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Bilder: Erkenntnis jenseits der Sprache  
  Was können Bilder, was die begriffliche Sprache nicht mehr zu leisten vermag? Der Kunsthistoriker und Philosoph Gottfried Böhm hat am Wiener Institut für die Wissenschaft vom Menschen (IWM) daran erinnert, dass gerade das digitale Zeitalter eine antike Debatte neu radikalisiert. Das Bild, bei Platon noch unter dem Generalverdacht, ist im digitalen Zeitalter gerade in den Naturwissenschaften eine privilegierte Form der Erkenntnisgewinnung.  
Für Böhm ist eine neue Verhältnisbestimmung des Bildlichen zentral, in der das Bild nicht mehr den Gesetzmäßigkeiten der Sprache unterworfen wird. Sein Vortrag, den er am Freitag (16.5.03) am IWM hielt, trug deshalb einen entsprechend programmatischen Titel: "Jenseits der Sprache: Anmerkungen zur Logik der Bilder".

Böhm, einst Schüler von Hans-Georg Gadamer und heute Professor für Kunstgeschichte an der Universität Basel, führte zur hermeneutischen Basis der Debatte um die Wirkungskraft der Bilder.
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Ein Theoretiker des Bildlichen
Gottfried Böhm, geb. 1942 in Braunau (Böhmen). Studium der Kunstgeschichte, Philosophie, Germanistik in Köln, Wien und Heidelberg. Promotion 1968 in Philosophie, Habilitation 1974 in Kunstgeschichte in Heidelberg. Seit 1986 Ordinarius für Neuere Kunstgeschichte Universität Basel.

Böhm ist Herausgeber maßgeblicher Bücher zur Bildtheorie, etwa "Was ist ein Bild" mit Texten von Maurice Merleau-Ponty, Jacques Lacan, Arthur C. Danto, oder "Beschreibungskunst -Kunstbeschreibung" (zus. mit Helmut Pfotenhauer). Beide Bücher erschienen im Fink-Verlag, München.
->   Kunsthistorisches Seminar - Uni Basel
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Bildpotenz in der Sprache
Wissenschaftsgeschichtlich ist die Wende zum Bildlichen im 20. Jahrhundert, der oftmals beschworene iconic turn, für Böhm durchaus eine Konsequenz des linguistic turns, also des Versuchs, alle Fragen der Philosophie als Fragen der Sprache zu verorten:

Bereits Wittgenstein habe verdeutlicht, dass die Welt der Begriffe nicht von ihrem metaphorischen Boden abgetrennt werden könne - eine Befragung der Sprache führt letztlich immer auch auf die ihr innewohnende Bildpotenz.
Die wiederentdeckten Bilder
Doch Böhm konzentrierte seinen Vortrag auf die spezifische Logik des Bildlichen, also die Erzeugung von Sinn aus rein bildtechnischen Mitteln. Dieses Potenzial jenseits der prädikativen Logik der begrifflichen Sprache habe, wie Böhm erinnerte, Bilder seit mehr als zwei Jahrtausenden unter den Generalverdacht jener auf den logos fixierten Kulturen gebracht. Die Geschichte des Bildes, so Böhm, sei letztlich eine Geschichte der Marginalisierung des Bildes in der Wissenschaft.

Aus dieser erkenntnistheoretischen Marginalisierung finde das Bildliche erst allmählich heraus. Böhm präsentierte frühe Diagramme aus dem 18. Jahrhundert, mit denen Handelsbeziehungen erstmals rein graphisch dargestellt wurden, ebenso wie Computer-Tomographien des menschlichen Schädels oder Aufnahmen des Hubble-Teleskops. In der Gegenwart sind es die Naturwissenschaften, die das Bild aus seiner heuristischen Randstellung herausführen. Heute, so Böhm, seien Disziplinen wie die Astronomie eigentlich Bildwissenschaften.
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"Sporadisches Bewusstsein"
"Von der Aktualität der Bilder war in den vergangenen Jahren viel die Rede. Eine steigende Medienflut machte Bilder allgegenwärtig. Unser Bewusstsein der Fragen, die sie aufwerfen, blieb dagegen seltsam sporadisch und unterentwickelt. [...] Die Kunstgeschichte, die sich, ihrer Fachbestimmung nach, am ehesten als 'Bildwissenschaft' verstehen könnte, besinnt sich nur selten auf die systematische Seite ihrer Aufgabe. Ein der Sprachwissenschaft vergleichbarer Diskurs hat sich für das Bild nie ausbilden können. Dabei ist die Bilderfrage fast so alt wie die europäisch-mittelmeerische Kultur selbst. Im alttestamentarischen Bilderverbot bezeugt sie sich eindrucksvoll. Mit ihm beginnt nicht nur eine lange Geschichte theologisch-politischer Bilderkämpfe und ikonoklastischer Bewegungen, es repräsentiert auch eine Quelle sachlicher Einsichten über Macht, Rang und Rolle der Bilder. Später formte platonisch-plotinisches Bilddenken untergründige Wurzeln aus, die bis heute fruchtbar geblieben sind."

[aus: Gottfried Böhm, Was ist ein Bild, S. 7.]
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Zwischen Wissen und Kunst
Die Frage, was ein Bild eigentlich sei, ist für Böhm auch immer eine anthropologische Frage. Böhm spricht von einem tief verankerten Bedürfnis im Menschen nach dem Bildlichen. Der homo pictor, der Maler in der Höhle, komme vor dem zoon logon, jenem in Begriffen denkenden Wesen. Jedes Bild, so Böhm, ziehe seine Bestimmungskraft aus der Liaison mit dem Unbestimmten. Das Unbestimmte und Potenzielle sei der tragende Grund für das Bildliche.

Es sind gerade Standortbestimmungen wie diese, die die Bilddebatte so schwierig gestalten: Böhm widersteht der Versuchung, seine Grundfrage nach dem Bildlichen in eine abstrahierte Zeichenlogik zu übersetzen (etwa im Stil der Semiotik). Dort, wo seine Bestimmungen vage zu bleiben schienen, half sich Böhm mit einem entscheidenden Kniff: der Bestimmungen des Bildlichen über die Kunst. Manchmal, so zeigte sich auch hier, ist die Kunst der Wissenschaft eben überlegen, das Nicht-Begr(e)if(f)liche auf den Punkt zu bringen.

Gerald Heidegger, ORF.at
->   IWM - Institut für die Wissenschaft vom Menschen
 
 
 
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01.01.2010