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Rechte statt Almosen für Menschen mit Behinderungen  
  Unter dem Titel "Rechte statt Almosen. Menschen mit Behinderungen und ihre Lebensmodelle" thematisiert das Radiokolleg diese Woche, wie sich die vielfältigen Barrieren am Arbeitsmarkt und im Alltag überwinden lassen. Menschen mit Körper- oder Sinnesbeeinträchtigungen erzählen wie sie ihr Leben selbstbestimmt meistern. Vor allem die Behindertenpolitik lässt demnach allerdings noch zu Wünschen übrig.  
"Die Kollegen im Rollstuhl müssen sich ganz genau überlegen, was sie trinken und essen dürfen. Denn schnell auf's Klo gehen ist in den meisten Lokalen nicht angesagt, weil es keine behindertengerechten Toiletten gibt", erzählt der Jurist Michael Krispl, der selbst blind ist und 1993 die Interessensgemeinschaft "Blickkontakt" mitbegründet hat.
Keine Reduktion auf Sozialpolitik
Für den Rechtsexperten steht fest: "Behindertenpolitik darf nicht einfach auf Sozialpolitik reduziert werden". Im Sinne einer Bürgerrechtspolitik wird deshalb von allen behindertenpolitisch aktiven Vereinen und Verbänden ein so genanntes "Behindertengleichstellungsgesetz" gefordert.

"Dieses im Einzelfall bitten und betteln müssen, das kann es ja nicht sein", so Michael Krispl.
Gleichheitsgrundsatz bringt in der Praxis wenig
Zwar ist der Gleichheitsgrundsatz, dass niemand aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werden darf, seit 1997 im Artikel 7 der Bundesverfassung verankert, doch diese allgemeine Bestimmung bringt in der Praxis wenig.

In Deutschland, Großbritannien und auch in anderen europäischen Ländern haben die Gesetzgeber deshalb schon längst durchsetzbare Rechtsansprüche, auf chancengleiche und gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erlassen.
->   Blickkontakt
Beispiel Großbritannien
Für die Einhaltung des 1995 erlassenen "Disability Discrimination Act" sorgt beispielsweise in Großbritannien seit dem Jahr 2000 eine eigens eingerichtete unabhängige Kommission: die "Disability Rights Commission". Ausgestattet mit einem jährlichen Budget von rund 13 Millionen Pfund werden Zentren in London, Manchester, Wales und Schottland betrieben.

Rund 180 Angestellte, darunter viele selbst Betroffene, bieten Beratung an, nehmen Beschwerden auf und leiten rechtliche Schritte ein, wenn gegen das Gesetz verstoßen wird. Die Erfolge können sich sehen lassen, so Bert Massie, der Vorsitzende der "Disability Rights Commission".
->   Disability Rights Commission
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Bert Massie: "Im Jahr 2004 wird es neue gesetzliche Pflichten geben, die besagen, dass Dienstleistungen zugänglich sein müssen. In vielen Fällen wird es darum gehen, Gebäude zugänglich zu machen. In anderen Fällen- nehmen wir als Beispiel einen kleinen Frisiersalon, der macht nicht sehr viel Gewinn und kann sich keine Rampe und keinen Lift leisten. Dieser Friseur kann aber dem Kunden im Rollstuhl anbieten, dass er abends zu ihm nach Hause kommt und ihm dort die Haare schneidet. Auch dieses Angebot macht die Dienstleistung zugänglich. Das Gesetz wird also einen gewissen Spielraum bieten und auf Rahmenbedingungen flexibel reagieren. Doch grundsätzlich geht es schon darum, bauliche Barrieren zu beseitigen, dafür zu sorgen, dass die Leute Zugang zu Jobs haben, dass sie Kinos, Restaurants, Cafes oder was auch immer sie wollen, besuchen können und dass sie in ihrem Leben die gleichen Möglichkeiten vorfinden."
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Österreich: Arbeitsgruppe soll Gesetzesentwurf erarbeiten
Eine wichtige Hürde für das österreichische Behindertengleichstellungsgesetz wurde Ende Februar dieses Jahres genommen.

Im Parlament wurde ein 4-Parteienantrag zur Einsetzung einer Arbeitsgruppe beschlossen, die beim Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes angesiedelt sein soll und unter Einbindung von selbst betroffenen Experten einen beschlussreifen Entwurf für ein solches Gesetz erarbeiten wird.
"Forum Gleichstellung" wartet auf den Startschuss
Die Vertreter der österreichischen Behindertenbewegung haben sich im "Forum Gleichstellung" organisiert und warten auf den Startschuss.

Michael Krispl, ein Mitglied dieser Bürgerrechtsgruppe betont, dass das Behindertengleichstellungsgesetz alle Lebensbereiche umfassen muss, von der Ausbildungs- bis zur Berufswelt, aber auch das Zivilrecht und der Geschäftsbereich sollen nach Diskriminierungen durchforstet werden.

"Auch wenn man die Welt nicht innerhalb eines Tages umkehren kann", so der Rechtsexperte Michael Krispl. Für die baulichen Maßnahmen seien angemessene Fristen zu setzen. "Wir werden nicht auf das nächste Jahrhundert warten, um dann irgendwann gleichberechtigt leben zu können."
Zentral: Chancengleicher Zugang zu Information
Für blinde Menschen ist vor allem der chancengleichen Zugang zu Informationen zentral. Das Internet, als Hauptinformationsquelle muss auch für jemanden, der schlecht oder gar nicht sieht, benutzbar sein.

In den USA, aber auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern ist die "barrierefreie" Gestaltung von Websites bereits gesetzlich vorgeschrieben.

Ein Beitrag von Ina Zwerger für das Ö1-Radiokolleg vom 5. bis 8.Mai 2003, jeweils um 9.05 Uhr in Radio Österreich 1.
->   Radio Österreich 1
Weitere Links zum Thema:
->   www.bizeps.at: Behindertenberatungszentrum
->   Österreichischer Gehörlosenbund
->   Berufsbildungs- und Forschungszentrum für Blinde und Sehbehinderte
->   Beiträge zu diesem Thema in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010