verfügbarkeit natürlicher Orientierungspunkte, Verstecke und Futtervorräte zur Erntezeit drastisch eingeschränkt wird.
Blätter und Zweige als Referenzpunkte
Pavel Stopka und David W. Macdonald gingen der Frage nach, wie nun Apodemus sylvaticus die überlebenswichtige Orientierung in so einem monotonen Lebensraum bewerkstelligt.

Bei Freilandbeobachtungen stellten sie fest, dass die Nager Blätter, Zweige oder Häufchen von Samenschalen mit sich führten, um sie dann strategisch zu platzieren.

Sie beobachteten weiterhin, dass die Mäuse im Bereich dieser Objekte die größte Aktivität aufwiesen und nach Erkundungstouren immer wieder zu diesen Punkten zurückkehrten.
...
Die Waldmaus und ihre Verwandten
Die echten Mäuse (systematischer Name "Muridae") können als die anpassungsfähigste, fruchtbarste und artenreichste Famile der Säugetiere angesehen werden. Sie sind 5 - 50 cm lang, weisen einen maximal körperlangen Schwanz auf und ernähren sich überwiegend pflanzlich. Zu den Muridae zählen u.a. die Ratten (Gattung "Rattus") sowie die Zwergmäuse (Gattung "Micromys").

Weiters die Mäuse im engsten Sinne mit den Gattungen "Mus" (z.B. Hausmaus), "Microtus" (Feldmäuse) und "Apodemus" (Waldmäuse). Zu letzterer gehört z.B. die Waldmaus (Apodemus sylvaticus) oder auch die Gelbhalsmaus.
->   Mehr dazu (das-terlexikon.de)
...
Echte Orientierungshilfen?
Damit war die naheliegende Hypothese geboren, dass es sich hierbei um echte Orientierungshilfen handelt. Um diese auch experimentell zu überprüfen zu können, konstruierten die beiden Zoologen eine Versuchsanordnung, im Rahmen derer die Tiere in einem standardisierten Lebensraum ausgesetzt wurden.
Untersuchung durch Experiment
Dieser enthielt einen Nistkasten, Futtervorräte, Lagerstreu und zehn weiße Scheiben mit einem Durchmesser von fünf Zentimetern. Die Mäuse wurden während eines Zeitraumes von 15 Tagen per Video beobachtet und ihre Bewegungen daraufhin analysiert.

Die Analyse ergab, dass in der Umgebung des Nistkastens nur kurze Wege zurückgelegt wurden, während der Bereich der weißen Scheiben regelmäßig als Startpunkt für längere Erkundungstouren gebraucht wurde.
Mäuse verwenden optische "Lesezeichen"
Fanden die Mäuse Areale von besonderem Interesse, transportierten sie die weißen Scheiben genau dorthin - und verwendeten sie wiederum als Ausgangsbasis für exploratives Verhalten.

Die Scheiben dienten außerdem als "Lesezeichen" wenn ihre Aktivitäten - etwa durch Fressfeinde - unterbrochen wurden. Nach der Bedrohung kehrten die Nager regelmäßig an den Punkt zurück, wo sie ihre Orientierungshilfen platziert hatten.
...
Explorationsverhalten
Als Explorations- bzw. Erkundungsverhalten bezeichnet man in Ethologie und Psychologie die spielerische Auseinandersetzung mit der Umwelt, um unbekannte Zusammenhänge kennen zu lernen. Diese Tendenz tritt vor allem bei Jungtieren von lernbegabten Säugern und Vögeln auf.

Dazu gehören unterschiedliche Verhaltenskategorien, wie etwa: Schauen, Hören, Berühren, Manipulieren oder auch Fragen und Nachdenken. Der biologische "Sinn" des Erkundungsverhaltens liegt im Einüben neuer komplexer Verhaltensmuster sowie in der Anpassung an umweltspezifische Anforderungen.
...
"Straßenschilder" sind besser als Duftmarken
Wie die Autoren in ihrer Arbeit schrieben, verhalten sich die Nager genau so, "wie ein Mensch dem Orientierungsproblem in einer homogenen Umwelt begegnen würde: Zum Beispiel indem man eine Stange in den Boden steckt, um sie als Referenzpunkt zu verwenden."

Stopka und Macdonald entwickeln außerdem die Hypothese, dass diese optischen Erinnerunghilfen für Waldmäuse wirkungsvoller als Duftmarken seien: Sie sind beweglich und sind außerdem von Fressfeinden nicht zu entdecken.
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Soziale Verhaltensweisen bei Kapuzineraffen
->   Die Neurobiologie der Empathie
->   Kultur-Fähigkeit älter als bisher angenommen
->   Sämtliche Artikel zum Stichwort "Verhalten" im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010