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ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Affenstudie zeigt, warum der Geist im Alter nachlässt  
  Die Leistungsfähigkeit des Gehirns nimmt mit dem Alter drastisch ab. Amerikanische Wissenschaftler sind nun aufgrund einer Studie an den ältesten Affen der Welt den molekularen Ursachen auf die Spur gekommen: Die mentalen Leistungseinbußen sind unter anderem auf die Abnahme eines bestimmten Botenstoffes zurückzuführen, der den Nervenzellen zu einer präzisen Entladungsrate verhilft.  
Die Resultate wurden am visuellen System von Makakken gewonnen. Nach Ansicht von Audie G. Leventhal von der University of Utah School of Medicine in Salt Lake City und seinem Team sind die Resultate jedoch auch für andere kognitive Leistungen von Belang - und zudem auch auf den Menschen umzulegen.
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"GABA Improved Cortical Function in Senescent Monkeys"
Die Arbeit "GABA and Its Agonists Improved Visual Cortical Function in Senescent Monkeys" von Audie G. Leventhal und Mitarbeitern erschien im aktuellen Heft des Fachmagazins "Science" (Band 300, Seiten 812-15, Ausgabe vom 3. Mai 2003).
->   Science
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Altern - biologisches Schicksal
Aus biologischer Sicht ist der Alterungsprozess eine Zwangsläufigkeit: Früher oder später muss auch der gesündeste Körper den Lebensjahren Tribut zollen.

Dabei gibt es auch für das Gehirn keine Ausnahme. Die Leistung sämtlicher informationsverarbeitenden Prozesse nimmt mit dem Alter ab, dies betrifft die Sprache ebenso wie etwa das Sehen oder die Motorik.
Ursachenforschung kennt mehr als 300 Theorien
Die Ursachenforschung ist weit gediehen: Derzeit existieren mehr als 300 Theorien des Alterns, die - je nach Schwerpunkt - endogene, exogene, genetische oder evolutionäre Faktoren favorisieren. Daher gibt es auch nicht die Ursache des Alterns, sondern nur Antworten im Kontext einer spezifischen Fragestellung.
Studie an ältesten Affen der Welt
Bild: Audie Leventhal
Affen-Opa "Solomon" mit 26 Lenzen
Eine solche Fragestellung formulierten nun Audie G. Leventhal und sein Team von der University of Utah School of Medicine mittels ganz besonderer Studienobjekte.

Sie untersuchten die ältesten Affen der Welt: Makakken aus einer Kolonie in Kunming, China, die bereits in den 1950er-Jahren im Rahmen eines chinesisch-russichen Forschungsprogramms gegründet wurde.

Die untersuchten Tiere wiesen mit 26 bis 30 Jahren ein etwa doppelt so hohes Alter auf, wie es den Ältesten unter ihren Artgenossen in der freien Wildbahn vergönnt ist.

Wie Leventhal in einer Aussendung seiner Universität betont, sind 30 Makakken-Jahre in etwa mit 90 Menschenjahren zu vergleichen: "Sie sehen aus wie Großeltern, haben dünnes Haar und Falten", so der amerikanische Neurowissenschaftler.
Objekt der Forscherbegierde: visueller Cortex
Leventhal und seine Kollegen untersuchten bei den Makakken-Senioren eine am Hinterhaupt gelegene Region des Gehirns, die mit der Verarbeitung visueller Stimuli befasst ist: die primäre Sehrinde, auch unter der Kurzbezeichnung "V1" bekannt.

Dabei konzentrierten sie sich auf die so genannten V1-Neuronen, die sich nur in ganz spezifischen Situationen entladen. Und zwar dann, wenn Objekte (oder Teile davon) unter einem bestimmten Blickwinkel zu sehen sind bzw. sich in eine bestimmte Richtung bewegen.
Schlüsselsubstanz GABA
Der Botenstoff "GABA" spielt dabei eine wichtige Rolle: Er ermöglicht den Zellen eine akkurate Erledigung ihrer Aufgaben. Ist der Botenstoff unterrepräsentiert, verlieren die V1-Zellen ihre Präzision, feuern wann sie wollen - und die Dinge laufen aus dem Ruder:

"Das ist wie New York City oder Boston bei einem Stromausfall", erklärt Leventhal: "Man könnte glauben, dass ohne die einschränkenden Maßnahmen, wie etwa rote Ampeln, der Verkehr schneller abliefe. Doch das Gegenteil ist der Fall."
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Neurotransmitter GABA
Das Kürzel "GABA" steht für "gamma-aminobutyric acid", zu deutsch Gamma-Aminobuttersäure. GABA ist eine Aminosäure und stellt den wichtigsten inhibitorischen (hemmenden) Neurotransmitter im Zentralnervensystem dar. Etwa 30 Prozent aller Synapsen im menschlichen Gehirn werden durch GABA gesteuert. Es wird daher auch therapeutisch zur Behandlung von Epilepsien eingesetzt.
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Einzelne Neuronen gezielt beeinflusst
Die amerikanischen Neurowissenschaftler fanden heraus, dass genau das im Gehirn von alten Affen passiert. Leventhal und seine Mitarbeiter reizten einzelne Neuronen durch die gezielte Zugabe von GABA, sowie von zwei Substanzen mit hemmendem bzw. förderndem Einfluss auf die Wirkung des Botenstoffes.
Alte Hirnzellen weisen ein GABA-Defizit auf
Der GABA-Blocker "Bicucullin" bewirkte bei den V1-Zellen von jungen Affen eine niedrigere Reizselektivität, während GABA sowie dessen Verstärkersubstanz kaum einen Einfluss entfalten konnte.

Bei den alten Makakken war es genau umgekehrt: Die Forscher schließen daraus, dass deren V1-Zellen ein - altersbedingtes - Defizit an GABA aufweisen und deshalb "schlampig" arbeiten.
Gleicher Mechanismus beim Menschen?
Nach Ansicht der Forscher sind die Ergebnisse auch für andere Sinnesleistungen relevant. Vor allem weise die Studie auch auf analoge Mechanismen in menschlichen Gehirnen hin:

"Die gute Nachricht ist, dass es bereits eine Reihe von Medikamenten gibt, die die Wirkung von GABA unterstützen", so Leventhal: "Vielleicht werden einige gegen altersbedingten geistigen Leistungsabfall helfen."
->   Audie Leventhal, University of Utah School of Medicine
->   Mehr zum Thema "Gedächtnis" in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010