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Föten erkennen Stimmen bereits in der Gebärmutter  
  Im Zeitalter des genetischen Determinismus erregen zwei Studien Aufsehen, welche auf die entscheidende Rolle der Umwelt für die geistige Entwicklung hinweisen. Kanadische Forscher konnten zeigen, dass Kinder nicht erst ab der Geburt lernen, sondern dies bereits im Mutterleib tun. Die untersuchten Föten waren zu einer erstaunlichen Leistung fähig: Sie konnten eine fremde Stimme von jener ihrer eigenen Mutter unterscheiden.  
Die Ergebnisse von Barbara Kisilevsky und ihrem kanadisch-chinesischen Team legen nahe, dass Lernen und Wiedererkennen schon beim ungeborenen Kind beginnen und für die spätere Mutter-Kind-Bindung von tragender Bedeutung sind.

Eine Arbeitsgruppe um die amerikanische Neurowissenschaftlerin Darlene Francis hat derweil anhand von Versuchen mit Mäusen herausgefunden, dass durch die Variation von Umweltbedingungen genetische Tendenzen sogar in ihr Gegenteil verkehrt werden können.
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"Effects of experience on fetal voice recognition"
Die Studie "Effects of experience on fetal voice recognition" von Barbara Kisilevsky und ihren Kollegen von der Queen's University in Kingston, Kanada, sowie der Zhejiang University, China, erschien am 3. Mai in der Zeitschrift "Psychological Science" (Band 14, Nr.3, S. 220-24).
->   Psychological Science
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Menschliche Föten hören bereits ab 30 Wochen
Bereits vor zweieinhalb Jahren ließ Barbara Kisilevsky von der Queen's School of Nursing aufhorchen, als sie eine Studie veröffentlichte, in der die Hörfähigkeit von ungeborenen Kindern untersucht wurde.

Darin konnte sie nachweisen, dass Föten bereits ab der 30. Schwangerschaftswoche auf computergenerierte Geräusche reagieren. Dies lässt den Schluss zu, dass es nicht vergebene Liebesmüh ist, wenn Mütter mit ihren ungeborenen Kindern sprechen.
->   Mehr dazu (Queen's News Center)
Fragestellung: Wirken alle Stimmen gleich?
Eine Interpretation, die durch Kisilevskys aktuelle Studie durchaus bestärkt wird. In dieser hatte sie 60 Föten einem Experiment unterzogen, das nun zeigen sollte, ob diese zwischen unterschiedlichen Reizen differenzieren können.

Dabei spielte man den ungeborenen Kindern Audiobänder vor, auf denen die zwei Minuten dauernde Aufnahme eines Gedichtes zu hören war. Einmal wurde das Gedicht von der leiblichen Mutter vorgelesen, beim Vergleichsversuch stammte die Stimme von einer fremden weiblichen Person.
Ungeborenes erkennt Mutter an der Stimme
Die Forscher fanden heraus, dass die Föten auf das Sprechen der Mutter mit einer Zunahme der Herzfrequenz reagierten, während sie diese im Eindruck der fremden Stimme reduzierten.

Kisilevsky und ihr Team interpretieren die Befunde als Beweis dafür, dass die psychische Ausprägung von Vorlieben und Wiedererkennung bereits vor der Geburt beginnt sowie eine Rolle für die Mutter-Kind-Bindung spielt.

Zukünftige Versuche sollen nun zeigen, ob die Kinder auch zwischen Vater und Mutter sowie verschiedenen Sprachen (Englisch, Mandarin) unterschieden können.
->   Mehr dazu (Queen's News Center)
Umwelteffekte bei Mäusen
Ein ebenso eindrückliches Beispiel für den Einfluss der Umwelt auf Psyche und Verhalten gelang kürzlich einer Arbeitsgruppe um Darlene Francis von der Emory University in Atlanta. Die Neurowissenschaftler verglichen zwei Zuchtlinien von Mäusen, die sich bezüglich ihrer Stressresistenz und kognitiven Fähigkeiten unterscheiden.
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"Epigenetic sources of behavioral differences in mice"
Die Arbeit "Epigenetic sources of behavioral differences in mice" von Darlene D. Francis, Kathleen Szegda, Gregory Campbell, W. David Martin und Thomas R. Insel erschien in der Zeitschrift "Nature Neuroscience" (Band 6, Nummer 5, S. 445 - 446).
->   Zum Original-Abstract der Arbeit
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Genetisch unterschiedliche Stämme im Vergleich
Dabei pflanzten sie Embryonen des stressresistenten Stammes ("B6") in die Gebärmutter stressempfindlicher Mäuse-Mütter (Stamm "BALB") ein und überließen diesen auch die Aufzucht. Dann wurden die Jungmäuse mit erbgleichen Individuen des B6-Stammes verglichen, die unter "normalen" Bedingungen aufgewachsen waren.
Mutterliebe formt Genetik um
Das Ergebnis: Die B6-Mäuse ähnelten ihren Ziehmüttern sowohl in Bezug auf ihre (niedrige) Stressresistenz als auch deren (gutes) Abschneiden bei kognitiven Tests. Anders ausgedrückt: Im Vergleich zu ihren genetischen Kopien in der Kontrollgruppe wiesen sie die genau gegenteiligen Verhaltenstendenzen auf.

"Wir haben die genetischen Unterschiede zwischen den Zuchtstämmen völlig umgeformt, indem wir die Umweltbedingungen vor und nach der Geburt veränderten", resümiert Francis in einer Aussendung ihrer Universität:

"Die mütterliche Betreuung sowie die Bedingungen in der Gebärmutter haben eine Kaskade von Wirkungen ausgelöst, die für die Differenzen bei den Tests verantwortlich sind."
Umwelt spielt gewichtige Rolle für Entwicklung
Entgegen der vorherrschenden Meinung, dass die Entwicklung vor allem von genetischen Faktoren abhängig sei, weist Francis darauf hin, dass offensichtlich auch der Umwelt eine bedeutsame Rolle bei der Regulierung des Verhaltens zukomme.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Queen's School of Nursing
->   Emory University
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01.01.2010