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Religion: Einfache Antworten auf die Fragen nach Gerechtigkeit  
  Aussicht auf Gerechtigkeit ist eines der zentralen Versprechen aller Religionen. Betrachtet man die Geschichte, wurde es jedoch nur höchst selten eingelöst. Nach dem 20. Jahrhundert der "politischen Religionen" Hitlers und Stalins scheinen nun die religiösen Antworten auf die Fragen nach Gerechtigkeit wieder im Vormarsch. Der Politikwissenschaftler Anton Pelinka geht der Frage nach, warum diese Antworten so "einfach" sind.  
Gerechtigkeit - Religion
Von Anton Pelinka

Alle Religionen beanspruchen, für Gerechtigkeit einzutreten - für eine im Diesseits, für eine im Jenseits. Alle Religionen aber liefern Befunde, die mit Gerechtigkeit wenig zu tun haben: Jahrtausende hindurch haben die Religionen der Welt die Sklaverei als Teil einer gottgewollten, einer gerechten Ordnung akzeptiert.

Jahrtausende hindurch haben die Religionen dieser Welt es als gerecht angesehen, dass Frauen den Männern kraft göttlichen Willens untertan sind.
Historisch unbegründeter Anspruch
Der Befund ist klar: Was Gerechtigkeit ist, das ist gerade auch bei religiös begründeten Vorstellungen von den Umständen der Zeit abhängig. Und dennoch beanspruchen Judentum und Christentum, Islam und Hinduismus, Buddhismus und Schintoismus, die Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit zu haben.

Wieso dieser historisch völlig unbegründete Anspruch? Woher die Anmaßung, trotz Hexenwahn und Inquisition, trotz fundamentalistischer Gewalt und Rechtfertigung der jeweils herrschenden Zustände (vom Gottesgnadentum absoluter Herrscher bis zum Kolonialismus, von den "gerechten Kriegen" der Kreuzfahrer bis zu denen des "Jihad"), über Gerechtigkeit Bescheid zu wissen?
Relativierung der Verbrechen durch "politische Religionen"
Eine Antwort ist die Erfahrung mit den postreligiösen Heilslehren des 20. Jahrhunderts: Die "politischen Religionen" Hitlers und Stalins tauchen die Anmaßung der traditionellen Religion in ein vergleichsweise mildes Licht.

Gemessen am Holocaust und am Massenmord an den Kulaken, sind die Übeltaten der Religion zwar nicht unbedingt geringer, aber eben nicht mehr einmalig. Die als Gerechtigkeit getarnten Verbrechen der Post-Religiösen haben die als Gerechtigkeit getarnten Verbrechen der Religiösen relativiert.
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Operation Figurini
Der Text von Anton Pelinka ist einer der wissenschaftlichen Kurzbeiträge, die je 56 Wissenschaftler und Künstler für die "Operation Figurini" verfasst haben. Dabei handelt es sich um ein Ausstellungsprojekt in den kommunikativen Zentren Wiens: seinen Märkten. Christoph Steinbreners "Operation Figurini" kombiniert nach Eigendefinition "Alltagskultur mit Wissenschaft und Kunst und versucht damit ein Gesellschaftsportrait zu erstellen".
Mehrere Marktstände sind dabei jeweils einem der acht Themen gewidmet, die die Basis der Ausstellung sind: Natur, Wissenschaft, Religion, Kultur, Sprache, Wirtschaft, Gerechtigkeit und Herrschaft.
Öffnungszeiten: wochentags 10-18 Uhr, samtags 9-13 Uhr
Ausstellungsorte: Karmelitermarkt (5. - 17. Mai 2003), Meidlinger Markt (19. - 31. Mai), Viktor-Adler-Markt (2. - 14. Juni)
->   Operation Figurini
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Gerechtigkeit muss simpel sein ...
Eine zweite Antwort ist die Schwierigkeit, einen Begriff von Gerechtigkeit zu vermitteln, der nicht auf dem Gedanken der eigenen Rechtschaffenheit und damit des Unrechts der jeweils Anders- oder Nichtgläubigen aufbaut. Der Begriff der Gerechtigkeit verlangt nach einer Lehre.

Und wenn ein solches Rezept verweigert wird - zugunsten eines intellektuell anspruchsvollen Prozesses, Gerechtigkeit nicht a priori zu definieren, sondern als allmählichen Prozess reifen zu lassen -, dann wenden sich alle ab, die für das eigene Wohlbefinden die einfache Formel brauchen.
... Religion macht dieses Angebot
Gerechtigkeit muss simpel sein - auch wenn sie ungerecht ist. Religion ist ein solches einfaches Angebot, Gut und Böse und damit Gerechtigkeit zu benennen.
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Anton Pelinka ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Konfliktforschung in Wien
->   Mehr über Anton Pelinka
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01.01.2010