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Der österreichische Gentechnik-Konflikt  
  Wie legitimiert sich eine neue umstrittene, als riskant wahrgenommene Technologie, die Alle betrifft, nur von Wenigen wissenschaftlich nachvollziehbar und für Politik wie Wirtschaft bedeutend ist? Das Zusammenspiel zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit beschreibt der Biologe und Sozialwissenschaftler Franz Seifert in seinem soeben erschienenen Buch über den "österreichischen Gentechnik-Konflikt im internationalen Kontext".  
Demokratischer Gestaltungsspielraum ...
Der österreichische Gentechnik-Konflikt war Franz Seifert Ausgangspunkt für eine generelle Analyse des Zusammenspiels von Politik, Öffentlichkeit und Technologie, die ihn letztlich zu der grundsätzlichen Frage führt, was ein Konflikt wie der um die Biotechnologie für eine moderne Demokratie bedeutet, die Gentechnik wird ihm zum "Demokratie-Sensor": Inwieweit können Demokratien die Entwicklung dieser Technologien überhaupt steuern und gestalten?
... am Modellfall Gentechnik
Der nationale Handlungsspielraum von Ländern der Größe Österreichs ist ziemlich gering, so das Resümee der Analyse von dreißig Jahren Biotechnologie-Politik.

Der Gentechnik misst Franz Seifert in seinen Untersuchungen vor allem die Rolle eines Modellfalls für Technologiepolitik bei - mit ganz besonderen Eigenschaften, die sie besonders interessant machen
Mobilisierung von Massenöffentlichkeiten
Kaum eine Technologie bietet ein so hohes Potential zur Mobilisierung von Massenöffentlichkeiten wie die Gentechnik. Immer wieder kam es - national wie international - zu breitem öffentlichen Widerstand. Politik ist von der Zustimmung von Massenöffentlichkeiten abhängig. Bei konfliktträchtigen Gegenständen wie der Gentechnik verlangt das nach legitimatorischer Zusatzarbeit.
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Beispielfall Österreich
Die Politik hatte zwar schon Anfang der neunziger Jahre versucht, mit einer parlamentarischen Enquete-Kommission und einem im internationalen Vergleich restriktiven Gentechnik-Gesetz einem möglichen öffentlichen Konflikt vorzubeugen. Davon unbeeindruckt wurde die illegale Aussaat gentechnisch veränderter Erdäpfel 1996 zum Auslöseereignis für eine große Mobilisierung der Öffentlichkeit, an der Nichtregierungsorganisationen, Tageszeitungen und Lebensmittelhandel mitwirkten.
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Demokratiekonzepte
Auf der Analyse des Zusammenspiels der unterschiedlichen Akteure in Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft baut Franz Seifert eines seiner zentralen Themen aus, die Untersuchung der hinter diesem Zusammenspiel stehenden Demokratiemodelle.

Unter anderem überprüft er die Verwirklichungschancen eines der anspruchsvollsten Demokratiekonzepte, dem der deliberativen Demokratie, der Herrschaft durch Beratung.

Das Idealbild: Verschiedene Positionen werden in Form von breiten Diskussionen verarbeitet und dann letztlich nach Vernünftigkeitsregeln entschieden.

Populistische Vorgehensweisen laufen dem zuwider, wie der Autor am Beispielfall Gentechnik zeigt. Die Massenöffentlichkeit als Gegner dieses Ideals - gleichzeitig aber oft der einzige Weg, der eine breite Öffentlichkeit überhaupt erst mit einer Thematik vertraut macht.
Nachhaltige Spuren auch in der Wissenschaft
Die heiße Phase des Konflikts um die Grüne Gentechnik ist Anfang des dritten Jahrtausends in Österreich zu Ende gegangen - sie hat aber Spuren bei allen beteiligten hinterlassen, die Franz Seifert offenzulegen versucht. Neben der Frage um die Möglichkeiten demokratischer Technologiepolitik, der Rolle der unterschiedlichen Gentechnik-Gegner ist auch ein nachhaltiger Einfluss der Diskussion auf die Wissenschaft bemerkbar.

Sie ist einerseits seither mehr denn je darauf bedacht, sich der Öffentlichkeit zu erklären - und sie hat in der Wahrnehmung vieler ihren Status, wertfreie Objektivität zu vermitteln, endgültig verloren. Die Wissenschaft wandelt sich in Franz Seiferts Analyse von der Wahrheitslieferantin zur Geschichtenerzählerin.

Sein Zugang zur Debatte konzentriert sich, oft ironisch im Sinne einer Ambivalenz ohne völlige Beliebigkeit, viel mehr auf den öffentlichen und nicht ganz so öffentlichen Diskurs der beteiligten Akteure, denn auf numerische Momentaufnahmen von Umfrageergebnissen - und bietet damit eine im deutschsprachigen Raum einzigartige, detaillierte Zusammenschau und Interpretation des internationalen Gentechnik-Konflikts von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart.

Birgit Dalheimer, Ö1-Wissenschaft
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Buchtipp
Franz Seifert, "Gentechnik - Öffentlichkeit - Demokratie. Der österreichische Gentechnik-Konflikt im internationalen Kontext." 2003, Profil Verlag.
->   Profil Verlag
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01.01.2010