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Der unbekannte Mechanismus der Strahlentherapie  
  Seit mehr als 40 Jahren gilt es als gesichert, dass eine Strahlentherapie Tumorzellen zerstört, indem sie ihre DNA beschädigt. Andere Bestandteile des Krebsgeschwürs wie Bindegewebe und Blutgefäße sind laut Lehrmeinung kaum oder gar nicht betroffen. Eine neue Studie stellt genau dies nun in Frage - und kommt zu dem Schluss, dass die Strahlen sehr wohl an entscheidender zweiter Stelle wirken: Demnach lösen sie einen zellulären Selbstmord und damit das Absterben der Blutgefäße aus - und helfen so dabei, den Tumor auszuhungern.  
Nach Ansicht der Forscher vom Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York ein wichtiger neuer Ansatzpunkt für die weitere Verbesserung der Strahlentherapien, mit denen rund 50 Prozent aller Krebspatienten behandelt würden. Ihre Ergebnisse stellen die Wissenschaftler im aktuellen "Science" vor.
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"Tumor Response to Radiotherapy"
Der Artikel "Tumor Response to Radiotherapy Regulated by Endothelial Cell Apoptosis," ist erschienen in "Science", Bd. 300, Seiten 1155-1159, vom 16. Mai 2003.
->   Der Originalartikel (kostenpflichtig)
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Strahlen gegen den Krebs
Die Bestrahlung ist heute neben der Operation sowie der Chemotherapie eine der wichtigsten Behandlungsformen bösartiger Erkrankungen.

Dabei versuchen die Mediziner, mit energiereicher elektromagnetischer Strahlung (etwa Gammastrahlen) oder Teilchenstrahlen eine lokal begrenzte Stelle im Körper des Patienten zu behandeln.

Dort wird durch die Strahlung Energie abgegeben. Bislang ging man davon aus, dass dies im Wesentlichen zu Veränderungen im Erbgut der bestrahlten Zellen und letztlich zu deren Zerstörung führt.
Neuer Mechanismus: Zellselbstmord hungert Tumor aus
Einen neuen, bislang unbekannten Mechanismus haben nun die US-Wissenschaftler entdeckt: Demnach führt eine Bestrahlung auch dazu, dass so genannte Endothelzellen in den Blutgefäßen um den Tumor schlicht Selbstmord begehen - ein Vorgang, der sich Apoptose nennt und in Folge auch die für den Tumor überlebensnotwendigen Gefäße beschädigt.

Der Krebs wird - neben den direkten Folgen für die Tumorzellen - gleichsam ausgehungert. Denn ab einer bestimmten Größe ist er auf die Versorgung durch die vielen winzigen Blutgefäße angewisen.
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Versorgung und Wachstum von Tumorgewebe
Kleine Tumore, die zunächst lediglich aus ein paar Zellen bestehen, beziehen Nährstoffe bzw. den benötigten Sauerstoff direkt aus dem umliegenden Gewebe. Dafür verwenden sie feinste Blutgefäße, die so genannten Kapillaren. Diese durchziehen den gesamten Körper, allerdings in einer normalerweise gleichbleibenden Anzahl. Ab einer bestimmten Größe des Tumorgewebes reichen die umliegenden Kapillaren für die Versorgung nicht mehr aus - der Tumor regt dann die Bildung von Blutgefäßen an, um den steigenden Sauerstoffbedarf zu decken. Ein Vorgang, der sich Angiogenese nennt und im Körper nur unter ganz speziellen Bedingungen stattfindet, etwa nach der Menstruation oder bei Herzerkrankungen.
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Fehlendes Enzym zeigt: Kein Zellselbstmord
Die Mediziner untersuchten die Wirkung der Strahlentherapie an Mäusen, die genetisch so modifiziert waren, dass ihnen ein bestimmtes Enzym fehlte: Die so genannte saure Sphingomyelinase. Fehlt der Eiweißstoff, können die Endothelzellen keinen Selbstmord begehen.

In die Tiere implantierte Tumorzellen zeigten laut Studie deutlich ein geringeres Absterben der Endothelzellen, die Wachstumsrate des Krebsgeschwürs war fast doppelt so hoch wie bei normalen Mäusen - und eine Behandlung mit leicht dosierten Strahlen hatte keinerlei Auswirkungen auf die Tumore.
Erster genetischer Beweis für "Aushungern"
 
Bilder: Science

Links im Bild Endothelzellen (blau markiert) in Mäusen, denen saure Sphingomyelinase fehlt. Es finden sich keine Anzeichen für die Apoptose - den Selbstmord - der Zellen, wie es sich im rechten Bild (rotbraun markiert) erkennen lässt: Zu sehen ist Gewebe einer Maus mit dem Enzym Sphingomyelinase.

"Unsere Studie bestätigt, dass saure Sphingomyelinase das Endothel beeinflusst und dies wiederum eine Rolle beim Tumorwachstum und dessen Reaktion auf Bestrahlung spielt", kommentiert Monica Garcia-Barros, ein Mitglied des Forscherteams, die Ergebnisse in einer Aussendung des Institutes.

Zudem handele es sich um den ersten genetischen Beweis dafür, dass über eine Beschädigung der Blutgefäße tatsächlich ein Rückgang des Tumors bewirkt werden könne.
"Mögliche neue klinische Ansätze"
In einem nächsten Schritt wollen die Forscher untersuchen, wie ihre Ergebnisse auf die Behandlung menschlicher Krebspatienten zu übertragen sind. "Unsere Resultate deuten auf mögliche neue klinische Ansätze hin", sagt der Radioonkologe Zvi Fuks, ein weiterer Autor der Studie.

Weitere Forschungen seien notwendig, um mehrere Bereiche genau zu untersuchen - "darunter Strahlungsdosis, zeitliche Koordinierung der Therapie und vielleicht auch die Kombination von gegen das Blutgefäß-Wachstum wirkenden Substanzen und Bestrahlung."
->   Memorial Sloan-Kettering Cancer Center
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01.01.2010